Berlin. Lokführer und Flughafenpersonal streiken Ende der Woche zeitgleich. Die maximale Eskalation ist allerdings noch lange nicht erreicht.
Die neuen Streikankündigungen für das Ende dieser Woche treffen die Menschen hart. Am Donnerstag und Freitag streiken sowohl die Lokführer im Fernverkehr der Deutschen Bahn, als auch das Bodenpersonal der Lufthansa. In beiden Fällen ist es nicht der erste Streik der dahinterstehenden Gewerkschaften, der Arbeitskampf zieht sich in beiden Branchen schon über Monate hin. Warum häufen sich die Streiks gerade so massiv?
„Die Tarifauseinandersetzungen sind schon im letzten Jahr härter als in den Jahren davor geführt worden“, sagt Hagen Lesch, Tarifexperte des Instituts für deutsche Wirtschaft (IW) in Köln. Das Institut steht den Arbeitgebern nahe und misst das Ausmaß der Tarifkonflikte seit 2010 in ausgewählten Branchen mit einem Punktesystem. Lesch sagt: „Seit 2010 haben wir keinen so hohen Konfliktwert wie im letzten Jahr gehabt.“ Für das erste Quartal 2024 gebe es zwar noch keine Auswertung, „aber es deutet sich an, dass wir im laufenden Jahr ein ähnlich hohes Niveau behalten werden wie wir es im letzten Jahr hatten.“
Streik: Beide Konfliktparteien haben ihre Gründe
Die Gründe dafür liegen bei beiden Parteien des Konflikts. Der Aufstand der Arbeitnehmer ist vor allem durch die Inflation bedingt. Wenn die Preise schneller steigen als die Gehälter, vermindert sich die Kaufkraft der Angestellten. Tatsächlich gab es laut Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 2019 wieder ein Reallohnplus – von 0,1 Prozent. Dazu trugen allerdings auch einmalig gezahlte Inflationsausgleichsprämien bei.
Die Arbeitgeber hingegen sind vor allem durch die schwache Konjunktur belastet. Deutschland steckt mitten in einer Rezession, 2023 ging die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent zurück. Das führt dazu, dass Unternehmen seltener zu Zugeständnissen bereit sind, weil sie tendenziell gerade selbst in Not sind. „Wir haben also offensiv agierende Gewerkschaften in einem Umfeld, wo die Unternehmen die Spendierhosen eher etwas enger schnallen“, sagt IW-Experte Lesch. Der aktuelle Fachkräftemangel ist eine zusätzliche Machtressource für die Gewerkschaften.
Unbefristete Streiks wären die maximale Eskalation
Hinzu komme, dass durch die Arbeitskampfmaßnahmen einige Gewerkschaften auch neue Mitglieder gewinnen wollen, was laut Lesch teilweise auch gelänge. „Insofern muss man auch befürchten, dass auch andere Gewerkschaften, die bislang friedfertiger waren, das mal ausprobieren wollen.“
Die aktuelle Häufung der Streiks ist allerdings noch gar nicht die härteste Form des Arbeitskampfes. „Das wären unbefristete Streiks und die haben wir noch gar nicht“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Irene Dingeldey vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.
Streiks im Transportsektor sind für Verbraucher unmittelbar bemerkbar
Dennoch sei die Häufung der Streiks vor allem im Transportsektor natürlich bemerkbar: „Die fallen uns mehr auf, weil wir die Auswirkungen spüren. Und deshalb erscheinen sie uns vielleicht härter.“ In anderen Branchen sind die Auswirkungen eines Streiks natürlich nicht so unmittelbar für die Bürger spürbar.
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In diesem Jahr könnten aber auch abseits des Transportsektors noch Streiks hinzukommen. Laut Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung laufen zwischen Dezember 2023 und Dezember 2024 für knapp zwölf Millionen Beschäftigte allein von den DGB-Gewerkschaften vereinbarte Vergütungstarifverträge aus.
Weitere Tarifverhandlungen stehen dieses Jahr noch bevor
Im September etwa beginnen die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, der größten Tarifbranche mit über 3,6 Millionen Beschäftigten. Ende 2024 laufen die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden (2,4 Millionen Beschäftigte) aus.
IW-Experte Lesch geht dennoch davon aus, dass die bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr weniger Auswirkungen haben werden als die aktuellen Konflikte in den Bereichen Luftfahrt und Bahn. „Wenn die großen Konflikte bei den Fluggesellschaften, der Luftsicherheit und bei der Bahn durch sind, werden wir das nicht mehr so stark merken wie im Moment.“