Vor 80 Jahren befreite ein deutsches Kommando in Italien den gestürzten Mussolini. Die Nazis bauschten die Aktion zu einer Heldengeschichte auf.
Nur wenige Schritte entfernt vom Hotel Campo Imperatore landete um die Mittagszeit 12. September 1943 der Lastensegler mit dem SS-Offizier Otto Skorzeny an Bord. Hier in den Höhen des Gran Sasso rund 80 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Rom, wurde der wenige Tage zuvor gestürzte Diktator Benito Mussolini inhaftiert und – vermeintlich – streng bewacht. SS-Mann Skorzeny sprang aus der Maschine, erkannte an einem der Fenster den Kopf des Duce und schrie: „Weg vom Fenster!“ Er rannte ins Hotel. „Die Italiener waren sichtlich überrascht, aber bevor sie reagieren konnten, eröffneten meine Männer das Maschinengewehrfeuer“, erzählte Skorzeny später.
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Kurz darauf erklärte Skorzeny dem verdutzten Mussolini: „Duce, der Führer schickt mich! Sie sind frei.“ Heroisch habe man sich gegen die Bewacher zur wartenden Maschine durchgekämpft. Wenig später flogen beide mit einem Fieseler Storch davon. Nach nur 15 Minuten war der Spuk vorbei, wie Skorzeny stets betonte. Der Verbündete Mussolini auf Adolf Hitlers Befehl befreit – ein Coup für Joseph Goebbels und seine Nazi-Propaganda-Abteilung, die das „Unternehmen Eiche“ als historische Großtat bejubelte.
Allerdings: Die vermeintliche Heldengeschichte Skorzenys war in weiten Teilen erfunden.
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Die Vorgeschichte
Noch im Sommer 1942 sah es gut aus für die „Achse“ – so hatte Italiens Machthaber Benito Mussolini das im Oktober 1936 mit einem Freundschaftsvertrag besiegelte Bündnis zwischen Rom und Berlin getauft. Die beiden Länder beherrschten fast ganz Europa, ihre Truppen marschierten in Afrika, auch an der Ostfront war die Wehrmacht in der Offensive. Doch der Herbst änderte alles. „Es brach eine Kaskade von Katastrophen über die Streitkräfte der ,Achse‘ herein, die das Bündnis ruinierte und schließlich auch das faschistische Regime in Rom mit sich riss“, so der Zeitgeschichtler Hans Woller in seiner Mussolini-Biografie „Der erste Faschist“.
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In Nordafrika startete bei El Alamein die große Offensive der Briten, das Afrikakorps unter Befehlshaber Erwin Rommel geriet immer mehr unter Druck. Im Osten Europas wurde der Feldzug gegen die Sowjets in Stalingrad zum Desaster, deutsche und italienische Truppen wurde nahezu völlig aufgerieben.
Doch die Entwicklungen in Nordafrika und in Russland bedeuteten mehr als ein militärisches Desaster. „Dort ging die ,Achse‘ in die Brüche“, so Historiker Woller. Rom und Berlin gaben sich gegenseitig die Schuld an dem Debakel, alte Ressentiments wurden geweckt. Woller: „Am Ende wurde aus Entfremdung sogar Hass und bittere Feindschaft, die tief in beide Gesellschaften drang und so das Fundament der ,Achse‘ zerfraß.“ Besonders bei der italienischen Bevölkerung wuchs zudem die Kriegsmüdigkeit. Knappe Lebensmittel, Armut und die Fliegerangriffe der Alliierten zermürbten die Menschen. In den Städten hausten Zehntausende in Notunterkünften. Die Italiener hatten den Krieg satt, und sie wurden nicht mehr satt.
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Mussolini hielt noch dagegen. Und tatsächlich konnte er persönlich auf einen Rückhalt bei vielen Italiener bauen. Der „Duce“ galt vielen immer noch als der unvergleichliche „Magier“, der für jedes Problem eine Lösung parat hatte, der sich um die kleinen Leute kümmerte und Italien zu neuer Größe führen würde. Und: Er hielt zu Adolf Hitler. Überlegungen in seiner Regierung, aus dem Krieg auszuscheiden, wies er kategorisch zurück.
Alliierte landen auf Sizilien
Der Sommer 1943 änderte die Lage drastisch. Am 10. Juli war es soweit: Von Nordafrika aus starteten die Alliierten mit der britischen 8. Armee und der amerikanischen 7. Armee ihre Invasion auf Sizilien. Dort waren immerhin rund 300.000 italienische und knapp 45.000 deutsche Soldaten stationiert. Trotzdem hatten sie ohne die nötige Luftunterstützung keine Chance gegen Briten und Amerikaner – außerdem hatten die Deutschen Sizilien als Ort der Invasion gar nicht auf dem Schirm, man hatte eher mit Sardinien gerechnet. So aber war die Besetzung Siziliens Mitte August 1943 komplett.
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Zwei Wochen später, am 3. September, setzten zwei britische Divisionen erstmals auf das italienische Festland über, an die „Stiefelspitze“ nach Kalabrien. Wenige Tage später erreichte die alliierte Hauptmacht Salerno südlich von Neapel. Am 3. September unterzeichneten die Italiener einen Waffenstillstand mit den Alliierten.
Der Sturz
Italiens König Vittorio Emanuele III. hatte das Debakel schon länger kommen sehen; für ihn war nach El Alamein und Stalingrad der Krieg verloren. Trotzdem hielt der der Regent, selbst geschwächt in seinem Amt, zunächst an Mussolini fest – bis zum 25. Juli 1943. Als auch in den eigenen Reihen des „Duce“ die Kritik an dem Machthaber wuchs und sich der Faschistische Großrat, das Führungsgremium des Regimes, von ihm abwendete, war Mussolini entmachtet. Der König erklärte ihm: „Mein lieber Duce, es macht keinen Sinn weiterzumachen. Italien liegt am Boden, die Armee ist komplett geschlagen.“ Unmittelbar danach ließ er Mussolini festnehmen.
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Adolf Hitler im fernen Berlin tobte, er befahl seinem General Kurt Student: „Gehen Sie so schnell wie möglich mit allen verfügbaren Fallschirmtruppen nach Rom. Eine Ihrer besonderen Aufgaben ist die Auffindung und Befreiung meines Freundes Mussolini.“ Auch den SS-Offizier Otto Skorzeny beauftragte er: „Ich kann und will den größten Sohn Italiens nicht im Stich lassen. Er muss gerettet werden. Ich erteile ihnen den Auftrag, diese Aktion durchzuführen.“
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Doch wo wurde Mussolini festgehalten? Der Ort war geheime Kommandosache. Mehrere Wochen suchte der deutsche Geheimdienst in Italien nach dem „Duce“, kontaktierte seine Spione, lockte mit Bestechungsgeldern. Am Ende war man sich sicher: Mussolini steckt in dem Hotel am Gran-Sasso-Gebirgszug. Historiker Woller: „Ein abgefangener Funkspruch des Innenministeriums an an das Wachpersonal auf dem Gran Sasso hatte sie auf die Fährte geführt.“ Der Plan: Knapp ein Dutzend Lastensegler sollten auf der Höhe am Hotel landen, weitere Einheiten per Seilbahn dazustoßen.
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Das erfundene Husarenstück
SS-Mann Skorzeny spielte zu diesem Zeitpunkt in den Planungen eigentlich keine Rolle mehr. Er wollte sich aber nicht ausbooten lassen, schließlich habe er vom Führer persönlich den Auftrag zur Befreiung erhalten. So saß er in einem der Lastensegler – und sorgte eigenmächtig dafür, dass diese Maschine als erste am Gran Sasso landete. Was dann geschah, sieht die historische Forschung inzwischen ganz anders als es Skozerny in seinem Erinnerungsbuch ,schilderte. „Skozernys Memoiren“, so Hans Woller, „sind Papier gewordene Zeugnisse ungenierter Aufschneiderei.“
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Denn: Keineswegs musste sich das Befreiungskommando den Weg zu Mussolini freischießen oder zur Fluchtmaschine durchkämpfen. „Es fielt kein einziger Schuss“, so Woller. „In Begleitung der deutschen Sondereinheit befand sich ein italienischer General, der das Wachpersonal aufforderte, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Ohnehin nicht sonderlich motiviert und obendrein mit unklaren Befehlen ausgestattet, beugten sich die Carabinieri nur zu gerne diesem Appell.“ Es herrschte also eher Harmonie als Kampfstimmung. Einige der Italiener halfen sogar, die Landebahn für den Fieseler Storch zu präparieren, mit dem Mussolini ausgeflogen wurde.
Man war wohl ganz froh, den „Duce“ los zu sein.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.