Essen. Was kann ich tun, um über die Feiertage nicht in ein emotionales Loch zu fallen? Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer weiß, wie man Krisen vermeidet.

Lichterglanz am Weihnachtsbaum, der Duft von gebratener Gans, leuchtende Kinderaugen, familiäre Geborgenheit – und am besten noch eine blütenweiße Schneedecke vor der Haustüre. Wir alle haben beim Gedanken an Weihnachten so viele Ideale und Wunschvorstellungen, dass wir uns einerseits gewaltigen Stress vorher machen und dass andererseits die Realität eigentlich nur dahinter zurückbleiben kann. Was für viele Menschen ein Hochgefühl bedeutet, stürzt andere in ein tiefes Loch. Wir sprachen mit Anke Glaßmeyer, Psychotherapeutin aus Ibbenbüren, darüber, wie man den Weihnachtsblues vermeidet – und wie man an solchen Tagen mit Menschen umgeht, die vielleicht schon psychisch erkrankt sind.

Frau Glaßmeyer, die Erwartungen und Emotionen sind zu Weihnachten besonders groß. Haben Sie Tipps, wie man Enttäuschungen vermeidet – und vielleicht sogar entspannt durch die Feiertage kommt?

Glaßmeyer: Ich rate immer dazu, offen über Erwartungen und Gefühle zu sprechen. Also zu sagen, was man sich wünscht und was man erwartet. Das hilft, Missverständnisse zu vermeiden und so ein angenehmes familiäres Umfeld zu schaffen. Dabei ist wichtig, dass man Aufgaben aufteilt, um den Druck zu minimieren und so die potenziellen Konflikte zu reduzieren.

Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer weiß, was man tun kann, um den Weihnachtsblues und schlimmere emotionale Löcher an den Festtagen zu vermeiden.
Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer weiß, was man tun kann, um den Weihnachtsblues und schlimmere emotionale Löcher an den Festtagen zu vermeiden. © Privat | Privat

Aufgabenteilung klingt schon mal gut. Was geht darüber hinaus?

Es ist wichtig, realistische Erwartungen zu haben. Es ist nicht jedes Jahr Friede, Freude, Eierkuchen wie im amerikanischen Kinofilm. Das muss man sich bewusst machen. Es wird Konflikte geben. Wenn man sich das ganze Jahr vielleicht nicht gesehen hat, dann wird es möglicherweise zu irgendwelchen Unstimmigkeiten kommen. Darauf sollte man vorbereitet sein. Mein weiteres Herzensthema in diesem Zusammenhang ist Selbstfürsorge.

Ist Weihnachten denn für manche nicht eher das Fest der Selbstlosigkeit?

Es ist wichtig, sich trotzdem gut um sich selbst zu kümmern. Also auch mal zu sagen: Ich brauche eine Pause oder zu dieser Veranstaltung, zu jenem Treffen komme ich erst ein bisschen später oder ich bin gar nicht dabei. Etwa: Ihr könnt gerne zur Kirche gehen, aber für mich ist das irgendwie nichts diesmal. Man muss schauen, dass man vielleicht auch seine Routinen beibehält, um da nicht komplett aus seinem Rhythmus rauszukommen. Und da denke ich vor allen Dingen an Menschen mit Depressionen, die sich da eine Struktur aufgebaut haben. Aber man braucht natürlich auch Flexibilität. Also es wird nicht alles nach Plan laufen, da muss man sich irgendwie anpassen.

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Sie haben es schon angesprochen: Wie geht man am besten mit Menschen mit psychischen Erkrankungen um, etwa mit Depressionen, Alkoholabhängigkeit oder Essstörungen?

Wenn das im Vorfeld bekannt ist, hilft auch hier „Reden, reden, reden!“ Ich würde es auf jeden Fall empfehlen, vorher darüber zu sprechen. Bei Menschen mit Essstörungen etwa: „Mensch Leute, was gibt es denn da zu essen?“ Oder dass derjenige oder diejenige sagen kann: „Können wir bitte auch das und das machen, weil ich mich damit sicherer fühle? Es ist für mich sowieso eine Belastung oder eine Herausforderung, mit anderen Menschen zu essen. Dann möchte ich da zumindest Essen zu haben, mit dem ich mich wohlfühle.“ Bei Menschen, die trockene Alkoholiker sind, könnte man ja sagen: „Okay, wir verzichten vielleicht alle auf Alkohol.“ Wichtig ist, dass man es vorher kommuniziert. Konkreter will ich gar nicht werden, denn man kann gar nicht sagen: Das muss man jetzt so oder so machen, weil jede betroffene Person da andere Vorstellungen hat. Und jedem hilft etwas anderes. Daher gibt es nicht das eine Patentrezept.

Einsam und allein zu Weinachten? Das muss nicht sein

Was können Sie Menschen raten, die Weihnachten ohne Familie verbringen oder die ganz allein sind und vielleicht deshalb besonders anfällig für den Weihnachtsblues – oder gar Schlimmeres sind?

Wenn Menschen an Weihnachten alleine sind, ist das natürlich häufig eine schwere Belastung. Dabei sollte man sich eigentlich sagen: An sich ist Weihnachten ja genauso ein Wochenende oder genauso eine Reihe von Feiertagen wie andere auch. Und dann rate ich, sollte man sich da selbst eine gute Zeit machen, also eine gute Zeit mit sich selbst verbringen. Man kann sich selber leckeres Essen kochen, in die Therme fahren, halt etwas machen, was einem guttut. Und wer welche hat, kann sich natürlich auch mit Freunden treffen. Freunde sind ja die Familie, die man sich selber aussucht. Es gibt übrigens auch Angebote für Menschen, die an Weihnachten alleine sind, eine davon heißt „Keine(r) bleibt allein“. Es gibt auch Gemeinschaftsveranstaltungen von der Kirche oder von anderen sozialen Trägern.

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Und so bleibt der Weihnachtsblues fern?

Natürlich sind solche Menschen so ein bisschen für den Weihnachtsblues anfälliger, aber natürlich auch Menschen mit Depressionen oder mit anderen psychischen Erkrankungen oder Menschen, die in der Isolation leben. Gerade für die ist es wichtig, gut für sich zu sorgen. Ich kann immer wieder nur betonen: Selbstfürsorge, Selbstfürsorge, Selbstfürsorge. Und das ist definitiv nicht einfach. Wenn es einfach wäre, hätten wir da alle keine Probleme mit uns. Uns gut um uns selbst zu kümmern, das haben wir halt alle nicht gelernt. Für die Menschen, die an Weihnachten alleine sind, ist es wichtig, sich bewusst zu machen: Vielleicht können wir die Situation nicht ändern, aber wir können unsere Einstellung dazu verändern.

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