Wolfsburg. Sie ist die erste Frau an der Spitze des VW-Betriebsrats, nun muss Daniela Cavallo Biss zeigen. Dem Konzern stehen raue Zeiten bevor.

VW steckt in der Krise. Der Autobauer schließt Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus, die Beschäftigungssicherung ist nun auch formal Geschichte. Ab Juli des kommenden Jahres könnten die ersten Mitarbeiter ihre Jobs verlieren. Das ist für den so stark mitbestimmten Konzern ein Tabubruch – eine Zeitenwende der negativen Art.

Seit 1994 galt bei VW die Beschäftigungssicherung, bis 2029 war sie vereinbart. Nun soll Schluss sein damit. Dass der bei VW so starke Betriebsrat „erbitterten Widerstand“ ankündigt, ist ein natürlicher Reflex. VW droht damit der heißeste Herbst seiner Geschichte, zumal spätestens im Oktober die Tarifverhandlungen beginnen. An der Spitze des Betriebsrats steht seit 2021 Daniela Cavallo. Sie wird auf der Arbeitnehmerseite das Gesicht dieses Konflikts von historischer Dimension werden.

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Die 49-Jährige ist in der Position der Betriebsratsvorsitzenden in mehrfacher Hinsicht eine Pionierin. Sie ist die erste Frau in dieser Funktion bei Europas größtem Autobauer. Und sie ist die erste Betriebsratsvorsitzende bei VW aus einer Einwandererfamilie. Ihre Eltern stammen aus Kalabrien im Süden Italiens. Ihr Vater kam 1969 als „Gastarbeiter“ zu VW nach Wolfsburg, die Mutter 1973.

Cavallo stammt aus Wolfsburg, machte ihre Ausbildung bei VW

Cavallo ist die älteste von drei Schwestern, wurde in Wolfsburg geboren. Wurden einst Dörfer und Städte rund um die Kirchen gebaut, entstand Wolfsburg rund um das VW-Werk. Der Autobauer ist in Wolfsburg mehr als ein Arbeitgeber. Er war bisher der Garant für Wohlstand und oft auch sozialen Aufstieg. Stadt und Werk sind unlösbar miteinander verschmolzen.

Mitarbeiter protestieren vor Beginn einer Betriebsversammlung in einer Halle im VW-Werk. Bei Volkswagen haben die Chefs Sparpläne.
Mitarbeiter protestieren vor Beginn einer Betriebsversammlung in einer Halle im VW-Werk. Bei Volkswagen haben die Chefs Sparpläne. © DPA Images | Moritz Frankenberg

Daher ist es keine Seltenheit, dass gleich mehrere Generationen einer Familie bei VW arbeiten. Auch Cavallo absolvierte nach dem Abitur ihre Ausbildung bei VW zur Bürokauffrau, bildete sich berufsbegleitend zur Betriebswirtin weiter. Schon früh engagierte sie sich in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, bevor sie in den Betriebsrat wechselte. Der hat bei VW eine ganz besondere Bedeutung.

Das Selbstverständnis und das starke Selbstbewusstsein der Arbeitnehmervertretung bei VW haben historische Wurzeln. Das Geld zum Aufbau des VW-Werks stammte aus dem von den Nazis enteigneten Gewerkschaftsvermögen. Wie es in einer Rückschau der IG Metall heißt, habe der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 1949 nur deshalb darauf verzichtet, seine Eigentumsrechte am Werk einzuklagen, weil eine starke Stellung des Landes Niedersachsen und der Gewerkschaften garantiert wurde.

Italien verlieh VW-Betriebsratschefin Cavallo 2022 einen Orden

Cavallo machte innerhalb der Arbeitnehmervertretung Karriere. 2019 wurde sie stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, 2021 löste sie Bernd Osterloh an der Spitze ab. Sie steht sinnbildlich für den Werdegang vieler Wolfsburger Familien. Weil die Stadt erst 1938 im Quasi-Nirgendwo gegründet wurde, gibt es nur wenige Alteingesessene. Die Allermeisten sind zugezogen. Die italienische Gemeinde in Wolfsburg zum Beispiel galt lange als die größte nördlich der Alpen.

Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrates der Volkswagen AG, ist die erste Frau in dieser Position.
Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrates der Volkswagen AG, ist die erste Frau in dieser Position. © DPA Images | Lars Penning

In Italien ist man stolz auf das Wirken Cavallos. 2022 erhielt sie vom italienischen Botschafter den „Verdienstorden der Italienischen Republik“. In Cavallos Brust schlagen also zwei Herzen. Auf der einen Seite ist sie bekennende Wolfsburgerin. Auf der anderen steht sie sehr unverkrampft zu ihren italienischen Wurzeln, kann mit viel Humor von Reisen ihrer Familie – natürlich im VW – nach Italien berichten.

Die Betriebsrätin ist Mutter zweier Töchter, ihr Mann Francesco hat ebenfalls italienische Wurzeln, arbeitet auch bei VW und engagiert sich für die SPD in der Lokalpolitik. Ihren deutschen Pass erhielt Cavallo erst kurz vor den jüngsten Bundestagswahlen, weil sie nach eigenen Angaben eine zusätzliche Stimme gegen die AfD sein wollte.

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An der Spitze des Betriebsrats trat Cavallo kein leichtes Erbe an. Über viele Jahre hat ihr Vorgänger Osterloh die Arbeitnehmervertretung geprägt. Temperamentvoll bis explosiv ist er keinem Konflikt mit den jeweiligen Vorständen aus dem Weg gegangen. Insbesondere mit dem damaligen Vorstandschef Herbert Diess lieferte er sich Auseinandersetzungen, die in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden.

Cavallo trat als VW-Betriebsratschefin ein schweres Erbe an

Seitdem Cavallo Vorsitzende des Betriebsrats ist, ist es deutlich leiser geworden bei VW. Das liegt an ihrem Stil, das liegt aber auch an der neuen Führungsriege rund um Vorstandschef Oliver Blume. Meinungsverschiedenheiten werden nun intern geklärt, der laute Auftritt liegt weder Blume noch Cavallo – bisher. Das führte aber auch dazu, dass Kritiker Cavallo mangelnde Konfliktbereitschaft vorwarfen.

Doch offenbar beherrscht sie das Umschaltspiel punktgenau. Nach der Ankündigung von VW, die Beschäftigungssicherung zu kündigen und damit Werksschließungen und Entlassungen zu ermöglichen, hielt Cavallo auf der jüngsten Betriebsversammlung eine kämpferische Rede, die auch ihre Kritiker überzeugte. Dabei vermied sie plumpe Klassenkampfrhetorik, sondern verquickte harsche Kritik am „Versagen des Vorstands“ mit einem konstruktiven 5-Punkte-Plan, der VW aus der Krise führen soll.

Auch das hat Tradition bei VW: Der Betriebsrat klagt nicht nur an, sondern legt eigene Strategien vor, wie Dinge besser gemacht, Krisen bewältigt werden sollen. Das brachte den Arbeitnehmervertretern den inoffiziellen Titel des Co-Managements ein. Ganz oben auf Cavallos Liste steht: „Technologieführerschaft zurückerlangen!“. Das wäre schon mal ein Anfang.

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