Berlin. Können sich VW, Mercedes und BMW gegen die neue chinesische Konkurrenz bei E-Autos behaupten? Die Europäische Union prüft Strafzölle.
Wie die deutsche Wirtschaft insgesamt schauen auch Volkswagen, Mercedes und BMW auf einen Boom zurück. „Zwischen den Jahren 2000 und 2017 erlebte die deutsche Autoindustrie goldene Jahre“, sagt Ökonom Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Nun liegen die Mühen der Ebene vor den großen Herstellern und Zulieferern. Wie geht es weiter mit dieser Branche, und was könnte von ihr übrigbleiben?
Viele Unternehmen stecken in einem fundamentalen Umbruch. Während bisher fast alle Autos mit Erdöl fahren, wird in 20 oder 30 Jahren wohl Strom die meisten Fahrzeuge antreiben. Das bringt einen Strukturwandel mit sich, der nicht nur die Technik betrifft, sondern auch die Machtverhältnisse der globalen Wirtschaft. Neue Konkurrenten machen den alten Platzhirschen die Position streitig, beispielsweise das Unternehmen BYD aus China. Die Lage scheint so angespannt, dass Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, untersuchen lassen will, ob chinesische Firmen ihre Fahrzeuge zu künstlich niedrigen Preisen anbieten.
Für die deutsche Wirtschaft ist der Umbruch existenziell. Denn die Autoindustrie hat hierzulande eine große Bedeutung. Rund 800.000 Beschäftigte arbeiten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei den Autokonzernen, den großen Zulieferern wie Bosch und Continental und zahlreichen kleineren Firmen. Das sind gut zehn Prozent aller Arbeitsplätze der Industrie.
Zehn Prozent der Industrie-Arbeitsplätze hängen mit dem Autobau zusammen
Je nach Berechnung hängen vier bis zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes an der Fahrzeugproduktion. Der erhebliche Anteil kommt daher, dass auch viele Unternehmen weiterer Branchen wie Metall-, Glas oder Kunststoffherstellung mittelbar von Aufträgen der Autohersteller leben. Das bedeutet andererseits jedoch: 90 Prozent der hiesigen Wirtschaft erarbeiten ihren Wohlstand mit anderen Produkten als dem Auto.
Profitiert haben VW, Audi, Porsche, Mercedes und BMW dabei vor allem „vom Wachstum des chinesischen Marktes“, erklärt Ökonom Puls. Seit 2018 bauen die hiesigen Hersteller sogar mehr Fahrzeuge in China als im Heimatland. Besonders dieser Vorteil sicherte ihre Position unter den größten Autoproduzenten der Welt. Mit jeweils etwa zehn Millionen gefertigten Pkw konkurrierten das japanische Unternehmen Toyota und VW aus Wolfsburg um die Nummer Eins weltweit.
In den vergangen fünf Jahren traten dann allerdings Probleme auf. Im Vergleich zu 2018 gingen die Stückzahlen zurück, sagt Puls. Zunächst sanken die Verkäufe wegen der Corona-Pandemie und den nachfolgenden Engpässen beim weltweiten Transport und bei den Zulieferungen aus verschiedenen Ländern. Aber auch die Transformation zur Elektromobilität birgt Herausforderungen. Neue Unternehmen wie Tesla aus den USA sowie die chinesischen BYD, SAIC und Geely nehmen den deutschen Autokonzernen Marktanteile ab. Möglicherweise haben sich die Deutschen auch zu langsam auf die Strecke der Elektromobilität begeben, weil sie ihr erfolgreiches fossiles Geschäftsmodell ausreizen wollten.
Neue Konkurrenz, technischer Wandel – Wie stark ist China?
Jetzt sind sie mit dieser Realität konfrontiert: In China, dem größten Automarkt der Welt, kamen die Deutschen 2022 im Segment der Elektroautos nur auf einen Anteil von fünf Prozent. Deshalb geht mittlerweile die Angst um: Denn die Chinesen stellen nicht nur konkurrenzfähige elektrische Klein- und Mittelklasse-Pkw her, sondern schicken sich an, das Premium-Segment der teuren, großen Fahrzeuge anzugreifen, in dem die Deutschen eine besonders starke Stellung halten.
Wie groß ist die Gefahr nun? „Die deutschen Hersteller und Zulieferer beherrschen die E-Mobilität“, beschwichtigt Oliver Falck vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. „Es ist nicht so, dass sie beim weltweiten Absatz von Elektroautos völlig abgeschlagen wären, sondern sie finden sich unter den Top 10 Herstellern.“
Verschiedene Studien liefern unterschiedliche Szenarien für die nächsten Jahrzehnte. Diese reichen vom möglichen Verlust von 100.000 bis 200.000 Auto-Arbeitskräften in Deutschland bis zur optimistischen Einschätzung, dass die Zahl der Beschäftigten insgesamt auf heutigen Niveau gehalten werden kann. Ökonom Falck bringt allerdings ein wichtiges Argument: Der Wechsel vom Verbrennungs- zum E-Motor bedeutet, dass die Herstellung grundsätzlich einfacher und damit weniger arbeitsintensiv wird.
Zukünftige Strategie der deutschen Automobilindustrie ist noch offen
In der Gesamtschau – neue Konkurrenz, technischer Wandel – kommt er zu dieser Einschätzung: „Ein gewisser Bedeutungsverlust“ der hiesigen Autoindustrie sei „nicht ganz unwahrscheinlich“. Das kann man auch als gute Nachricht lesen: VW, Mercedes und BMW werden nicht implodieren, sondern die Transformation überleben.
Die Strategie auf dem Weg dorthin ist noch in der Diskussion. Manche Experten meinen, die deutschen Hersteller sollten sich auf die großen, teuren E-Auto-Modelle konzentrieren, mit denen mehr Gewinn zu machen sei. Den neuen Produzenten aus China könne man dann die billigeren Marktsegmente der kleinen und mittleren Fahrzeuge überlassen. Ralph Obermauer, Experte beim Vorstand der Industriegewerkschaft Metall, findet das falsch: „Vom Luxus allein kann die deutsche Autoindustrie nicht leben.“ Wenn sie freiwillig „auf die wachsenden Volumenmärkte für E-Autos verzichte“, schneide sie sich „auf Dauer von industrieller Wertschöpfung und Beschäftigung für die deutschen Standorte ab“.
Auch der Sinn eines Handelsstreits über Autos mit China ist strittig. Das von EU-Kommissionspräsidentin angekündigte Verfahren mag Zeit in Anspruch nehmen, aber an seinem Ende könnte Europa Strafzölle auf chinesische Import-Fahrzeuge verhängen, um dortige Staatssubventionen zugunsten der Hersteller auszugleichen. „Das wäre ein gefährliches Spiel“, sagt Ökonom Falck. Denn wie würde die Regierung in Peking antworten? Höhere Importzölle in China könnten die Verkaufschancen deutscher Autos zusätzlich schmälern.