Bad Berleburg. . Schulen und Museen schließen, junge Leute suchen das Weite. Zehn bis zwanzig Prozent Rückgang sagen die Demografen für die nächsten Jahre voraus. Nun versuchen Bürgermeister, Pfarrer und Ehrenamtliche, die Attraktivität der Kleinstadt im Wittgensteiner Land zu erhalten.

Nein, man sieht es der Stadt nicht an. Besonders wenn man sie in der ersten Frühlingssonne zwischen den Bergen liegen sieht. Adrett herausgeputzt, mit viel Fachwerk und Schiefer, obendrein das Schloss, die fürstliche Residenz derer zu Sayn-Wittgenstein. Und doch lauert hinter diesen schmucken Fassaden der Niedergang. Bad Berleburg und seine 23 Dörfer erleiden bereits jetzt, was anderen Regionen in Nordrhein-Westfalen noch droht: Bad Berleburg sterben die Menschen weg. Die Stadt schrumpft.

Der Mann ist ein Anpacker. Gekommen, um die städtische Jugendarbeit auf Vordermann zu bringen. Als seine Mission erfüllt ist, 2004 ist das, bittet ihn die örtliche CDU zu bleiben. Und so wird aus dem Stadtjugendpfleger Bernd Fuhrmann der Bürgermeister dieser Stadt. Parteilos versteht sich. Offenbar ist genau das eine gute Voraussetzung, diese Aufgabe anzugehen. Denn eine Stadt und ihre Infrastruktur zu stutzen, eine hochverschuldete Kommune noch dazu, ist nicht unbedingt ein Job, der Freunde schafft.

Ein "Schrumpfungskeil" von Ost nach West

„Wir wohnen hier eine Stunde Fahrt von den Autobahnen entfernt. Die nächste Universität ist weit weg!“, sagt Fuhrmann und schildert damit schon das ganze Dilemma der Region. Bad Berleburg, das ist irgendwie das Ende der Welt. Eine gute Stunde juckelt man durch Dörfer, Wälder und über Berge, bis man endlich dort ist. Kein Wunder also, dass die Jungen weggehen und die Alten immer älter werden. Weiter östlich im Elsoff-Tal feiert Pfarrer Kötter längst Ü-100-Partys, weil die vielen Jubilare längst die magische Altersgrenze überschritten haben.

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Bürgermeister Fuhrmann also begleitet das Städtchen im Wittgensteiner Land in einem äußerst schmerzhaften Prozess. Da müssen Museen, Schulen wie Gemeindehäuser geschlossen, vielleicht sogar abgerissen werden, was im Normalfall allenortens auf Widerstand und Tränen stößt. Und gleichzeitig soll die Region so attraktiv bleiben, dass nicht noch mehr junge Leute das Weite suchen. Dass sie vielmehr nach ihrem Studium wieder zurückkehren.

22 000 Einwohner zählte Berleburg in seinen besten Zeiten, inzwischen liegt es deutlich unter 20 000. Weitere zehn bis zwanzig Prozent Rückgang sagen die Demographen für die nächsten Jahre voraus. „Was macht man da? schließt man ganze Dörfer zu?“, fragt also Fuhrmann. Im Moment schließt sich manches von ganz allein. „Wir beobachten, wie sich ein Schrumpfungskeil von Ostdeutschland nach Westen rüberschiebt. Man sieht es in Bad Berleburg. Nur nicht auf den ersten Blick. In vielen Häusern lebt nur noch ein einziger, alter Mensch“, sagt Hilde Schröteler-von Brandt, Professorin für Stadtplanung an der Universität Siegen.

Viele übernehmen ehrenamtliche Aufgaben

Mit „Meine Heimat 2020“ hat sich die Stadt nun ein Programm verpasst, das eigene Überleben zu wagen. Um das 7,5 Millionen Euro starke jährliche Defizit bis 2018 abzubauen, sollen unter anderem pro Jahr fünf kommunale Immobilien verkauft werden. „Gleichzeitig gucken wir genau hin, wo, in welchem Dorf, wir Schwerpunkte definieren. Wo fassen wir Schulen zusammen, wo halten wir kleine Unterzentren mit Geschäften aufrecht“, erklärt der Bürgermeister.

Das alles geht natürlich nur mit, nicht gegen die Bürger. Im Dorf Aue etwa haben die Bewohner der Stadt das Mähen der Wiesen abgenommen. In den Dörfern rund um das abgelegene Elsoff gibt es 200 Ehrenamtliche, die alte Leute besuchen und Kinder bei den Hausaufgaben betreuen. Andernorts schließen sich Fußball-Vereine zusammen, weil sie sonst keine Elf mehr aufstellen könnten.

Überhaupt Elsoff! Das über 950 Jahre alte Bilderbuch-Dorf liegt zwanzig Autominuten entfernt von Bad Berleburg in einem Tal. Mittendurch fließt die Elsoff, rechts und links überdauern die alten Höfe die Zeit. Pfarrer Ralf Kötter hatte sich 1997 bewusst entschieden, hier hinzugehen. „Hier kann man noch was bewegen!“, sagt er.

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Und bewegt hat er schon eine Menge. Er installierte das Modell der Gemeindeschwestern, die sich mit vielen Ehrenamtlichen um die Alten in den Dörfern kümmern. Er sorgte dafür, dass andere Freiwillige einmal wöchentlich mit dem Generationenbus ältere Leute zum Einkaufen nach Bad Berleburg bringen und die Kinder zur Übermittagbetreuung ins Gemeindezentrum.

Hohe Lebensqualität

Kleine Erfolge, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass sich die Häuser an der zentralen Vogteistraße leeren, dass sie, einmal verwaist, oft nicht verkauft werden können. Demnächst werden in den Dörfern rundherum Schulen, Kapellen, Leichenhallen und Friedhöfe dicht gemacht. Und auch das Elsoffer Kirchlein, das da schneeweiß auf einem Hügel über dem Dorf thront, ist bald ein Relikt. „5000 Euro Heizkosten im Jahr, das geht nicht mehr!“, sagt Pfarrer Kötter.

1997 kam er mit Frau und Kindern nach Elsoff, weil ihm das Dorf und die Möglichkeiten dort verheißungsvoller erschienen als ein alternativ angebotener Job in Berlin. Auch heute noch lobt Kötter die hohe Lebensqualität in seinem Dorf. Gerade für Familien. Doch der 52-Jährige weiß, was der demographische Wandel Bad Berleburg und seinen Menschen zumutet. „Es ist eine Zerreißprobe!“, sagt er und: „Dass es gelingt, Leute zu bewegen, hier hin zu ziehen, ist vermutlich illusorisch. Es ist schon ein Erfolg, wenn die Menschen nicht weggehen.“