Essen/Wesel. In der Literatur verewigt und viel besungen weckt der Maikäfer Erinnerungen an die Kindheit. Doch das Tier ist für den Wald eine Gefahr.

So dichtete Wilhelm Busch 1865 seine berühmten Verse. Heute – 159 Jahre später – haben wir Spaß im Diersfordter Wald bei Wesel, einst ein gräflicher Besitz, seit 2020 Eigentum des Landes NRW. Revierförster Georg Wülfing, immer munter, schüttelt sie vom Baum herunter. Mit den morgendlichen Tautropfen purzeln zahlreiche Maikäfer von den Ästen der jungen Eiche, fallen auf den Waldboden und ins weiche Gras. Unbeweglich verharren die Krabbeltierchen, lassen sich ohne Widerstand in die Handfläche setzen. Ihre braunen Panzer glänzen in den frühen Sonnenstrahlen. Doch die dicken Brummer sind träge. Nur hin und wieder fliegt mal hier mal da einer von Zweig zu Zweig – auf der Suche nach neuer Nahrung.

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Von Denis de Haas (Text) und Andreas Buck (Fotos)

So beginnt das spätromantische Gedicht von Emanuel Geibel, vertont von Justus Wilhelm Lyra. Wer kennt es nicht, und wer freut sich nicht auf den lange ersehnten Frühling? Die grünende Natur und die wärmende Sonne locken Mensch und Tier ins Freie. In Wäldern und blühenden Wiesen summen und schwirren Insekten. Aber nicht alle diese kleinen Wesen sind nützlich, nicht alle beliebt, und so manche von ihnen richten gar Schaden an. Leider auch der Maikäfer.

Glücksbringer und Liebling der Kinder

Als Glücksbringer auf Glückwunschkarten und aus Schokolade bevölkert der Maikäfer – nicht zu verwechseln mit dem rot-schwarzen Marienkäfer – im Frühjahr, zumeist Seite an Seite mit dem Osterhasen, die Auslagen der Confiserien und die Regale der Supermärkte. Zur Freude der Kinder. Zu denen haben Herr und Frau Sumsemann schließlich eine ganz besondere Beziehung. Beruht natürlich auf Gegenseitigkeit! Der Maikäfer ist populär: in Liedern, Gedichten und Literatur verewigt. Zugleich aber zählt er in der Land- und Forstwirtschaft zu den gefürchteten Schädlingen. Wir begeben uns auf die Spurensuche der zwei Seiten des Maikäfers, der in den 1970er Jahren beinahe ausgestorben war. Liedermacher Reinhard Mey sang damals – eine traurige Geschichte. Und viele ältere Menschen erzählen sie wie er. „Mit Schuhkarton oder der Zigarrenkiste von Opa sind wir losgezogen und haben die Käfer gesucht und unsere Freude gehabt. Natürlich wurde Grünzeug mit in die Schachtel gelegt, damit sie nicht verhungern. Wer den größten und schönsten hatte, wurde zum Maikäfer-König gekrönt“, erzählt die Nachbarin. Kürzlich habe sie mal einen im Stadtpark gesehen – nur einen. Der Liedtext von Reinhard Mey könnte auch ihrer sein..

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Engerlinge (Maikäferlarven) aus einer Bodenprobe im Diersfordter Wald in Wesel. Foto: Karl Banski / FUNKE Foto Services
Engerlinge (Maikäferlarven) aus einer Bodenprobe im Diersfordter Wald in Wesel. Foto: Karl Banski / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Karl Banski

Der Liedtext soll Warnung sein: Mensch, geh’ vorsichtig mit den Ressourcen der Natur um! Den fürchterlichen Maikäfer-Plagen in vergangenen Jahrhunderten rückten die genervten Menschen nicht nur mit Schütteln und Rütteln, Einsammeln und Vernichten zu Leibe. Sondern später auch mit Pestiziden. Das führte nicht nur zur Beinahe-Ausrottung der Maikäfer, sondern schadete auch dem Wald. Längst ist der Einsatz von Chemikalien verboten. Der Maikäfer hat überlebt. Doch so beliebt wie das Krabbeltierchen als Glücksbringer, in der Literatur, bei den Kindern in Erzählungen und Märchen und als süßer schokoladiger Genuss ist, so kritisch sieht ihn die Forstwirtschaft.

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Schädling in Wald und Flur

Revierförster Georg Wülfing, für den Landesbetrieb Holz und Wald NRW im Einsatz, wird ernst: „Der Klimawandel beeinflusst Flora und Fauna. Um die Waldbestände sieht es schlecht aus. Nicht optimal bis katastrophal. Und wir befürchten, das wird sich fortsetzen. Ein Puzzleteilchen dabei ist auch der Maikäfer. Nach seiner massiven Bekämpfung zuletzt in den 1970er-Jahren, gibt es die größten Restbestände heute noch in Hessen. Dieses Jahr ist absolut ein Maikäfer-Jahr, allerdings regional sehr unterschiedlich.“ Das heißt: nicht in jedem Landesteil, nicht in jedem Wald wird sie der Wanderer finden. Im Diersfordter Wald auf jeden Fall.

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Er hat nicht viele Feinde

Zu Tausenden hängen sie jetzt in den Bäumen – vorzugsweise in Eichen. „Die Käfer lieben den warmen Wald, sandige Böden und die Eichen“, erklärt Wülfing. Er zeigt auf die Äste mit ihren zartgrünen Blättern: abgeknabbert, zerfressen, kahl. Dabei hat das Käferleben gerade mal seine Mitte erreicht. Also wird der Fraß weitergehen, das Blattwerk sich weiter lichten. Der Maikäfer hat nur wenige Feinde: Zuweilen laben sich Eulen, Krähen und Greifvögeln an ihm. Wildschweine und Dachse, Mäuse und kleine Vögel picken seine Larven, die Engerlinge, aus dem Boden.

Die Forstwirte Georg Knipping und David Maier durchsieben eine Bodenprobe nach Maikäferlarven.
Die Forstwirte Georg Knipping und David Maier durchsieben eine Bodenprobe nach Maikäferlarven. © FUNKE Foto Services | Karl Banski

Trotzdem ist der Wald vom Maikäfer bedroht. Zwei Forstmitarbeiter graben ein tiefes Loch in den Waldboden. Die Erde wird erst grob, dann fein durchgesiebt. Zurück bleiben die Engerlinge – einjährig, zweijährig, dreijährig. „Sie werden auf den Quadratmeter gezählt und geben so Aufschluss über die zu erwartende Population“, erläutert Wülfing. „Durch den Klimawandel verkürzt sich ihr Lebenszyklus. Ursprünglich dauerte es fünf Jahre, bis aus dem Engerling ein Maikäfer wurde, heute sind es drei bis vier.“ Die Larven richten genauso viel Schaden an. Sie nagen die Wurzeln der Bäume und Pflanzen ab.

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„Am Ende bekommt der Baum nicht mehr genug Wasser und stirbt“, sagt Georg Wülfing. Da freut es den Revierförster nicht unbedingt, wenn es bei Dämmerung im Wald romantisch wird. Dann nämlich beginnt der Käferflug. Es summt und brummt in der milden Abendluft, wenn Herr Sumsemann auf Brautschau geht. Nach sechs bis acht Wochen wird es wieder still. Die dicken Brummer sterben. Nicht wirklich traurig, aber: „Jede Spezies, die ausstirbt, ist auch ein Verlust“, sieht Georg Wülfing die zwei Seiten des Maikäfers.

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In der Tat wäre es schade, sollte der Maikäfer nur in der Literatur überleben wie in Peterchens Mondfahrt. Dem Märchen von Gerdt von Bassewitz aus dem Jahr 1912, in dem der Maikäfer Herr Sumsemann sich mit Peter und Anneliese auf eine abenteuerliche Reise zum Mond begibt, um dort sein verloren gegangenes sechstes Beinchen zu finden. Was wäre, wenn der Maikäfer nicht mehr fliegt und nur noch in Max und Moritz von Wilhelm Busch für Belustigung sorgt?

Maikäferpulver und Maikäfersuppe

Nach den großen Plagen wurden Abertausende der toten Brummer zu Futter- und Düngemittel, Fett und Seife verarbeitet. Selbst in Ernährung und Medizin fand der Maikäfer Verwendung. Maikäferpulver sollte gegen Epilepsie wirken, das aus den Engerlingen gewonnene Öl Gicht und Rheuma lindern. Wissenschaftliche Erkenntnisse über erfolgreiche Heilungen gibt es nicht. Bei der Vorstellung, einen Maikäfer zu verspeisen, kräuseln sich die Nackenhaare, und wir rümpfen leicht angewidert die Nase, denken ans Dschungelcamp. Aber: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts stand die Maikäfersuppe in Deutschland und Frankreich auf dem Küchenzettel, schließlich war sie ein guter Protein-Lieferant. Im Magazin für Staatsarzneikunde schrieb Medizinalrat Johan Schneider 1843: „Ist die Bouillon auch noch so schlecht, so wird sie durch die Kraft der Maikäfer vorzüglich, und eine Maikäfersuppe gut zubereitet, ist schmackhafter, besser und kräftiger als jede Krebssuppe.“ Nun ja, Geschmackssache!

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