Wittgenstein. Experten der Polizei erklären, warum Cybergrooming so gefährlich ist und wie man seine Kinder vor sexuellen Übergriffen schützen kann.

Aktuell schlägt ein Prozess vor dem Landgericht Gera hohe Wellen, der mit Cybergrooming angefangen hat. Ein 23-jähriger Mann hat 2010 auf der Internetplattform „SchülerVZ“ eine 13-jährige Schülerin der Bad Laaspher Realschule kennengelernt. Für das Mädchen wird aus dem Chat Liebe. Das Paar flieht sogar und wird nach Wochen von der Polizei gefunden. Weil es „einvernehmlichen Sex“ gegeben hat, wird der Mann später wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt. Aktuell folgt ein weiterer Prozess, weil er das Mädchen über Jahre hinweg weiter missbraucht haben soll. Das Besondere ist, wie die Beziehung im Internet angebahnt wurde. Heute nennt man das Cybergrooming. Der Pressesprecher der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein, Stefan Pusch, erklärt wo Gefahren liegen und wie sich Jugendliche und Eltern schützen können.

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Warum ist Cybergrooming so gefährlich?

Die Gefährlichkeit ist darin zu sehen, dass der Täter eine „fiktive Identität“ annimmt. Das Opfer kennt den Täter nicht persönlich und geht von einer falschen Annahme bezüglich der Person des anderen aus. In den meisten Fällen besteht ein großer Altersunterschied. Im Internet, in Chatrooms kann man sich leicht mit einer fake-Identität ausstatten und aus dem 45-jährigen Mann wird ein 12-jähriges Mädchen. Der Täter nimmt sozusagen eine „digitale Identität“ abweichend von der „realen Identität“ an. Die Täter schaffen durch einen zeitlich als auch persönlich sehr intensiven Kontakt via Chat sowie durch eine hochgradig manipulative Kommunikation ein „Vertrauensverhältnis“ zu den Opfern, was oftmals in einer regelrechten Abhängigkeit mündet.

Wo und wie findet Cybergrooming statt?

Cybergrooming ist die Anbahnung sexueller Kontakte durch Erwachsene, die sich als Gleichaltrige ausgeben, mit Kindern und/oder Jugendlichen über das Internet, lautet die Definition des Bundeskriminalamts. Cybergrooming findet im Internet auf Chatportalen, Messengern, Gaming Plattformen, Social Media usw. statt, quasi immer da, wo Jugendliche und Kinder im Netz aktiv sind.

Woran erkenne ich eine typische Masche?

Cybergrooming stellt sich zunächst als Kontaktaufnahme einer unbekannten Person zu dem Jugendlichen oder Kind dar. Die Person nutzt in aller Regel eine falsche Identität und gibt sich als ungefähr gleichaltrige Person aus. Ist etwas Vertrauen aufgebaut, kommt es zu sexuellen Aufforderungen, z.B. dem Übersenden von Nacktfotos oder/und dem Ziel, sich zu einem späteren Zeitpunkt im realen Leben zu treffen.

Wie können Eltern ihre Kinder vor Anbahnungsversuchen im Netz schützen?

Eltern sollten allgemein darüber informiert sein, wo sich die Kinder und Jugendlichen heutzutage im Netz „aufhalten“, welche Apps sie nutzen, welchen Gefahren die Kinder ausgesetzt sein können und mit ihren Kindern darüber sprechen. Eltern sollten ein Vertrauensverhältnis zu ihren Kindern aufbauen und festigen, damit die Kinder sicher sind, jederzeit ihre Eltern ansprechen zu können. Eltern können ihre Kinder bei der Einrichtung von Handys, PC, Apps usw. auf Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen hinweisen oder ihnen bei den Einstellungen helfen. Das setzt natürlich eine entsprechende Information der Eltern voraus.

Mädchen, Teenager mit Handy und Sprechblasen, Cybergrooming
Mädchen, Teenager mit Handy und Sprechblasen, Cybergrooming © Getty Images / iStockphoto | Thais Machado Getty istock

Was soll ich machen, wenn ich bei Tiktok, Instagram, Facebook angeschrieben werde?

Man sollte ein gesundes Misstrauen an den Tag legen. Nicht jede Person wird eine „wirkliche“ Freundin, ein „wirklicher“ Freund sein. Spätestens wenn einem etwas komisch vorkommt, sollte man überlegen, was der Grund sein könnte, warum man angeschrieben wird. Man kann Anfragen von fremden Personen auch ablehnen oder ignorieren.

Wie komme ich aus einer solche „Beziehung“ wieder heraus?

Man kann den Kontakt jederzeit und sofort abbrechen. Man sollte sich den Eltern oder anderen Bezugspersonen, zum Beispiel Freunden, vielleicht sogar Lehrern usw., anvertrauen. Wichtig ist, sich zu verinnerlichen, dass man nicht allein ist. Es gibt in den sozialen Medien Melde- und Blockiersysteme, die man nutzen kann oder sollte. Da die Täter in der Regel nicht nur ein Kind oder Jugendlichen kontaktieren, sondern mehrere, sollte man bei Cybergrooming Anzeige erstatten. Cybergrooming ist eine Begehungsform des Straftatbestandes „Sexueller Missbrauch von Kindern“ und sollte bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden.

Wo kann ich Hilfe bekommen?

Im Rahmen der polizeilichen Kriminalprävention betreiben wir Aufklärung. Konkret halten wir z.B. Vorträge im Rahmen der Beteiligung an Schulprojekten über das Phänomen des Cybergroomings. Im Strafverfahren stehen die Opferschutzbeauftragten der Polizei mit Rat und Tat, z.B. über den Ablauf eines Strafverfahrens den betroffenen Kindern und Jugendlichen zur Seite. Es gibt örtliche Beratungsstellen, Institutionen, bei denen man Information und Hilfestellungen bekommen kann, z.B. die Beratungsstelle „Mädchen in Not“, Erziehungsberatungsstellen, die „Ärztliche Beratungsstelle in der DRK Kinderklinik“. Es gibt im Internet zu diesem Thema gute Seiten, z.B. Juuport, Schau hin, Klicksafe, Polizei für dich, Hilfetelefon sexueller Missbrauch. Wichtig ist, sich zu verinnerlichen, dass die die Kinder und Jugendlichen nicht schuld an den Absichten der Täter sind. Sie können nichts dafür!