Essen. In der Chefetage gibt es immer noch zu wenig Frauen. Top-Managerinnen erzählen von Hürden, Sexismus und warum eine Quote so wichtig ist.
Brauchen wir noch eine Frauenquote in Deutschland? Sind Männer und Frauen nicht längst gleichberechtigt? Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Frauen sind in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft, insbesondere im Top-Management (Vorständen und Aufsichtsräten), weiterhin deutlich unterrepräsentiert. 2023 hatte nur knapp jede dritte Führungsposition eine Frau inne. Warum ist das so? Wir haben mit Top-Managerinnen darüber gesprochen.
13 Frauen, die es bis an die Spitze in ihrem Unternehmen geschafft haben, stehen am 23. September in der Zeche Zollverein in Essen auf der Bühne, lachen für ein Foto, stellen ihre Visionen vor. Sie wurden in das Netzwerk Generation CEO aufgenommen, das weibliche Führungskräfte in Top-Positionen unterstützt und einen Austausch bietet. Eingeladen hat die Westenergie-Gruppe, deren Vorstandsvorsitzende Katherina Reiche betont, dass „Diversität, Chancengleichheit und Leistungsorientierung“ entscheidend für das Wirtschaftswachstum sind. An diesem Tag soll es um Vertrauen in einer sich wandelnden Wirtschaftswelt gehen – und natürlich auch um die Rolle der Frau darin.
Ist es nicht eigentlich traurig, dass es solche Netzwerke heutzutage noch geben muss?
„Ich sehe solche Netzwerke eher als Chance“, sagt Isabelle Gardt, Geschäftsführer von OMR, eine Medienplattform. Sie hat 2018 die Initiative „OMR 5050“ für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt mitbegründet und sagt: „Es gibt nach wie vor deutlich mehr Männer in Führungspositionen. Wird eine neue Stelle frei, greifen sie dann oft auf ihr etabliertes Netzwerk zurück, das sie zum Beispiel bei Stammtischen pflegen – Orte, die Frauen, insbesondere Mütter, selten besuchen können und dadurch ausgeschlossen werden.“ Deshalb sei es umso wichtiger, dass Frauen eigene Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen.
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Ähnlich sieht das auch Dr. Anusch Arezki, die seit 2023 Teil der Geschäftsführung im Technologiekonzern Thales Deutschland GmbH ist. „Leider bleibt die Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen oft eingeschränkt. Deshalb halte ich den Austausch mit anderen Frauen in ähnlichen Positionen für besonders wichtig – das habe ich in meiner eigenen Entwicklung vermisst. In den letzten zehn Jahren habe ich eine steile Karriere hingelegt und festgestellt: Je höher man aufsteigt, desto einsamer kann es werden. Ein starkes Netzwerk von Frauen ist daher unerlässlich.“
Ist es problematisch, vielleicht nur wegen der Quote eingestellt zu werden?
Um den Frauenanteil in Führungspositionen weiter deutlich zu erhöhen, ist am 12. August 2021 das Zweite Führungspositionengesetz in Kraft getreten. Konkret heißt das zum Beispiel in der Privatwirtschaft: Besteht der Vorstand eines börsennotierten und zugleich paritätisch mitbestimmten Unternehmens mit mehr als 2.000 Beschäftigten aus mehr als drei Mitgliedern, so muss er künftig mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein. Ist es problematisch, vielleicht nur wegen der Quote eingestellt zu werden?
Auf die Frauenquote angesprochen, sind sich die interviewten Frauen nahezu einig: Ohne geht es „leider“ noch nicht. „Früher war ich dagegen, weil ich nicht wollte, dass mein Erfolg allein darauf zurückgeführt wird“, sagt Isabell Gardt. „Heute sehe ich das anders: Ohne eine Quote wird sich nichts grundlegend ändern. Natürlich bedeutet das nicht, unqualifiziert in Positionen gehoben zu werden.“ Es geht darum, gut ausgebildete Frauen die Chancen zu geben, die ihnen zustehen.
„Solange es immer noch Unternehmen gibt, die dass nicht als Problem ansehen, brauchen wir sie noch“, sagt auch Arezki, die in der Technologiebranche, einer eher männerdominierten Branche arbeitet. Was müsste sich da ändern?
„Frauen in meiner Branche müssen sichtbarer werden und junge Frauen aktiv ansprechen. Die Industrie birgt große Chancen, doch es gibt häufig Vorurteile. Es ist entscheidend, für sich selbst einzustehen, Mut zu zeigen und das einzufordern, was man verdient“, sagt Arezki. Doch am Ende zählen natürlich auch Kompetenz und harte Arbeit – für Frauen genauso wie für Männer.“
Was kann jungen Frauen mit auf den Weg gegeben werden, die eine Führungsposition anstreben?
Frauen, die ins Top-Management wollen, kämpfen oft nicht nur mit Vorurteilen, sondern auch mit fehlender Infrastruktur: „Öffentliche Kitas und Schulen bieten selten die nötige Flexibilität. Private Lösungen sind oft der einzige Ausweg, aber gerade junge Führungskräfte können sich das kaum leisten – dabei bräuchten sie gerade zu Beginn ihrer Karriere zuverlässige Betreuung, um durchzustarten“, sagt Arezki. „Vor allem sollten sie sich aber nicht einreden lassen, dass mit Kind keine Karriere möglich ist.“ Deswegen sei es auch wichtig, sich im richtigen Umfeld zu bewegen und nicht in Rollenbilder zu verfallen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
„Es ist entscheidend, dass Frauen an sich glauben und mutiger neue Jobs annehmen. Ich habe beobachtet, dass männliche Kollegen oft forscher sind, wenn es darum geht, Projekte zu übernehmen. Frauen müssen in solchen Situationen Extra-Mut aufbringen, vor allem, wenn sie die einzigen Frauen im Meeting sind“, so Katrin Bacic, CEO bei UNIO Enterprise GmbH, einem Unternehmen, das Satellitenkommunikation für vernetzte und autonom fahrende Fahrzeuge entwickelt. Es sei auch wichtig, Netzwerke frühzeitig zu nutzen und sich nicht von starken Karrieren anderer einschüchtern zu lassen.
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Isabelle Gardt erinnert sich, dass sie in ihrem vorherigen Job in der Tech-Branche teilweise gar nicht als gleichwertiges Mitglied am Tisch betrachtet wurde. „Auf einer Messe hat ein Mann mal zu mir gesagt: Ich könnte mich ja mal auf dem Auto räkeln. So etwas muss man sich nicht gefallen lassen und sollte da auch für sich einstehen.“ Das sei schon Jahre her, es habe sich seitdem viel getan. Sexismus sei aber immer noch ein Thema.
Langjährige Erfahrung auf der Führungsebene hat Daniela Mündler, CEO und Gründerin von samplistick, einem Start-up in der Beauty-Branche. Sie ist langjähriges Mitglied von Generation CEO. Auf ihrem Karriereweg hätte sie sich gewünscht, dass mehr Menschen sie darauf hingewiesen hätten, wie lang und geduldig der Prozess oft ist. „Ich war überzeugt, alles schnell erledigen und rasch Entscheidungen treffen zu müssen.“
„Wenn Männer und Frauen gleich qualifiziert sind, sollten sie auch die gleichen Jobchancen haben“
Mit den Neuzugängen im Jahr 2024 baut Generation CEO seine Präsenz in der deutschen Wirtschaft weiter aus: 110 Mitglieder sind nun in der obersten Führungsebene vertreten – ein Zuwachs von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt noch viel zu tun“, sagt Christina Schrotberger, Vorstand von Generation CEO.
„Wir positionieren uns nicht gegen Männer, sondern setzen uns für Gleichberechtigung und ein Miteinander ein.“
Wenn Männer und Frauen gleich qualifiziert sind, sollten sie auch die gleichen Chancen auf einen Job haben. „Wir positionieren uns nicht gegen Männer, sondern setzen uns für Gleichberechtigung und ein Miteinander ein.“ Eine Mitgliedschaft bei Generation CEO ist über eine Bewerbung möglich – 99 wurden in diesem Jahr eingereicht, 13 Frauen wurden in das geschlossene Netzwerk aufgenommen. Die Vielfalt der Mitglieder ermögliche es, noch stärker Brücken zwischen verschiedenen Sektoren zu schlagen, um so die Wirtschaft zu stärken.