Berlin. Wer im Job unzufrieden ist, denkt häufig an eine Kündigung. Eine Alternative ist das sogenannte „Job Crafting“. Wie das funktioniert.

Hohe Stressbelastung, Unzufriedenheit mit den eigenen Aufgaben, schlechtes Arbeitsklima – immer mehr Menschen sind von ihrem Job frustriert. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Ernst & Young kam Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass 17 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland mit ihrer Arbeitsstelle unzufrieden sind – deutlich mehr als noch zwei Jahre zuvor.

Auch die Motivation der Mitarbeitenden sank im Vergleich zur vorhergegangenen Befragung. Demnach gab fast jede dritte Person an, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen oder sogar demotiviert zu sein.

Die logische Schlussfolgerung daraus ist oftmals ein Jobwechsel. Doch eine Kündigung muss nicht automatisch zu einer Verbesserung der Arbeitszufriedenheit führen – sagt zumindest Christian Thiele. Der Coach und Berater für Führungskräfte schlägt stattdessen vor zu überprüfen, wie sich der aktuelle Job verändern lasse – mit dem sogenannten „Job Crafting“.

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„Eine Kündigung ist immer ein Risiko, weil man nie weiß, wie die Arbeit bei einem anderen Unternehmen tatsächlich aussieht“, sagt Thiele, der auch ein Buch zum Thema „Job Crafting“ geschrieben hat. Beim „Job Crafting“, was sich sinngemäß in etwa mit „die Arbeit gestalten“ übersetzen lässt, gehe es darum, den eigenen Job nicht als unveränderbar zu betrachten, sondern als formbar, erklärt der Coach: „Job Crafting heißt, kleine Anpassungen der eigenen Tätigkeit vorzunehmen, um Stärken, Leidenschaft und Kompetenzen mehr in den Job einzubringen und damit zufriedener, leistungsfähiger, gesünder arbeiten zu können.“

„Job Crafting“: Bei fast jeder Tätigkeit gibt es Möglichkeiten zur Optimierung

Entwickelt haben das Konzept unter anderem die beiden amerikanischen Psychologinnen Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton. Die Forscherinnen stellten in einer Studie unter Reinigungskräften in Krankenhäusern fest, dass diese, obwohl sie den gleichen Job ausübten, ihre Arbeit ganz unterschiedlich wahrnahmen – je nachdem, wie sie ihre Aufgaben für sich selbst gestalteten und interpretierten.

„Oftmals haben wir deutlich mehr Spielräume und Veränderungsmöglichkeiten als uns bewusst ist“, sagt Thiele. In vielen Fällen auch in Bereichen, von denen man es zunächst nicht denken würde. „Natürlich gibt es Tätigkeiten, die mehr Freiräume zulassen und solche, die sehr stark reguliert sind. Aber auch da lassen sich durchaus kleine Stellschrauben finden“, sagt Thiele.

Christian Thiele ist Coach und hat unter anderem ein Buch zum Thema „Job Crafting“ geschrieben.
Christian Thiele ist Coach und hat unter anderem ein Buch zum Thema „Job Crafting“ geschrieben. © kenny-pool.de

Mit einer kleinen Übung anfangen

Wer unzufrieden mit dem eigenen Job sei, könne mit einer kleinen Übung starten, erklärt der Coach. Dafür brauche mal nur ein paar Klebenotizen und ein Blatt Papier. Zuerst notiere man alle Aufgaben, die man in den vergangenen zehn Tagen erledigt hat, auf den Notizzetteln. Dann zeichne man auf dem Papier zwei Achsen ein, sodass sich ein großes Kreuz bilde. „Die eine Achse gibt die Energie an, die einem eine Aufgabe gegeben oder genommen hat und die andere Achse die Zeit, die man für die Aufgabe benötigt hat“, erklärt Thiele.

Anschließend sortiere man alle Aufgabenzettel in die entsprechenden Felder ein. Interessant seien dann vor allem zwei Bereiche, sagt der Berater: „Zum einen die Tätigkeiten, für die sehr viel Zeit draufgeht, die aber nur sehr wenig Energie bringen. Und zum anderen solche, die man sehr selten macht, die einem aber richtig Freude bereiten.“

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Nicht nur Arbeitnehmende können profitieren – auch der Arbeitgeber

Im nächsten Schritt gehe es dann darum zu prüfen, wie sich das eigene Aufgabenprofil verändern ließe. Gibt es vielleicht die Möglichkeit, mehr von den Aufgaben zu übernehmen, die einem Freude bereiten? „Bei Tätigkeiten, die sehr viel Energie ziehen, kann man sich stattdessen fragen, wie sich die Arbeit erleichtern ließe“, so Thiele. Möglicherweise gebe es im Team eine Person, der gerade diese Tätigkeiten Spaß machen und die diese gerne übernehmen möchte. Manchmal helfe es aber auch schon, die Reihenfolge der Aufgaben zu verändern, erklärt der Coach, oder Aufgaben, die einem schwerfallen, mit einer Kollegin oder einem Kollegen gemeinsam zu machen.

Oftmals sei es zudem sinnvoll, das Gespräch mit den Vorgesetzten zu suchen. „Es ist aktuell eine gute Zeit, um Veränderungen im Job durchzusetzen“, erklärt der Coach. Das liege zum einen am Fachkräftemangel, zum anderen aber auch daran, dass sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren gewandelt habe. „Gerade in der Pandemie wurden Freiräume entdeckt, die wir vielleicht vorher gar nicht für möglich gehalten hatten“, so Thiele. Und: In der Regel profitiere auch der Arbeitgeber davon, wenn Mitarbeitende motivierter seien. „Wichtig ist, dass es beim Job Crafting nicht darum geht, Aufgaben bloß loszuwerden, um weniger zu arbeiten, sondern darum, produktiver zu werden und Kompetenzen besser zu nutzen.“

„Job Crafting entbindet Arbeitgeber nicht von ihrer Fürsorgepflicht“

Selbst wenn Führungskräfte sich querstellen würden oder kein Weg an unbeliebten Aufgaben vorbeiführe, gäbe es noch Möglichkeiten zur Verbesserung, sagt Thiele. Dann gehe es darum, den eigenen Blickwinkel auf den eigenen Job zu wechseln. „Ich kann mich zum Beispiel fragen, welche Bedeutung meine Tätigkeit für die Kunden hat. Welchen Mehrwert schaffe ich vielleicht damit?“, führt er aus.

Doch auch beim „Job Crafting“ gebe es Grenzen, sagt Thiele: „Job Crafting entbindet Arbeitgeber nicht von ihrer Fürsorgepflicht oder davon, faire und gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten.“ In einigen Fällen führe kein Weg an einer Kündigung vorbei – etwa wenn es Verstöße gegen das Arbeitsrecht gebe oder Arbeitsvorschriften nicht eingehalten würden. „Wenn so etwas auftritt, kann auch mit Job Crafting nichts mehr erreicht werden“, sagt Thiele. Ist das jedoch nicht der Fall, sei es nie zu spät für eine Veränderung: „Auch wenn ich in fünf Jahren in Rente gehe, sind das immer noch fünf Jahre Lebenszeit, in denen ich deutlich zufriedener sein könnte.“