Wittgenstein. Zwangsläufig machen die Vögel auf dem Weg in die Brutgebiete Rast. Und den Tieren sei nicht zu helfen, so Michael Frede, Biologische Station.

Den Kranichen, die auf ihrem Vogelzug vom Süden zurück in ihre ost- und nordeuropäischen Brutgebiete wegen des schlechten Wetters derzeit zwangsläufig Rast in Wittgenstein machen, ist nicht zu helfen. Das bestätigt auf Nachfrage unserer Redaktion Diplom-Geograf Michael Frede, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein in Kreuztal.

Über Wittgenstein sind derzeit viele Kraniche zu beobachten – bei ihrem Vogelzug von den Winterquartieren in Nordfrankreich und Spanien zurück nach Ostdeutschland und Nordeuropa zu ihren Brutgebieten, so der Naturschutzbund (NABU). Ihr Weg führt dabei zwar normalerweise eher über hessisches Gebiet, doch scheinen die Tiere in diesem Jahr eine etwas andere Route zu nehmen und dabei auch bei uns im Altkreis Flugpausen einzulegen. Bei diesigem Wetter wie derzeit oft, haben die Tiere aber auch so ihre Probleme, sich zu orientieren.

Frede: Verletzte Tiere sehr wehrhaft

„Leider kann man Kraniche bei Extrem-Wetterlagen nicht vom Landen abhalten, da sie zwangsläufig nichts oder kaum etwas sehen“, so Frede. So sei es beispielsweise „grundsätzlich verboten, die gesetzlich geschützten Tiere beispielsweise mit Lärm oder Scheinwerfern vom Landen abzuhalten“. Dies würde nur die Panik der Vögel erhöhen und wäre somit absolut kontraproduktiv, erläutert der Experte.

Und „verletzte Kraniche, die nicht zu unterschätzende, wehrhafte Vögel sind“, sollten laut Frede „nur von Menschen aufgegriffen und erstversorgt werden, die Erfahrung mit dem Handling von Großvögeln haben“. Anschließend müssten die Tiere zu speziellen Aufnahme-Einrichtungen transportiert werden, wo sie artgerecht und medizinisch versorgt werden könnten. Adressen von entsprechenden Einrichtungen finden sich nach Angaben Fredes zum Beispiel auf der Seite des NABU-Kreisverbandes Siegen-Wittgenstein unter „Hilfe für verletzte und gefährdete Tiere“.

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„Wenn die Kraniche tagsüber fliegen, sind die Bergkuppen noch frei“, erklärt Thomas Müsse aus Birkelbach, Hobby-Vogelkundler und 2. Vorsitzender des NABU Siegen-Wittgenstein. Doch in den letzten Tagen sei es bei tiefhängenden Wolken abends und nachts sehr nebelig gewesen. „Dann können die Tiere weder den Horizont noch die Sterne erkennen und sind entsprechend unruhig.“ Eigentlich wollten die Kraniche ja „im lockeren Flug übers Rothaargebirge – und sitzen dann hier fest“. Obendrein sei für die bis zu 1,30 Meter großen Vögel mit einer Flügelspannweite bis zu 2,40 Metern „ein Runtergehen auch nicht immer einfach, weil die ja auch Freiflächen brauchen“.

Ein Schwarm Kraniche ist auf einer Wiese bei Womelsdorf zwischengelandet. „Sie könnten je nach Wetterlage durchaus noch drei, vier Tage hierbleiben, bis es wieder aufklart und die Orientierung wieder da ist“, sagt der Vogel-Experte vom NABU.
Ein Schwarm Kraniche ist auf einer Wiese bei Womelsdorf zwischengelandet. „Sie könnten je nach Wetterlage durchaus noch drei, vier Tage hierbleiben, bis es wieder aufklart und die Orientierung wieder da ist“, sagt der Vogel-Experte vom NABU. © Matthias BöHL

Klimawandel verschiebt Vogelzug

Könnten Zugvögel denn auch schon einmal auf einer regennassen Straße zur Zwischenlandung ansetzen? Im Internet kursieren jedenfalls Chats von Autofahrern, nach denen auf der Bundesstraße B 62 zwischen Erndtebrück und Altenteich neulich um Mitternacht „Schneegänse“ oder „Störche“ vom Himmel und dabei auch auf Autos gefallen oder auf der Straße herumgelaufen seien. Schneegänse kommen allerdings eher nicht in Europa, sondern vor allem in Nordamerika vor. Könnte es sich hier um Kraniche oder Störche gehandelt haben? Daran glaubt Thomas Müsse nicht. „Was wir hier mal hatten, waren Sterntaucher, die die nasse Fahrbahn mit einem Fluss verwechselt haben“, erinnert er sich. Aber das sei schon ein paar Jahre her.

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Ganz klar ist für Müsse mit Blick auf die Kraniche: „Die Vögel ziehen jetzt früher als noch vor 20 Jahren“, als sie meist erst Ende März unterwegs gewesen seien. Mit dem Klimawandel habe sich da etwas deutlich verändert: „Die Tiere können länger im Übersommerungsgebiet bleiben und kehren auch schneller wieder dahin zurück.“ Manche überwinterten mittlerweile schon an der Elbe statt im Süden Europas. Für die aktuellen Rückkehrer-Schwärme gehe es jetzt erst einmal Richtung Ostseeküste und dann nach Skandinavien. Und dann seien da oft noch „einzelne Tiere, die den Abflug verpennt haben“, weiß Müsse aus Erfahrung. Die schlössen sich aber in der Regel so schnell wie möglich „dem nächsten Trupp von Kranichen wieder an“.

Einige der Kraniche bei Womelsdorf aus der Nähe betrachtet. Die Vögel können bis zu 1,30 Meter groß werden, ihre Flügel eine Spannweite von 2,40 Metern erreichen.
Einige der Kraniche bei Womelsdorf aus der Nähe betrachtet. Die Vögel können bis zu 1,30 Meter groß werden, ihre Flügel eine Spannweite von 2,40 Metern erreichen. © Matthias Böhl

Energie sparen

„Bis zu 250.000 Kraniche werden es in den kommenden Wochen sein, die über Hessen hinweg ziehen“, meldet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) aktuell in seinem Internet-Auftritt.

Sie seien besonders gut bei südwestlichen Winden und sonnigem Wetter zu beobachten. Da ließen sich die Vögel vom Wind tragen und könnten so Energie sparen.

Was die Schwärme betreffe, die in den letzten Tagen auf Wiesen bei Womelsdorf und nahe Wemlighausen gesichtet wurden, sagt Müsse: „Sie könnten je nach Wetterlage durchaus noch drei, vier Tage hierbleiben, bis es wieder aufklart und die Orientierung wieder da ist.“

Unterdessen habe der NABU „festgestellt, dass der Kranichzug im Herbst schon ein bisschen nachgelassen hat“, so der Birkelbacher Vogelkundler. Dann zögen die Schwärme nämlich oft nördlich und südlich an Wittgenstein vorbei. Und das liege viel am Wetter.

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Wichtig zu wissen – etwa für Spaziergänger, Wanderer oder Neugierige: „Wenn die Kraniche irgendwo unterwegs sind, sollte man sie nicht stören und näher drangehen“, mahnt Müsse. Hunde sollten ferngehalten und angeleint werden. Denn: Jedes Aufscheuchen der Tiere bedeute für die Vögel kräftezehrende Flügelschläge, die ihnen beim Weiterfliegen Energie kosteten.

Keilförmige Formation

„Ziehende Kraniche kann man an ihrer keilförmigen Formation und den trompetenartigen Rufen erkennen“, erläutert der Naturschutzbund Deutschland. Bei günstigen Flugbedingungen zögen die Vögel „ohne Zwischenhalt von Nordfrankreich bis nach Ostdeutschland“.

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Übrigens: Wenn bereits Ende Januar Kraniche beobachtet würden, so der NABU weiter, sei nicht immer klar, ob es sich noch um Überwinterer handele – oder vielleicht schon um Rückkehrer.

Werden wir so etwas wie die Zwangspausen für die Kraniche wegen des Klimawandels demnächst häufiger erleben, vielleicht auch mit anderen Tierarten? „Das ist eine Frage, die professionelle Meteorologen besser beantworten können“ findet Michael Frede – „zumal dieses Phänomen dem Auftreten von schnell einsetzenden Schlechtwetter-Ereignissen während des Kranich-Durchzuges im Frühjahr und Herbst geschuldet ist, insbesondere dichtem Nebel“.

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