Siegen/Bad Berleburg. Im Kreistag steht die Zukunft des Artenschutzprojektes erneut auf der Tagesordnung. Es gibt Kritik an Bad Berleburg und dem Landrat.
Wie man‘s macht, macht man‘s verkehrt! Das könnte der Leitspruch über die politischen Diskussionen rund um das Wisentprojekt sein. Am 1. Dezember wird das Insolvenzverfahren über den Trägerverein eröffnet. Doch mit dem Ausscheiden des Vereins aus der Trägerstruktur - oder sollte man sagen, aus der Verantwortung für die Wildrinder - geht das Tauziehen erst richtig los. Im Kreistag am 15. Dezember wird eine heiße Diskussion erwartet. Denn die Meinungen in den neun Fraktionen liegen weit auseinander. Im Grunde gibt es zwei Lager.
„Der Handlungsdruck ist offenkundig“, sagt der Vorsitzende der CDU-Kreistagsfraktion Herrmann-Josef Droege. Nach wie vor ist die gemeinsame Linie von CDU, Grünen, FDP und „Wir Bürger für Siegen-Wittgenstein Liberal Konservativ“, dass man das Projekt jetzt nicht sang- und klanglos beenden will. „Für einen Abbruch des Projektes gibt es im Kreistag keine Mehrheit“, sagt Droege. Sie pochen darauf, dass der Runde Tisch mit seinen Moderatoren Ursula Heinen-Esser und Johannes Remmel seine bisherige Arbeit fortsetzt „um zügig alle Fragen für eine neue Trägerstruktur auszuloten“, so Droege. Allerdings, und das macht Droege auch unmissverständlich klar, „der Arbeitsauftrag ist ergebnisoffen“. Das sei bei der bisherigen Vorstellung der Ergebnisse nicht deutlich genug kommuniziert worden.
Was Droege am meisten ärgert, ist, dass sich NRW-Umweltminister Oliver Krischer „wegduckt“. Droege wünscht sich endlich eine Entscheidung in diesem seit zehn Jahren schwelenden Streit um die Herde. Fast wortgleich kritisiert auch Guido Müller als Fraktionschef der FDP im Kreistag den NRW-Umweltminister. Nur wünscht sich Müller eine ganz konsequente Haltung: „Ich wünsche mir, dass Krischer die Herrenlosigkeit der Tiere feststellt.“
Müller positioniert sich klar für den Erhalt des Artenschutzprojektes und fordert wie die anderen drei Fraktionen auch, „dass der runde Tisch unverzüglich seine Arbeit wieder aufnimmt“. Nur klingt es bei Müller nicht nach „ergebnisoffen“: „Ich kenne kein Projekt in Siegen-Wittgenstein, das so positiv aufgeladen ist, wie die Wisente“, sagt Müller und hofft auf eine Konstellation: „Ich wünsche mir ein Gespräch mit den ehemaligen Umweltministern Remmel, Heinen-Esser, dem aktuellen Minister Krischer und Landrat Andreas Müller, um die Möglichkeiten der Herrenlosigkeit auszuloten und eventuell auch über den Nationalpark zu verhandeln“. Müller betont, dass die Vermehrung der Wildrinder beweise, dass die Tiere in der Region angekommen seien und möchte Kritikern auch eine Angst nehmen: „Herrenlosigkeit heißt nicht, dass kein Management möglich ist“.
Land wollte sich an Kauf der Wildrinder beteiligen
Nach Informationen dieser Redaktion soll aus Düsseldorf immerhin ein Angebot gekommen sein. Der Kreis könnte die Tiere im wirtschaftlichen Eigentum übernehmen und das Land wolle dann 80 Prozent von einem 400.000 Euro Budget übernehmen, in dem Kauf und Management für zwei Jahre finanziert wären. Dem Vernehmen nach soll die Insolvenzverwalterin 500 Euro pro Tier als Kaufpreis angeboten haben. Genau das aber wird nicht passieren. In Gesprächen mit den Kreistagsfraktionen hat sich ein klares Bild gezeigt: Für eine solche Übernahme gibt es keine Mehrheit. Ein Grund dafür ist auch die nicht abschließend geklärte Frage, ob durch das Eigentum an den Tieren auch eine Rechtsnachfolge des Trägervereins gekoppelt wäre. Sprich: Müsste der Kreis dann eventuell auch die Kosten von noch nicht vollstreckten Rechtstiteln gegen den Trägerverein tragen.
„Wir als SPD wollen kein Eigentum an den Tieren erwerben“, sagt der Fraktionsvorsitzende Julian Maletz. Der Kreis Siegen-Wittgenstein müsse auch kein Eigentum erwerben, weil er die Tiere ohnehin über die Kreisveterinär-Behörde in Obhut nehmen müsse, wenn sich keiner mehr kümmere. Sorgen macht der SPD auch die finanzielle Dimension einer neuen Managementstruktur. Die koste geschätzt eine halbe Million Euro im Jahr.
Im Frühjahr werden es 53 Tiere sein
Aktuell soll die Herde gesichert 40 Köpfe haben, aber 13 Tiere seien ebenso gesichert trächtig und kalbten im Frühjahr. Dann würde die im öffentlich-rechtlichen Vertrag festgeschriebene Herdengröße sogar um mehr als das Doppelte überschritten. Um die Herde wieder auf ein vereinbartes Maß zurückzuführen, sollen die Tiere eingefangen und in Familiengruppen in andere Projekte vermittelt werden. Das aber gestaltet sich schwierig, weil die genetische Herkunft nicht immer genau nachgewiesen ist. Letztlich, und da sind sich Droege und Maletz einig, werde es nicht ohne die vom Runden Tisch ausgeschlossene letale Entnahme möglich sein.
Nach wie vor steht zunächst der Beschluss des Kreistages, mit dem Runden Tisch weiter nach einer neuen Trägerstruktur für das Projekt zu suchen: Neben dem Kreistag hatte auch die Stadt Bad Berleburg im Rat entschieden, sich an der Fortführung des Projekts auch finanziell zu beteiligen, bis eine neue Trägerstruktur gefunden sei. Hinter vorgehaltener Hand kursiert dazu auch ein Termin: März 2024 soll eine endgültige Entscheidung fallen.
Zum Stand des Prozesses erläutert der Kreis Siegen-Wittgenstein auf Anfrage: „Derzeit laufen zunächst die Bemühungen zur Bildung einer Übergangsträgerstruktur, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der damit einsetzenden Handlungsunfähigkeit des Trägervereins die Versorgung der Tiere und das Herdenmanagement bis zur möglichen Bildung einer das Projekt dauerhaft übernehmenden Trägerlösung sicherstellt. Erst danach können die Bemühungen zum Aufbau einer evtl. langfristigen Folgeträgerstruktur intensiviert werden.“
Fakt ist aber, dass die Stadt Bad Berleburg mit Haushaltsmitteln von 75.000 Euro für das Jahr 2024 deutlich unter dem Ansatz des Kreises geblieben ist. Der Kreis hatte im Grunde eine 50:50-Beteiligung und grob gerechnet 100.000 veranschlagt. Dass die Beteiligung der Stadt Bad Berleburg nicht auskömmlich sei, kommentierte der Kreis wie folgt: „Das ist von der Kreisverwaltung in ähnlicher Wiese wahrgenommen worden, allerdings lässt 1. die Beschlussfassung der Stadt Interpretationen zu, und 2. wird man das in der Zukunft in Kenntnis einer sich dann evtl. abzeichnenden Trägerstruktur noch einmal im Detail diskutieren müssen.“
Dass durch den Ausfall des Trägervereins die Winterfütterung der Wisente in Gefahr ist, scheint vom Tisch. Auch wenn dafür monatlich rund 8000 Euro gezahlt werden müssen. 2022/23 konnte der Kreis noch den Förderverein des Wisentprojektes beauftragen und dieser konnte dafür die Wisentranger des Vereins als Fachpersonal bezahlen.
Winterfütterung ist finanziert
„Richtig ist, dass die z.B. im vergangenen Winter gefundenen Lösungen angesichts der unmittelbar bevorstehenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Trägervereins Wisent-Welt-Wittgenstein e.V. für die Zukunft ausfallen. Es bestehen aber keine Zweifel daran, dass eine Versorgung der Tiere sichergestellt wird“, heißt es aus dem Kreishaus zu dieser Frage.
Eine Schlüsselrolle in einer neuen Trägerstruktur käme der Wittgenstein Berleburg‘schen Rentkammer und Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg zu, die die Flächen für das Wisentprojekt zur Verfügung stellen. Beide äußern sich auf Anfrage der Redaktion nicht zum Stand der Gespräche über die Zukunft des Wisentprojektes.