Lippstadt. Bernard Schäferbarthold, seit Jahresbeginn Chef des Autozulieferers aus Lippstadt, zu Einschnitten und Chancen 125 Jahre nach Gründung.

Der Automobilzulieferer Hella aus Lippstadt feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Das Unternehmen ist Spezialist für Licht und Elektronik und der einzige Hersteller von Scheinwerfern, der noch in Deutschland produziert. Der erste Vorläufer der heutigen digitalen Matrixscheinwerfer war die Karbidleuchte „System Hella“. Mehr als ein Jahrhundert später gehören die Westfalen zu den Technologie- und Weltmarktführern mit ihren Produkten rund ums Auto – und seit über zwei Jahren mehrheitlich zum französischen Forvia-Konzern. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht der Vorsitzende der Hella-Geschäftsführung, Bernard Schäferbarthold, über die Perspektiven für den Standort Deutschland, Veränderungen am Stammsitz in Lippstadt und bei Hella weltweit.

Der Hauptsitz der Firma Hella in Lippstadt. An der Rixbecker Straße sollte neben dem Ziegelsteinbau bereits am neuen Hauptquartier gebaut werden. Das Projekt „Hella-Campus“ steht aber infrage.
Der Hauptsitz der Firma Hella in Lippstadt. An der Rixbecker Straße sollte neben dem Ziegelsteinbau bereits am neuen Hauptquartier gebaut werden. Das Projekt „Hella-Campus“ steht aber infrage. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sie tragen seit Januar die Verantwortung als Vorsitzender der Geschäftsführung. Wie bekommt Ihnen das?

Bernard Schäferbarthold: Mir geht es sehr gut. Die Aufgabe ist spannend. Die Industrie ist in einer Phase der Veränderung, die es aus meiner Sicht historisch so noch nie gegeben hat. Ich kenne Hella seit einigen Jahren als Finanzchef. Es ist die Chance, den Veränderungsprozess voranzutreiben, uns weiterzuentwickeln.

Die Industrie beklagt die Standortbedingungen in Deutschland. Sie nicht?

Meine persönliche Erfahrung ist, dass es sehr unterschiedlich ist, ob ich mich in Deutschland mit Kollegen unterhalte oder im Ausland. Hier bei uns ist das Glas eher halbleer. Umgekehrt ist es sehr beeindruckend, welche Aufbruchstimmung in Ländern wie Indien, Mexiko, den USA oder auch China herrscht. Aber natürlich ist der Markt in Europa im Automobilbereich gerade sehr schwierig.

Liegt es vielleicht auch daran, dass Deutschland als Erfinder des Autos und vieler anderer Innovationen mittlerweile vom Rest der Welt eingeholt wird? Ist der Standort ausgereizt?

Wir waren auch in den besseren Jahren tendenziell kritischer als andere, obwohl es nicht immer Gründe gab. In der aktuellen Phase fällt diese Haltung noch stärker auf. Ich versuche daher für Hella die Chancen, die wir haben, klar zu formulieren. Wir sind ein großartiges Unternehmen, wir haben eine lange Historie und sind heute ein Technologieunternehmen mit Produkten für die richtigen Markttrends. Wir sind global aufgestellt und müssen unsere globalen Chancen nutzen. Die Realität ist, dass die Wachstumsaussichten auf dem europäischen Markt anders sind als wir es vor ein paar Jahren angenommen hatten. Dem müssen wir uns anpassen und die Wachstumschancen in anderen Regionen nutzen. Wir haben es selbst in der Hand und werden das auch schaffen.

Hella ist im vergangenen Jahrzehnt immer stärker als der Markt gewachsen. Wenn man aktuell auf den Aktienkurs schaut, bewegt er sich auf Rekordniveau nahe 90 Euro. Hella scheint es im 125. Jahr des Bestehens so gut zu gehen wie noch nie. Können Sie das bestätigen?

Hella zeichnet aus, dass es einerseits ein Technologieunternehmen ist. Wir stehen seit jeher für herausragende technologische Entwicklungen. Das spiegeln uns die Kunden auch heute noch zurück. Zweitens haben wir uns immer wieder frühzeitig die Frage gestellt, welchen Anpassungsbedarf wir sehen und haben darauf immer sehr schnell reagiert.

Bernard Schäferbarthold

„Jeder vierte der weltweit 37.000 Beschäftigten bei uns ist Ingenieur und arbeitet an neuen Technologien. In Lippstadt ist es sogar jeder zweite. Das ist das Herzstück unseres Unternehmens und bleibt so, aber Innovation allein ist nicht ausreichend.“

Bernard Schäferbarthold

Wenn Sie Vokabeln wie „immer noch herausragend“ und „heute noch“ verwenden, klingt es, als könnte es morgen schon anders sein, richtig?

Nein. Aber wir müssen uns im globalen Wettbewerb immer wieder beweisen. Es bleibt unser Anspruch, deshalb investieren wir auch weiter signifikant in Innovation und Technologie. Jeder vierte der weltweit 37.000 Beschäftigten bei uns ist Ingenieur und arbeitet an neuen Technologien. In Lippstadt ist es sogar jeder zweite. Das ist das Herzstück unseres Unternehmens und bleibt so, aber Innovation allein ist nicht ausreichend. Wir müssen uns immer wieder auch anschauen, wie unsere Kostenstruktur ist. Können wir im Wettbewerb ausreichend Marktanteile erzielen, damit sich Investitionen rechnen. Wir müssen also mit unseren Produkten in Licht und Elektronik immer Nummer eins bis drei im Markt sein.

Bedeutet dies für Deutschland, insbesondere das Lichtwerk in Lippstadt, dass die Produktionsstandorte hier mittel- oder langfristig keine Chance mehr haben? Was ist eigentlich an den anderen europäischen Standorten anders oder besser?

Wenn es darum geht, dass Lichtproduktion in Europa wettbewerbsfähig ist, dann ist es nicht nur eine Frage des deutschen Standortes. Das Lichtgeschäft ist ein projektspezifisches Geschäft. Wettbewerbsfähigkeit in Europa erreichen wir nur über eine größere Standardisierung. Die Entscheidung ist, dass wir alle europäischen Produktionsstandorte umbauen und sie dann sehr spezialisiert sind, um mehr Volumen und eine höhere Auslastung in den Werken zu erreichen. Die Entscheidung für Lippstadt lautet, dass wir uns hier auf innovativste Scheinwerftechnologie konzentrieren. Hier haben wir die Basis der Lichtentwicklung und des Werkzeugbaus. Da sehen wir Vorteile für Lippstadt. Mit der neuesten Technologie können wir hier am Standort wettbewerbsfähig sein. Aber nur im Hochtechnologiesegment.

Standardisierung setzt voraus, dass die Kunden dies akzeptieren.

Die Kunden akzeptieren das. Das hängt auch mit neuen Technologien zusammen. Durch die Einführung von LED kann heute viel über Software gesteuert werden – so lassen sich Differenzierungsmerkmale für jedes Auto erreichen, ohne dass der Scheinwerfer von Grund auf anders sein müsste.

Wie schwierig ist es mit dem zweiten Standbein, der Elektronik, in Deutschland wettbewerbsfähig zu sein?

Die deutschen Standorte sind heute wettbewerbsfähig. Die Möglichkeiten der Standardisierung und Automatisierung sind hier größer. Wir haben eine ausreichende Auslastung. Wichtig wird sein, wie sich der Markt in Europa weiterentwickelt, aber wir sind da zuversichtlich.

Durch den Zusammenschluss mit Fauzrecia zum siebtgrößten Autozulieferer der Welt werden laut Bernard Schäferbarthold bis 2025 u.a. durch gemeinsamen Einklauf Kosten von mehr als 350 Millionen Euro pro Jahr eingespart. Die Hälfte bei Hella.
Durch den Zusammenschluss mit Fauzrecia zum siebtgrößten Autozulieferer der Welt werden laut Bernard Schäferbarthold bis 2025 u.a. durch gemeinsamen Einklauf Kosten von mehr als 350 Millionen Euro pro Jahr eingespart. Die Hälfte bei Hella. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kann Hella im Forvia-Konzern noch eigenständig entscheiden?

Hella ist und bleibt ein unabhängiges Unternehmen. Das wesentliche Entscheidungsgremium ist der Gesellschafterausschuss (Anm. der Redaktion: Fünf von acht Mitgliedern sind Forvia-Beschäftigte). Wir sehen aber, dass wir gemeinsam mit Faurecia unter dem Dach Forvia erhebliche Synergien erzielen. Bis 2025 jährlich über 350 Millionen Euro, die Hälfte davon entfällt auf Hella. Wir gewinnen über die Zusammenarbeit auch neue Kunden.

Das Erscheinungsbild von Hella wandelt sich von blau-gelb zu blau.
Das Erscheinungsbild von Hella wandelt sich von blau-gelb zu blau. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Es gab nicht zuletzt bei der Hauptversammlung Kritik daran, dass das typische Blau-Gelb von Hella immer mehr verschwindet. Ist diese Kritik aus Ihrer Sicht sentimentaler Nonsens?

Wir sehen in der Markenkombination Forvia Hella für Hella selbst den größten Wert. Umfangreiche Marktanalysen belegen, dass dies in der Wahrnehmung unserer Kunden global das für Hella beste Branding ist. Auch bei Mitarbeitern gibt es international eine sehr hohe Akzeptanz für Forvia Hella.

Das gilt auch für die Beschäftigten in Lippstadt?

Auch in Lippstadt wird Forvia als Chance gesehen. Dies zeigen unsere regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen. Die Verunsicherung, die es beim Abschluss der Übernahme noch gab, hat sich gelegt.

Gibt es noch die Überlegung von Faurecia, den Anteil zu erhöhen und dann Hella von der Börse zu nehmen?

Das müssten Sie Patrick Koller (Anm. der Redaktion: Forvia-Vorstandsvorsitzender) fragen. Jüngst hat er sich bei der Faurecia-Hauptversammlung aber so geäußert, dass es keine Pläne gibt, dies zu tun. Im Fokus steht dort zunächst vor allem die Entschuldung.

Wie steht es um den Standort Deutschland insgesamt?

Wir sind ein Hochtechnologieland, nicht nur in unserer Branche. Wir werden auch im Ausland genau so wahrgenommen. Im Automobilbereich schauen beispielsweise die Chinesen immer noch mit großem Respekt auf Deutschland und sehen uns auch noch als starken Technologiepartner. Darauf müssen wir uns besinnen. In dieser Rolle müssen wir bleiben. Wir möchten gerne stärker im asiatischen und amerikanischen Markt wachsen, aber nicht, um in Europa etwas wegzunehmen, sondern um insgesamt robuster zu werden. Unser Umsatzanteil in Europa war im vergangenen Jahr mit 58 Prozent zu hoch. Wir müssen als deutsches Unternehmen in die globalen Märkte liefern.

Alte Gebäude am Hauptsitz von Hella sind bereits abgerissen worden. Auf der Fläche neben dem Ziegelsteinbau sollte ein neues, hochmodernes Hauptquartier entstehen, der „Hella-Campus“. Die Umsetzung in ursprünglich geplanter Form ist mittlerweile wieder offen.
Alte Gebäude am Hauptsitz von Hella sind bereits abgerissen worden. Auf der Fläche neben dem Ziegelsteinbau sollte ein neues, hochmodernes Hauptquartier entstehen, der „Hella-Campus“. Die Umsetzung in ursprünglich geplanter Form ist mittlerweile wieder offen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wie weit ist Hella mit der Umsetzung des Prestige-Projektes „Hella Campus“, dem neuen Hauptquartier in Lippstadt?

Die Abrissabreiten alter Gebäude am Stammsitz gehen voran. Wir arbeiten noch am Gesamtkonzept und der Finanzierung. Das werden wir bald abgeschlossen haben und dann entscheiden, wie wir da weitermachen. Klar ist, Lippstadt bleibt sehr wichtig für uns. Wir wollen investieren, die Frage ist, in welcher Schrittfolge und in welcher Höhe. Es hilft nicht, dass Bau- und Zinskosten weiterhin sehr hoch sind.

Es ist also nicht klar, ob das Projekt, wie vorgestellt, umgesetzt wird.

Wie gesagt: Wir arbeiten aktuell noch am Gesamtkonzept und der Finanzierung.

Wann wird entschieden?

In diesem Jahr auf jeden Fall.

Die Entwicklung von Hella in den vergangenen Jahren