Göreme/Konya. Auf ihrer zweiten Etappe durch die Türkei erlebt die Bad Laaspherin sowohl Grausames als auch Schönes. Warum ein Traktor für Witti-Feeling sorgt.
Als Lisa Achatzi im türkischen Kusadasi mit ihrem Fahrrad von der Fähre steigt, muss sie tief durchatmen. Zwar waren es von der griechischen Insel Samos nur 45 Minuten, doch hatten die es in sich: „Es war eine winzige Fähre und der Seegang war grauenvoll. Ich hatte wirklich Schiss.“ Achatzi hatte zuvor in einem Flüchtlingscamp gearbeitet. Ihre Gedanken kreisen die ganze Zeit darum, wie gerade wieder Menschen in kleinen Bötchen die Überfahrt wagen: „Es ist für mich immer noch unvorstellbar, dass alle Menschen, mit denen ich auf Samos gearbeitet, gemalt und gebastelt, gelacht, getrauert und geredet habe, diesen Weg auf sich genommen haben.“ Ein Blick in die Wellen der Ägäis reicht Achatzi aus, um sich schlimmste Szenarien vorzustellen.
Sie tritt deshalb nicht direkt wie ein Radprofi in die Pedalen, sondern lässt es für Körper und Geist ruhig angehen, oder wie sie es formuliert: „110 Kilometer aufwärmen.“ Und während sie so vor sich hinradelt, überholt sie plötzlich ein Polizeiauto und zwingt sie zum Anhalten. Achatzi muss sich ausweisen und erklären, warum sie allein unterwegs ist. „Das ist sehr gefährlich!“, antwortet ihr einer der vier Polizisten. Erst als sie erzählt, dass sie schon alleine durch Südamerika, Europa und Marokko gefahren ist, wird ihr erstaunt zugenickt.
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Am Abend kommt sie entspannt in Akbük an. Als sie in einem Restaurant nach einem Platz für ihr Zelt fragt, bieten ihr die Besitzerin und ihre Mutter direkt ein Stück Wiese vor dem Lokal an. Die Drei plaudern und trinken Tee zusammen. Am Abend bekommt Achatzi Essen an ihre Zelttür gebracht. Es ist die Ruhe vor dem Sturm – und das nicht nur sprichwörtlich.
Echtes „Witti-Feeling“
Auf dem Weg nach Mugla fährt es sich zunächst reibungslos, doch als sie in Richtung Berge abbiegt, kämpft sie mit heftigen Winden. Auch ist kein Seitenstreifen vorhanden und Achatzi wird von Lastwagen eingekesselt: „Ich habe dann schnell gemerkt, dass es viel zu gefährlich ist. In der Zwischenzeit hatte ich zudem eine SMS bekommen, die vor Gewitter und Sturzfluten warnte.“ Achatzi bricht die Tortur ab und fragt bei Leuten in der Nähe eines Gebäudes nach Lösungen. Darunter ist Yann, ein gebürtiger Straßburger, der seit sieben Jahren in der Türkei lebt und eine Olivenöl-Manufaktur leitet. Er hilft sofort und während er alle Optionen für Achatzi abtelefoniert, fährt ein Traktor mit Anhänger vorbei. Sekunden später liegt ihr Fahrrad auf der Ladefläche. Yann hat mit dem Bauern alles geregelt: „Ich wurde dann nach Milas mitgenommen und saß dabei auf dem Trecker – echtes Witti-Feeling also!“
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Einige Tage später kommt Achatzi in Kappadokien an. Googelt man diese Landschaft, springen einem viele Superlative entgegen: Magisch! Spektakulär! Traumhaft! Prägend sind die Felsformationen, auch als Feenkamine bekannt, die einst von den Vulkanen Hasan Dagi und Erciyes erschaffen wurden. Die Stadt Göreme gilt als Zentrum Kappadokiens und wurde 1985 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Den touristischen Massen auf Jeeps, Quads oder zu Ross geht Achatzi aber bewusst aus dem Weg und genießt das Naturschauspiel beim Wildcampen.
Riesige Viecher
„Schöner wird’s nicht“, heißt es oft schon in der Vorahnung, dass sich das bald ändern könnte. Und kaum verlässt Achatzi Kappadokien, begrüßt sie das Pech mit voller Wucht – und großer Schnauze: „Überall freilaufende Kangals – anatolische Hirtenhunde! Riesige Viecher mit Stachelhalsbändern, mit denen sie nachts die Schafe vor den Wölfen beschützen. Sie sind in Scharen auf mich zugerannt, alle zehn Kilometer wurde ich attackiert.“ Das Besondere an Kangals ist, dass sie nicht mit den Schäfern heimkehren, sondern draußen bei der Herde bleiben. Sie kommen tagelang ohne Futter aus und sind durch ihre ständige Alarmbereitschaft chronisch aggressiv und unberechenbar.
Achatzi schreibt: „Hunde aus der Hölle!“ Nach 150 Kilometern Husarenritt erreicht Achatzi fix und fertig einen Caravan-Park, wo sie auf einer Wiese ihr Zelt aufstellen darf. Doch als sie sich ihr Abendessen zubereitet, steht plötzlich ein Kangal vor ihr, schaut sie freundlich an und starrt auf ihr Räuchertofu. Allen schlimmen Erfahrungen zum Trotz siegt Achatzis Tierliebe: „Ich gab ihm ein Stück. Als Dank markierte er mein Zelt.“