Düsseldorf. Die Bundesregierung schlitterte durchs Problem-Jahr 2023. Die Ampel-Koalition steckt nun in ihrer bisher tiefsten Krise.
Das Jahr 2023 beginnt mit einem Video: In der Nacht zum 1. Januar steht Christine Lambrecht auf einer Straße in Berlin. Die SPD-Politikerin nimmt eine kuriose Neujahrsbotschaft auf, die Kritik daran ist laut wie das Knallen der Böller im Hintergrund. Wenig später zieht Lambrecht einen Schlussstrich unter ihre verkorkste Amtszeit als Verteidigungsministerin. Kanzler Olaf Scholz holt als Nachfolger Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius an die Spitze des schwierigen Ministeriums.
Der Sozialdemokrat kommt in Truppe und Bevölkerung gut an. Nach knapp einem Jahr im Amt ist Pistorius Deutschlands beliebtester Politiker. Wenige Wochen nach Pistorius‘ Berufung sagt Scholz die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine zu, die heftige Debatte um Deutschlands Waffenhilfe für das von Russland überfallene Land ebbt damit im zweiten Kriegsjahr ab. So ist die Stimmung zwischen Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj gut, als der ukrainische Präsident im Mai erstmals seit Kriegsbeginn nach Berlin kommt.
Infolge des Ukraine-Kriegs steckt Deutschland weiterhin tief in der Energiekrise. Die Regierung gibt in den ersten Monaten 2023 Milliarden aus, um die hohen Kosten für Verbraucher und Unternehmen mittels Preisbremsen zu senken. Für Debatten sorgt bis zuletzt der Ausstieg aus der Atomkraft. Die letzten drei deutschen Meiler gehen Mitte April endgültig vom Netz – gegen den Willen der FDP.
Unruhe bei der Ampel-Regierung
Die Ampel-Regierung befindet sich zu dem Zeitpunkt bereits seit Wochen in Unruhe: Die Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck für ein Heizungsgesetz verunsichern Millionen von Bürgern. Der Grünen-Politiker gerät unter Druck. Dann muss Habeck auch noch seinen Staatssekretär und engen Vertrauen Patrick Graichen nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft rauswerfen. Auslöser war die Berufung von Graichens Trauzeuge auf einen Spitzenposten bei der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur.
Wegen Habecks Heizungsplänen ist das Wort Wärmepumpe in aller Munde. Mehrfach wird das umstrittene Gesetz für einen Austausch alter Heizungen gegen klimafreundlichere Lösungen von der Koalition überarbeitet. Kurz vor der Sommerpause steht das Gesetz endlich, Verbraucher bekommen gegenüber den ursprünglichen Plänen deutlich mehr Zeit, bis sie eine Entscheidung über ihre Heizung treffen müssen. Erleichtert will die Ampel das Gesetz im Eilverfahren durchs Parlament bringen.
Angeschlagen in die Sommerpause
Dem schiebt das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vor. Der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann hatte geklagt, weil der Opposition keine Zeit bleibe, in der Kürze der Zeit das Gesetz zu bewerten. Die Ampel geht angeschlagen in die Sommerpause, verabschiedet wird das Heizungsgesetz erst im September. Die AfD profitiert von der Stimmung im Land und steigt in den Umfragen immer höher, zuletzt auf mehr als 20 Prozent. Bestärkt von Wahlerfolgen auf kommunaler Ebene kündigt die Partei an, bei der nächsten Bundestagswahl erstmals mit einem Kanzlerkandidaten anzutreten.
CDU-Chef Friedrich Merz verstrickt sich in einem Sommerinterview in Aussagen, die auch in der eigenen Partei so gedeutet werden, als stelle er der CDU angesichts der Stärke der AfD im Osten auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit frei. Merz korrigiert sich, doch die Zweifel in der CDU an der Eignung des Oppositionsführers zum Kanzler wachsen.
Scholz steht derweil immer wieder in der Kritik: Der Kanzler wirkt, als habe er die Koalition nicht im Griff. Ein kurzzeitiger Hype um Scholz entsteht, als er nach einem Sturz beim Joggen eine Augenklappe tragen muss. In der Sommerpause hatte sich das Ampel-Bündnis versprochen, mehr Ruhe in die Zusammenarbeit zu bringen. Doch die guten Vorsätze verrauchen schnell, als Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Streit um die Kindergrundsicherung im Kabinett ein Gesetz zur Unterstützung der Wirtschaft von Finanzminister Christian Lindner (FDP) blockiert.
Dann kam die Quittung für das Chaos
Die Performance der Koalition im Bund schlägt sich auf die Wahlergebnisse in den Ländern nieder. Im Februar muss Berlin nach den Organisationspannen bei der vorangegangenen Wahl erneut abstimmen. Die rot-rot-grüne Koalition der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verliert daraufhin ihre Mehrheit. In Bremen bekommen die Grünen drei Monate später eine Quittung für das Chaos um das Heizungsgesetz.
Zu einem Schock für die Ampel-Parteien werden die Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober. Die Amtsinhaber Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU) feiern ihre Wiederwahl. SPD, Grüne und FDP verlieren in beiden Ländern an Zuspruch. Besonders bitter ist das für die SPD in Hessen, wo Bundesinnenministerin Nancy Faeser eigentlich Regierungschefin werden wollte. Die AfD schneidet stark ab, wird in Hessen sogar zweitstärkste Kraft. Vor der Europawahl und drei Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr stellt sich zudem die Frage, wie sich die angekündigte Parteineugründung der Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht auf das deutsche Parteiengefüge auswirken wird.
Debatten um Migration
Der Herbst ist zudem geprägt von Debatten um Migration. Auf Druck der Länder schlägt die Bundesregierung einen härteren Kurs ein, um die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu senken. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel gerät Antisemitismus unter Zuwanderern in den Fokus. Sicherheitsbehörden warnen zudem vor Terroranschlägen hierzulande.
Das Jahr endet schließlich mit einem Knall und der bisher tiefsten Krise der Ampel-Regierung, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Finanzplanung der Ampel in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte. Nach zähen und stundenlangen Nachtsitzungen in der Koalition folgte dann die Erlösung am 12. Dezember: „Der Haushalt 2024 steht, die Schuldenbremse wird eingehalten“, gaben Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner in einer gemeinsamen Pressekonferenz bekannt.
Die Regierung ist nicht auseinandergebrochen. Doch jede Partei hat Kratzer abbekommen. Die Einigung über den Haushalt ist nur ein erster Schritt.
Angeschlagen geht es für die Ampel-Koalition nun auch ins neue Jahr.
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