Düsseldorf. Der umstrittene Thyssenkrupp-Chef López geht auf die Stahl-Beschäftigten zu. Krupp-Stiftungschefin Gather warnt vor „Dämonisierungen“.
Thyssenkrupp-Chef Miguel López ist gerade auf dem Weg zum Düsseldorfer Industrie-Club, wo die Wirtschaftspublizistische Vereinigung im Beisein von Ministerpräsident Hendrik Wüst ihr 75-jähriges Bestehen feiert, als ihn plötzlich auf offener Straße drei Stahl-Beschäftigte ansprechen. Einer der Männer trägt eine Maske mit López-Gesicht und verteilt Handzettel, auf denen „Guerilla Stahl“ steht.
Doch was nach Konfrontation riecht, entwickelt sich rasch zu einem konstruktiven Gespräch. Die Stahlarbeiter berichten von ihren Sorgen um den eigenen Job und die Zukunft ihrer Familien. López habe indes auf die schwierige Lage der Stahlindustrie und seine Gesamtverantwortung für den Thyssenkrupp-Konzern hingewiesen, ist später aus dem Umfeld des Managers zu hören. Am Ende der Begegnung gibt López den Mitarbeitern sogar seine Handynummer, um ein weiteres Treffen zu vereinbaren. Dem Konzernchef schwebt vor, gemeinsam Pizza essen zu gehen. Es ist eine versöhnliche Geste nach Monaten der Eskalation bei Thyssenkrupp.
Zu Wochenbeginn hat sich Ministerpräsident Wüst bei Thyssenkrupp eingeschaltet und den Schulterschluss mit den Stahlarbeitern gesucht. Vor dem „Stahlgipfel“ in der Duisburger Mercatorhalle mahnt Wüst, die Beteiligten bei Thyssenkrupp sollten „zurückkommen zu gelebter Mitbestimmung, wie sie Tradition ist in Nordrhein-Westfalen“. Es wirkt, als sei die Botschaft bei López angekommen, als er vor dem Düsseldorfer Industrie-Club die Einladung zum Treffen mit den protestierenden Beschäftigten ausspricht.
Im Veranstaltungssaal kommt es auch zu einer kurzen Begegnung von López und Wüst, bei der der Ministerpräsident erzählt, dass auch er den Masken-Mann getroffen habe bei der Kundgebung vor dem „Stahlgipfel“ in Duisburg.
Dabei ist die Thyssenkrupp-Krise eigentlich nicht das Thema, zu dem die Wirtschaftspublizistische Vereinigung eingeladen hat, wenngleich mit Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather auch eine der wichtigsten Akteurinnen im Konzern auf der Bühne steht, um mit FAZ-Herausgeber Carsten Knop sowie Eon-Chef Leonhard Birnbaum und dem Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis von der IGBCE über das Zusammenspiel von Wirtschaft und Medien zu diskutieren.
„Die Lust am Streit“ sei wichtig für die Demokratie und müsse „belohnt werden“ in der öffentlichen Wahrnehmung, sagt Birnbaum und hält ein flammendes Plädoyer für kommunikative Offenheit. „Wir brauchen mehr Streit um die Sache, damit wir vorankommen“, mahnt der Eon-Chef.
Vassiliadis: „Wir leben wir von der Sachlichkeit“
Es entwickelt sich eine muntere Diskussion, in der Vassiliadis irgendwann sagt: „Wir leben hier von der Sachlichkeit. Ich meine: Was machen wir? Wir verhandeln mit unseren kapitalistischen Freunden über Verträge.“ Am Ende einige man sich, und die Gewerkschaft müsse ihre Mitglieder überzeugen. Dann gehe es um Vertrauen. Am Ende würden der IGBCE Themen wie Standort-Sicherung, Tarifverträge und Zukunftsfragen anvertraut. „Häufig heißt der Job ja: Wir müssen heute schmerzliche Dinge machen, dafür kommt eine bessere Zukunft. Das ist der Deal.“
Ursula Gather bringt das zu Aussagen, die als Bemerkungen zur Lage bei Thyssenkrupp verstanden werden können, auch wenn sie den Namen des Unternehmens, an dem die Stiftung maßgeblich beteiligt ist, nicht erwähnt. Stiftungschefin Gather wirbt jedenfalls dafür, insbesondere „über Fakten“ zu sprechen und über das, was sie „Wirkmechanismen“ nennt – mit Fragen wie: „Was passiert denn, wenn es bestimmte Restrukturierungen gibt?“ Oder: „Kann ein Unternehmen dann wirklich noch in einer fernen Zukunft existieren?“ Das seien berechtigte Sachdiskussionen, so Gather.
Krupp-Stiftungschefin Gather: „Dämonisierungen und Desavouierungen“
„Ich glaube, wir leben aber heute in einer Zeit, wo solche Sachfragen vollkommen überlagert werden durch Personalisierungen“, fügt die Krupp-Stiftungschefin sodann hinzu. Das Wer sei in der medialen Darstellung dann viel wichtiger als das Was. Es komme zu „Dämonisierungen und Desavouierungen“, und es werde dann „überhaupt nicht über die Sache, die Notwendigkeiten und die Zukunft eines Unternehmens“ gesprochen. Ursula Gather hält dagegen: „Man sieht ja, dass die Sozialpartner sehr wohl miteinander Zukunft gestalten können.“
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zeigt sich in seiner Rede vor der WPV nachdenklich. Es müsse darum gehen, einem Vertrauensverlust in Institutionen entgegenzuwirken, sagt er. „Populisten und Extremisten“ zielten auf das „Bild von einem scheiternden Staat“ ab – das beziehe sich sowohl auf die „politische Klasse“ als auch auf „Entscheider aus der Wirtschaft“. Die Antwort darauf müsse „harte Arbeit“ der handelnden Akteure sein, um den Menschen zu zeigen: „Es geht voran.“
Hintergrund – die Wirtschaftspublizistische Vereinigung:
Die Wirtschaftspublizistische Vereinigung (WPV) wurde im Jahr 1949 von 25 Journalisten aus der Region Rhein-Ruhr in Kettwig gegründet, hatte ihren Sitz in den ersten Jahren in Essen und tagt seit Mitte der 1950er Jahre im Industrie-Club in Düsseldorf.
Mit mehr als 180 Mitgliedern ist die WPV eine der größten Vereinigungen ihrer Art in Deutschland. Sie hat laut Satzung zum Ziel, die beruflichen Kenntnisse und das Netzwerk ihrer Mitglieder zu fördern. Die WPV veranstaltet regelmäßig Gespräche mit hochrangigen Managern aus Unternehmen und Verbänden ebenso wie mit Spitzenpolitikern zu aktuellen Themen.
Redner vor der WPV waren unter anderem der legendäre Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen, Daimler-Benz-Lenker Edzard Reuter und der Unternehmer Heinz Nixdorf.