Wittgenstein. Kommt die Vier-Tage-Woche nach Wittgenstein? So sehen Firmenchefs aus der Region die Auswirkungen für Mitarbeiter und den Industriestandort.
Für viele Arbeitnehmer ist es eine Traumvorstellung: weniger Arbeit, mehr Freizeit, gleicher Lohn. Über die Vier-Tage-Woche wird derzeit europaweit diskutiert. Was so schön klingt, ist – wie vieles – in der Realität meist schwierig umzusetzen. Testphasen in Ländern wie Großbritannien, den USA oder Irland zeigen, dass es funktionieren kann und durchaus Vorteile für die Mitarbeitenden hat. So werden in Island, wo die Vier-Tage-Woche durchaus üblich ist, weniger Burnouts und andere psychische Erkrankungen bei den Arbeitnehmern gemeldet. Varianten bei der Umsetzung gibt es viele, zwei Modelle der Vier-Tage-Woche sind jedoch weit verbreitet: Entweder bleibt die Wochenarbeitszeit gleich und wird auf vier Arbeitstage verteilt oder die Arbeitszeit wird verringert – bei vollem Lohnausgleich. Nicht zuletzt die IG Metall forderte eine Einführung der Vier-Tage-Woche mit Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden. Wie sehen Wittgensteiner Unternehmen die Einführung einer Vier-Tage-Woche?
So schätzen Wittgensteiner Firmenchefs die Auswirkungen ein
„Technisch sei fast alles möglich“, sagt Christian Kocherscheidt, Geschäftsführer von Ejot. Aber es gebe auch immer Vor- und Nachteile. Die Umsetzung in einem Unternehmen wie Ejot sei schwierig, da sie „sehr teure Maschinen und Anlagen haben, die möglichst rund um die Uhr genutzt werden sollten, damit sie wirtschaftlich sind“. Bei einer Vier-Tage-Woche mit einem Drei-Schicht-Betrieb und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden könnte die Situation wie folgt aussehen: „Entweder verzichten die Mitarbeiter auf Geld oder man erhöht die Kosten pro Stunde. Zusammen mit dem Mehrbedarf an Personal oder der kürzeren Laufzeit von Maschinen verteuert man weiter unsere Produktionskosten“, erklärt Kocherscheidt.
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Das sieht auch der Geschäftsführer der Firma Osterrath in Saßmannshausen so. Die Einführung einer Vier-Tage-Woche sei „kostenerhöhend, inflationstreibend und beschleunige die bereits begonnene Abwanderung von Firmen aus Deutschland“, so Jan Roland Osterrath. Er befürchte eine weitere Benachteiligung des Standortes. „Betrieblich gesehen wird eine weitere Reduzierung der Arbeitszeit den bestehenden Fachkräftemangel weiter verschlimmern und schwache Firmen weiter schwächen“, so Osterrath. Für ihn sei die Forderung der IG Metall eine „Ideologie aus der populistischen Mottenkiste, Abteilung Sozialismus. Denn wer würde nicht gerne nur vier Tage bei vollem Lohnausgleich arbeiten?“
Vier-Tage-Woche gleich mehr Stress für Arbeitnehmer?
Den Wunsch der Arbeitnehmer, einen Tag weniger die Woche zu arbeiten, stehen die örtlichen Unternehmer kritisch gegenüber. „Durch die bereits erfolgte Arbeitsverdichtung in den Unternehmen ist die Belastung der Mitarbeiter naturgemäß gestiegen, denn die Arbeit ist ja nicht weniger geworden. Sie muss nur in immer weniger Stunden geschafft werden. Dies führt mitunter zur Überlastung, innerer Kündigung und gar nicht so selten zu Burnout“, erklärt Jan Roland Osterrath. Arbeitszeitverkürzung sei deswegen ein Irrweg und schädige am Ende die Motivation und Produktivität der Mitarbeiter, so Osterrath weiter.
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Ob eine Vier-Tage-Woche die Motivation der Mitarbeit steigen lasse, sieht Christian Kocherscheidt als Einzelfall-Entscheidung: „Das hängt vom jeweiligen Mitarbeiter ab. Denjenigen, die in ihrer Arbeit aufgehen, an ihr wachsen und sich über ihre Arbeit mit definieren, wird es nicht leichtfallen. Denjenigen, die in ,Work-Life-Balance’ denken, wird es entgegenkommen. Da ist es Wochenend- oder Urlaubsverlängerung. Solange das nicht zu finanziellen Einbußen führt, wird sie es freuen.“ Er sieht aber auch die Gefahr, dass in Bereichen, die vom individuellen Arbeitstempo abhängig sind, „der Druck erhöht wird, in kürzerer Zeit die Aufgaben zu bewältigen“.
Mehr Personal wegen kürzerer Arbeitszeit benötigt
Ein weiteres Problem sei die Verteilung der Arbeitszeit: „Am Wochenende und in der Nacht wird immer weniger gern gearbeitet. In Bereichen mit Maschinenbedienung wird es Beschäftigte geben müssen, die vermehrt in unbeliebten Zeiten die entstehenden Lücken füllen müssen“, so der Ejot-Geschäftsführer. Um die notwendigen Laufzeiten erreichen zu können, müssen zusätzliche Facharbeiter beschäftigt werden: „Und das bei einem immer enger werdenden Facharbeitermarkt.“
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Was also für die Arbeitnehmern erstrebenswert ist, ist aus unternehmerischer Sicht mit mehr Kosten und vor allem mit mehr Mitarbeitern verbunden. Deswegen fällt das Fazit zur Einführung einer Vier-Tage-Woche in den Wittgensteiner Industrieunternehmen negativ aus. „Eine generelle Umstellung führt zu einer deutlichen Kostensteigerung“, sagt Christian Kocherscheidt. Diese könne man auf die Kunden umlegen, was wiederum zur einer schleichenden Abwanderung von Produktionen an kostengünstiger Standorte führe, so der Geschäftsführer. „Wir kämpfen in Deutschland in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld: Wir haben hier die höchsten Löhne und Gehälter, die höchsten Lohnnebenkosten, mit die schlechtesten steuerlichen Rahmenbedingungen und ausufernde Bürokratie“, so Kocherscheidt, „Da müssen wir unsere Anstrengungen darauf richten, unseren Standort attraktiver zu machen.“ Die Vier-Tage-Woche würde die schwierige Situation nur weiter verschärfen.
Das Fazit der Wittgensteiner Unternehmen
Die „Praxisferne solcher Ideen“ erkenne man auch daran, dass niemand dem deutschen Vorbild der 35-Stunden-Woche gefolgt sei, so Jan Roland Osterrath. Anders sehe er die Chance, wenn zum Beispiel China als „wichtigster internationaler Wettbewerber“ den Vorstoß in die Vier-Tage-Woche wage, dann „könnte man darüber reden“, sagt Osterrath.
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Aktuelle Gespräche zur Einführung einer Vier-Tage-Woche gibt es laut Auskunft der Unternehmen in Wittgenstein bisher nicht. Dirk Pöppel, CFO bei Regupol BSW in Bad Berleburg sagt klar: „Bei der Regupol BSW GmbH ist eine Vier-Tage-Woche derzeit nicht in Diskussion.“ Die Vier-Tage-Woche in der Industrie wird sich also kaum in nächster Zeit in Wittgenstein durchsetzen und bleibt für viele Arbeitnehmer doch nur eine Wunschvorstellung.