Essen. Trotz größter Differenzen haben IG Metall und Arbeitgeber einmal mehr einen Kompromiss gefunden. Warum sie zurecht auf die Politik schimpfen.
Natürlich: Ein ganzes Land oder Lohnverhandlungen für eine Branche zu führen, sind sehr unterschiedliche Dinge. Doch die letzten Monate der Berliner Ampel-Koalition und die wichtigste Tarifrunde des Jahres in der Metall- und Elektroindustrie haben einen großen gemeinsamen Nenner: Scheinbar unüberbrückbare Gegensätze. Insofern ist es diesmal nicht vermessen, wenn die Tarifpartner sich für ihre Kompromissfähigkeit feiern und erhobene Zeigefinger gen Berlin richten.
Die Zeigefinger signalisieren: Seht her - auch wer mit seinen Ideen und Forderungen meilenweit auseinanderliegt, auch wer diametral gegensätzliche Positionen bezieht, kann sich einigen. Wenn man nur will, sich gegenseitig respektiert und vor allem ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein gegenüber Millionen Menschen teilt, die von ihrer Kompromissfähigkeit abhängig sind.
Tarifpartnerschaft hat auch in schwersten Krisen immer zum Konsens gefunden
In der Metall- und Elektroindustrie ist das in allen Krisen dieses noch jungen Jahrhunderts gelungen. In der großen Finanzkrise 2008/2009 haben die Tarifpartner sich zusammengerauft und gemeinsame Lösungen gefunden, von denen am Ende das ganze Land profitiert hat, etwa von der erleichterten Kurzarbeit. Nun, in der Absatzkrise, die sich durch die jüngsten politischen Erdbeben in den USA und in Deutschland weiter zu verschärfen droht, haben sie erneut einen Konsens gefunden, der ihre Industrie nicht schwächen, sondern letztlich stärken wird.
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In der Sache hat die IG Metall Abstriche bei der Lohnerhöhung gemacht, dafür gehen die Arbeitgeber beim Plus für die Ausbildungsvergütungen die Gewerkschaftsforderung fast ganz mit. Das wird bei der Nachwuchssuche helfen. Außerdem tragen sie Verbesserungen für Teilzeitkräfte mit, was ebenfalls auf die Attraktivität der Branche einzahlt.
Davon können und sollten sich die Protagonisten der politischen Parteien in der Tat eine Menge abschauen. Von den Ampelparteien bis zur Union, die höchstwahrscheinlich die nächste Regierung führen wird, haben sie zuletzt kaum bis keine Kompromissfähigkeit mehr gezeigt. Schlimmer noch: Oft scheiterte es bereits am mangelnden Willen, zuerst miteinander statt übereinander zu reden. Das aber ist ihr Job, dafür haben die Menschen in Deutschland ihnen durch ihre Stimmen Mandate gegeben.
Bleiben die demokratischen Parteien kompromisslos, wird Deutschland unregierbar
Davon, ob CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP wieder zu einem konstruktiven Umgang miteinander zurückfinden, wird vieles abhängen in Deutschland. Zuerst, ob Gesetze, die noch in diesem Jahr kommen müssten, im Bundestag auch nach dem Ampel-Bruch beschlossen werden. Das hatte die Union erst einmal aus Prinzip und Wahlkampf-taktischen Gründen ausgeschlossen. Anschließend wird davon abhängen, ob überhaupt noch Mehrheiten für die nicht nur formal, sondern auch im Geiste demokratischen Parteien zustande kommen. In Thüringen und Brandenburg ist dies schon nicht mehr der Fall. Es sei denn, man sieht in Sahra Wagenknecht eine ebenso lupenreine Demokratin wie Altkanzler Schröder in seinem Freund Putin.
Zuletzt hängt von einer Rückbesinnung auf die Notwendigkeit von Kompromissen ab, ob die Regierungen, selbst wenn sie aus demokratischen Parteien bestehen, wieder handlungsfähig werden. In der Ampel war dies bei vielen wichtigen Themen nicht der Fall, weshalb ihr auch niemand nachtrauert. Grüne und FDP lagen einfach zu weit auseinander. Nur: Absehbar wird es in jeder denkbaren Konstellation Koalitionäre mit sehr unterschiedlichen Positionen geben. Geht es dann immer wieder so aus wie bei der Ampel, wird Deutschland unregierbar.
IG Metall und Arbeitgeber reagieren auch auf Trump-Sieg - und geben ein gutes Vorbild
Die Zeiten schwarz-gelber oder rot-grüner Mehrheiten sind vorbei. Das alte Lagerdenken passt nicht mehr in diese Zeit, in der undemokratisch denkende Parteien mit ihren radikalen Parolen enorme Wahlerfolge erzielen und manch etablierter Partei den Rang ablaufen. Wie auch fundamentale, sehr tief gehende Unterschiede durch den ernsthaften Willen zur Konsensfindung in kluge, für alle Seiten annehmbare Kompromisse umgemünzt werden können, haben Arbeitgeber und IG Metall einmal mehr vorgemacht.
Sie haben in ihrer langen Tarifnacht sogar sehr kurzfristig auf die drohende Gefahr durch Trumps Sieg bei den US-Wahlen reagiert. Zum Wohle dieses Landes. Wenn das kein Vorbild für die Politik ist. Dass die Ampel es vorzog, der Wirtschaft am Tag des Trump-Sieges einen weiteren Nackenschlag zu versetzen, indem sie sich auflöste und Deutschland damit ein monatelanges Machtvakuum beschert, wirkt an diesem Dienstag noch verantwortungsloser als vor einer Woche.