Hamburg. Pilotabschluss aus Hamburg soll auch in NRW gelten. Was noch alles im Tarif-Kompromiss steckt und was die NRW-Verhandlungsführer dazu sagen.
Nach einer langen Nacht und 18-stündigen Verhandlungen haben sich die IG Metall und die Arbeitgeber in Hamburg auf einen Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie geeinigt. Der Pilotabschluss gilt zunächst nur für die Bezirke Bayern und Küste, soll aber auf alle knapp vier Millionen Beschäftigten übertragen werden. Für die IG Metall in NRW erklärte Bezirksleiter Knut Giesler bereits, er wolle seiner Tarifkommission am Nachmittag die Übernahme empfehlen. Auch der NRW-Metall-Präsident Arndt Kirchhof sagte im Gespräch mit unserer Redaktion, er gehen von einer Übernahme aus. Die ersten Rückmeldungen aus seinem Lager seien positiv.
Die IG Metall war mit einer Sieben-Prozent-Forderung für zwölf Monate ins Rennen gegangen, die Arbeitgeber hatten zuletzt 3,6 Prozent für 27 Monate geboten. Der in Hamburg gefundene Kompromiss sieht in seinen Grundzügen so aus: Im Februar 2025 gibt es eine Einmalzahlung von 600 Euro. Zum 1. Januar steigen die Ausbildungsvergütungen um 140 Euro je Ausbildungsjahr. Die Löhne werden im April 2025 um 2,0 Prozent und im April 2026 um weitere 3,1 Prozent angehoben. Die Laufzeit beträgt 25 Monate. Für Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind verschiedene Möglichkeiten vorgesehen, einzelne Elemente zu verschieben oder auszulassen. Die Auszubildenden erhalten ab Januar 140 Euro mehr im Monat.
Betriebe in Not können tarifliches Zusatzgeld kürzen oder streichen
Die seit vielen Jahren im Metalltarif festgelegte Auszahlung des sogenannten Transformations-Geldes (T-Geld), das 18,5 Prozent eines Monatsentgelts beträgt, wird vom Februar in den Monat Juli des jeweiligen Kalenderjahres verschoben. Umgekehrt wird das tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG B) in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsverdienstes von Juli auf Februar vorgezogen. Das etwas höhere T-Geld können Betriebe in Schwierigkeiten ab 2025 umfangreicher kürzen oder ganz streichen, und zwar dann, wenn ihre Nettoumsatzrendite unter 2,3 Prozent fällt, wie Daniel Friedrich erläuterte, der Verhandlungsführer und Bezirksleiter der IG Metall Küste.
In dieser wichtigsten Tarifrunde des Jahres wagten die Sozialpartner ein Experiment und schickten zwei Bezirke gemeinsam in die entscheidende Runde. So saßen die Verhandlungsführer der Gewerkschaftsbezirke Küste und Bayern den Verhandlungsführerinnen der Arbeitgeber gegenüber. Wenn die Nacht durch auf Ziel verhandelt wird, sind immer auch die bundesweiten Spitzenfunktionäre vor Ort, zum ersten Mal war das für die IG Metall Christiane Benner und für die Arbeitgeberseite Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf.
Im Ergebnis hat die IG Metall deutlich weniger als die Hälfte ihrer Lohnforderungen durchgesetzt, normalerweise ist eher etwas mehr als die Hälfte. Gewerkschaftschefin Benner erklärte, die Lage habe sich während der rund zweimonatigen Verhandlungen verschlechtert. So sieht es auch NRW-Bezirksleiter Giesler: „Das sich verschlechternde wirtschaftliche Umfeld hat es uns beim Geld schwer gemacht. Zumal mit dem Trump-Sieg in den USA und dem Platzen der Ampel weitere Nackenschläge hinzugekommen sind“, sagte er unserer Redaktion. So seien in den kommenden sechs Monaten keine Entscheidungen aus Berlin zur Stärkung der Industrie zu erwarten. Trotzdem sei noch ein Abschluss mit Reallohnsteigerungen gelungen.
Kirchhoff: „Über die lange Laufzeit von 25 Monaten ist das ein maßvoller Abschluss“
Von einem „über die lange Laufzeit von 25 Monaten maßvollen Abschluss“, sprach Arbeitgeberpräsident Kirchhoff gegenüber unserer Redaktion. Aus ersten Gesprächen nehme er mit, dass die Unternehmen „das Ergebnis noch für vertretbar finden“. Wichtig sei auch die Flexibilität für Betriebe, in denen es aktuell nicht gut läuft. Doch auch die Arbeitgeberseite habe sich in einigen Punkten bewegt, so bei der „weit überproportionalen Anhebung der Ausbildungsvergütung“. Das mache die Metall- und Elektroindustrie auch im Wettbewerb mit anderen Branchen attraktiver. Die Sozialpartnerschaft habe einmal mehr bewiesen, dass sie „auch in schweren Zeiten wie diesen funktioniert“, so Kirchhoff.
Gewerkschafter Giesler betonte Verbesserungen in einigen kleineren Punkten, die wichtig seien etwa für Teilzeitkräfte oder Schichtarbeiter. Dabei geht es insbesondere um eine 2018 eingeführte Tarifleistung, bei der die Beschäftigten zwischen Geld und Zeit wählen können. Statt der zwei jährlichen Sonderzahlungen können sie je acht freie Tage nehmen, zum Beispiel um ihre Eltern zu pflegen oder sich um ihre Kinder zu kümmern. Der Zugang für Schichtarbeiter wurde hier erleichtert, der für Teilzeitkräfte in dieser Runde erst ermöglicht. Zudem wurde das Höchstalter der Kinder von acht auf zwölf Jahre angehoben.
Hart um Kompromisse gerungen: Tarifpartner rügen Politik, dass sie das nicht hinbekommt
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf empfahl allen Landesverbänden, das Ergebnis zu übernehmen. Trotz fundamental unterschiedlicher Auffassungen habe man sich geeinigt, das sei vorbildlich. IG-Metall-Chefin Christiane Benner schlug einen Bogen in die Politik und zur gescheiterten Ampelregierung: Sie dankte den Arbeitgebern für ein hartes, aber faires und zielgerichtetes Ringen und sagte: „Das kann schon Vorbild sein für die Politik.“ Auch Wolf sagte, die Einigung sei ein gutes Signal an die Bevölkerung, dass man in Deutschland noch Kompromisse finden könne. Die schwierige wirtschaftliche Lage lasse bei ihm aber keine Euphorie aufkommen.
Für NRW müssen nun Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, und Arbeitgeber-Präsident Arndt Kirchhoff schauen, ob sie diesen Pilotabschluss so für die rund 700.000 Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen übernehmen wollen. Eine Übernahme gilt Beobachtern als sehr wahrscheinlich. Nach Veröffentlichung des Ergebnisses erklärte Giesler: „Ich werde der nordrhein-westfälischen Tarifkommission, die heute Nachmittag tagt, empfehlen, für Verhandlungen über eine Übernahme des Pilotabschlusses zu stimmen.“ Das Ergebnis passe „zur veränderten wirtschaftlichen und politischen Situation der letzten Wochen“.
IG Metall hatte erstmals 24-Stunden-Streiks angedroht
Die Gewerkschaft hatte vor der entscheidenden Runde damit gedroht, erstmals in diesem Tarifkonflikt zu 24-Stunden-Streiks aufzurufen und die Arbeitgeber damit empfindlich zu treffen. Bisher beschränkte sie sich, auch in NRW, auf stundenweise Arbeitsniederlegungen. An Produktionsstillständen hatte in dieser für die Unternehmen ohnehin sehr kritischen Zeit aber anscheinend keiner der Protagonisten ein gesteigertes Interesse. Die Kernbranche der Industrie steckt in der Krise, insbesondere die Automobilindustrie und auch der Maschinenbau klagen über schwache Absatzzahlen beziehungsweise geringe Auftragseingänge. Dass Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt wurde, macht die Aussichten noch trüber. Er droht mit hohen Schutzzöllen besonders gegen die deutsche Autos.
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Für die IG Metall sind ganztägige Arbeitsniederlegungen das schärfste Mittel im Arbeitskampf, mehrtägige Warnstreiks wie in vielen anderen Branchen hat die Gewerkschaft für die mit Abstand größte und wichtigste Branche ausgeschlossen, um den Schaden in Grenzen zu halten.