Berlin. Die USA halten Autos mit chinesischer Software für eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Wie groß das Risiko ist – auch in Deutschland.

Für Datensammler sind die modernen Autos ein Paradies. Die Software weiß alles, nicht nur über Fahrer und Fahrverhalten, sondern auch über Gewohnheiten. In vielen Fällen werden die Daten gesammelt, ohne, dass Autobesitzer überhaupt etwas davon merken. Sensoren in den Sitzen können zum Beispiel das Gewicht der Insassen registrieren.

Eine über Monate konstante Gewichtszunahme könnte zum Beispiel auf eine Schwangerschaft hindeuten. Theoretisch ist es dann möglich, der Fahrerin passende Angebote zu Babyartikeln zu schicken – oder auch für ein größeres Auto. Was Datensammeln angeht, sind deutsche Autos nahezu ebenso gut wie die amerikanischen und chinesischen, sagen Experten. Die Frage aber, was mit den Informationen möglicherweise geschehen könnte und ob gar ein Zugriff auf das gesamte System von außen möglich ist, hat seit Montag einen neuen Zungenschlag.

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Bann chinesischer Autos: Für die USA stehen Sicherheitsaspekte im Vordergrund

Grund dafür ist ein neuer Vorstoß der USA. Amerika will noch vor Ablauf der Amtszeit von Präsident Joe Biden im kommenden Januar die Weichen für einen De-facto-Bann chinesischer Autos mit bestimmter Soft- und Hardware stellen. Ab 2027 könnten dann keine Fahrzeuge aus China mehr in den USA verkauft werden.

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    Dabei stehen zum ersten Mal nicht rein ökonomische Gesichtspunkte im Fokus, denen die USA bereits heute mit Importzöllen von 100 Prozent auf Billig-Fabrikate aus Fernost beikommen wollen – sondern das Primat der nationalen Sicherheit. Weil Artikel 7 und 14 des chinesischen Geheimdienstgesetzes Unternehmen zur Weitergabe von Nutzerdaten an staatliche Behörden verpflichtet, sehen die USA nicht nur das Risiko, dass sensible Daten über die Verhaltensmuster bei US-Autofahrern abgesaugt und an die Regierung in Peking weitergereicht werden können. 

    „Wild-West-Story“ oder reale Gefahr? Das Auto als Waffe

    Handelsministerin Gina Raimondo spricht offen von der Gefahr, dass perspektivisch Millionen chinesischer Autos auf amerikanischen Freeways aus der Ferne manipuliert oder gar abgeschaltet werden könnten. „Autos sind heutzutage mit Kameras, Mikrofonen, GPS-Systemen und anderen Technologien ausgestattet, die mit dem Internet vernetzt sind“, sagt die Demokratin aus Rhode Island. „Die Gefahren durch Cyberangriffe liegen auf der Hand.“

    Bösartige Angreifer, die auf das System von in den USA fahrenden chinesischen E-Autos zugreifen, um damit gezielt Unfälle auszulösen – theoretisch möglich, sagen Experten. Aber derzeit wohl eher furchterregende Rhetorik. „Es scheint eine Wild-West-Story zu sein, die man in den USA auf den Tisch legt, um das Software-definierte Auto aus China lahmzulegen. Tatsache ist, dass die chinesischen Tech-Konzerne wie Baidu oder Huawei führend bei den Themen autonomes Fahren und Smart Cockpit sind“, sagt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer dieser Redaktion.

    Bedenken gegenüber chinesischen Autos: Auch Verbraucher zurückhaltend

    Fachleute halten es für ausgeschlossen, dass moderne Fahrzeuge ohne das Sammeln und Nutzen von Daten auskommen. Um die Software solcher Autos funktionieren zu lassen, müssten Informationen bereitgestellt werden. „Der Gedanke, in China drückt man auf einen Knopf und in den USA fahren dann die Autos gegen eine Wand, ist abenteuerlich. Selbstverständlich kann man auch die Software von Google, Apple oder Microsoft hacken und erzielt damit theoretisch das gleiche Ergebnis“, erklärt der Experte.

    Das Auto als Spion oder Waffe: Theoretisch denkbar, sagen Experten.
    Das Auto als Spion oder Waffe: Theoretisch denkbar, sagen Experten. © dpa | Li Jianan

    Dennoch gibt es auch in Deutschland Sicherheitsbedenken gegenüber Autos chinesischer Bauart. Als „Spione auf vier Rädern“ bezeichnete der Ökonom Moritz Schularick Anfang des Jahres chinesische E-Autos. Die Vorbehalte gegenüber der Technik aus Fernost sind nicht neu, auch bei Verbrauchern. Erst kürzlich offenbarte eine Umfrage, dass deutsche Käufer sehr zurückhaltend bei E-Autos aus China sind. Der Grund: Sie haben Angst, dass Ihre Daten abhandenkommen.

    Kommentar zum Thema: Spionage-Gefahr: Wenn Autos zu rollenden Abhörzellen werden

    Autos aus China: FDP fordert besseren Schutz militärischer Anlagen in Deutschland

    Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz, der auch Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, fordert Konsequenzen: „Autoritäre Staaten nutzen die Daten, um Spionage zu betreiben und sicherheitspolitische Rückschlüsse aus ihnen zu ziehen. Gute Sicherheitsmechanismen dienen demnach nicht nur dem Grundrechtsschutz der Halterinnen und Halter“, so von Notz gegenüber unserer Redaktion. In Deutschland warte man weiter ab, dabei müsse man endlich besser wissen, welche Daten von welchen Anbietern gesammelt, gespeichert und auch verkauft werden – und wer diese Daten möglicherweise für die eigene sicherheitspolitische Agenda nutzt, fordert von Notz.

    Auch der CDU-Innenexperte und Vize-Vorsitzende des Kontrollgremiums, Roderich Kiesewetter, warnt vor chinesischer Spionage durch Software in E-Autos. „Als Sicherheitspolitiker sehe ich ganz klar die Sicherheitsbedrohung durch chinesische Autos durch Spionagesoftware und das Datenabsaugen, das durch diese Autos möglich wird“, so Kiesewetter zu dieser Redaktion. Dies sei nicht nur eine potenzielle Bedrohung für die Autobesitzer, sondern auch für die Umgebung. „Die Autos werden zur potenziellen Waffe im Rahmen des hybriden Krieges, den China schon heute gegen liberale Demokratien führt“, warnt der Politiker.

    Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber (FDP), bringt im Zusammenhang mit dem US-Vorstoß gegen chinesische E-Autos sogar einen besseren Schutz von militärischen Anlagen und Kasernen in Deutschland ins Spiel. Man müsse schauen, ob die Sicherheit für die Bundeswehr verbessert werden könne, so Faber zu dieser Redaktion. „Dazu kann ein Umbau der Parkplatzanlagen auf Kasernen eine Option sein, oder aber das Auslagern von Parkplätzen an einen Ort abseits der Kaserne.“ Sicher sei, dass sensible Bereiche der Bundeswehr geschützt werden müssten.

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    Dass man Autos hacken kann, ist nicht neu

    Einig sind sich IT-Sicherheitsexperten darin, dass moderne Autos grundsätzlich anfällig für Hacker-Angriffe sind. Zwei US-Experten gelang es schon 2014 Bremsen per Bluetooth zu manipulieren. 2015 hatten zwei Hacker per Laptop die Kontrolle über einen Jeep Cherokee übernommen – und stellten in voller Fahrt den Motor ab. Erst im vergangenen Jahr konnten Doktoranden der TU Berlin Teslas Autopilot hacken. „Rein technisch“ sei es auch denkbar, ein solches Auto als Waffe einzusetzen, sagt die China-Kennerin und Auto-Expertin Beatrix Keim vom CAR-Institut. Gezielte, großflächige Angriffe auf ganze Flotten seien aber nicht bekannt.

    Sicherheitsfachleute warnen schon viele Jahre vor Spionage und Sabotage aus China – und verweisen dabei auf den mutmaßlichen Missbrauch moderner Technik. So stehen die Firmen Huawei und ZTE im Fokus. In den neuen 5G-Kernnetzwerken bei der Telekommunikation dürfen Komponenten dieser IT-Unternehmen ab Ende 2026 nicht mehr verbaut werden. Und auch die Automobilbranche muss sich umstellen, sagen Experten.

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    Deutsche Autoindustrie warnt bei US-Bann auch vor Folgen für hiesigen Standort

    Von chinesischen Herstellern installierte Software in Fahrzeugen öffnet Möglichkeiten des Missbrauchs. Manche sprechen von Autos als „digitale Abhörzellen“. Auch kritische Infrastruktur wie Kraftwerke oder Kasernen könnten im Fokus von Spionage und Datenklau etwa durch Fahrzeugkameras stehen. Belege gibt es dafür in deutschen Sicherheitsbehörden nicht – aber große Befürchtungen. Zwar haben Automobilhersteller auch in Deutschland reagiert, wollen Sicherheit durch standardisierte Verfahren und Kontrollen erhöhen. Zugleich scheiterten mehrere Modelle deutscher Automobilhersteller an den Vorgaben der EU für die IT-Sicherheit.

    Die chinesischen Autobauer BYD und Nio wollten sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Sicherheitsbedenken äußern. Vom Verband der Automobilindustrie (VDA) hieß es, das von der US-Regierung geplante pauschale Verbot bestimmter Fahrzeugkomponenten sei „wenig zielführend“. Ein Verbot bestimmter chinesischer Teile würde auch den Exportstandort Deutschland treffen. „Höhere Kosten und mögliche Verzögerungen bei der Produktion von Fahrzeugen auf dem US-Markt könnten sich nachteilig auf die Kunden auswirken“, so die Sprecherin.