Gera/Bad Berleburg. In Gera wird ein alter Fall aus Wittgenstein neu aufgerollt. Eine Richterin erklärt Besonderheiten dieses Falles mit einem minderjährigen Opfer.

Es ist ein ungewöhnlicher Kriminalfall: Ein heute 35-jähriger Mann muss sich aktuell für schwere Gewalttaten vor dem Landgericht im thüringischen Gera verantworten, die er zum Teil vor mehr als zehn Jahren begangen haben soll und für die er zum Teil schon einmal vor dem Schöffengericht in Bad Berleburg stand und auch verurteilt worden ist. Niemand kann zweimal für das gleiche Verbrechen verurteilt werden. In diesem Fall aber ist alles komplizierter.

Es geht um den damals 22- bzw. 23-Jährigen, der die damals noch 13-Jährige im Internet kennen lernt. Der junge Mann hat die aus dem hessischen Wiesenbach stammenden Schülerin der Realschule Schloss Wittgenstein damals schwer sexuell missbraucht. Zwar fand der Geschlechtsverkehr einvernehmlich statt, aber weil das Mädchen damals noch keine 14 Jahre alt war, blieb es bei einer Verurteilung in einem minderschweren Fall des sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe.

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Jetzt muss der Fall neu aufgerollt und die Geschichte einer „verbotenen Liebe“ neu geschrieben werden. So scheint es. Das Paar blieb trotz des Urteils zusammen und hat auch ein gemeinsames Kind. Allerdings zeigte die heute 26-jährige Frau ihren damaligen Freund 2017 an. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft ihm jetzt aufgrund der Aussagen der Zeugin vor, im Zeitraum von Mitte Juli 2010 bis November 2013, die im Tatzeitraum 13- bis 16-jährige Geschädigte in neun Fällen schwer sexuell missbraucht sowie diese seit Vollendung ihres 14. Lebensjahres in 32 Fällen vergewaltigt zu haben. Außerdem soll es im Dezember 2011 in einer Einrichtung in Kassel noch zur einer weiteren Vergewaltigung gekommen sein. Der Mann soll dabei nicht nur Sex mit seiner jungen 14-jährigen Freundin, sondern zeitgleich auch mit einer gleichaltrigen Freundin seiner Freundin gehabt haben. Das lief aus dem Ruder und ist ebenfalls als Vergewaltigung angeklagt.

Neue Fälle in der Anklage

Die Sprecherin des Landgerichtes Gera – Richterin Caroline-Sophie Graf-Jena – erläutert, warum der Fall ungewöhnlich ist: „Das Strafverfahren vor dem Amtsgericht Bad Berleburg hatte überwiegend einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit dem minderjährigen Tatopfer zum Gegenstand (§§ 176, 176c StGB). Im nunmehr laufenden Strafverfahren vor dem Landgericht Gera geht es dagegen überwiegend um Vergewaltigungstaten (§ 177 StGB), also Geschlechtsverkehr gegen den erkennbaren Willen des Tatopfers unter Gewaltanwendung. Das Tatopfer ist jedoch identisch.“

Der Angeklagte befinde sich seit Januar 2023 in Untersuchungshaft. „Zuvor wurde jedoch eine Freiheitsstrafe in anderer Sache vollstreckt. Der Angeklagte befindet sich also länger in Haft, als die Untersuchungshaft andauert“, so Richterin Graf-Jena.

Mitangeklagt ist eine Leistungserschleichung von 5000 Euro

Mitangeklagt ist auch eine Leistungserschleichung: Während eines Haftaufenthaltes soll der Mann gut 5000 Euro vom Jobcenter erschlichen haben, indem er sich nicht vom Hartz-IV-Bezug abgemeldet hatte. Zum Zeitpunkt der Betrugstaten befand er sich zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von neun Monaten in Haft.

Bei dem Fortsetzungstermin am vergangenen Mittwoch stand die Aussage des Opfers, der aus dem hessischen Wiesenbach stammenden Nathalie, im Vordergrund. Es stehen noch 21 weitere Termine mit zahlreichen Zeugenvernehmungen bis weit in den November auf dem Plan. Insgesamt kommt bei einer Verurteilung sogar Sicherungsverwahrung in Betracht, hieß es beim Prozessauftakt. Das Urteils wird am 29. November erwartet.