Richstein. Politische Rente bedeutet das aber nicht. Sittler über knifflige Situationen – und den Unterschied zwischen Siegerländern und Wittgensteinern.

Michael Sittler macht Ernst. Nach 18 Jahren soll Schluss sein. Der Kommunalpolitiker will den Fraktionsvorsitz der SPD abgeben – in jüngere Hände. Aufhören will der Richsteiner seine politische Arbeit im Kreistag und auch im Bad Berleburger Stadtrat aber nicht. Wir haben mit Sittler über seine Motive gesprochen, darüber ob Wittgensteiner und Siegerländer unterschiedlich ticken und was er am früheren Wittgensteiner CDU-Landrat Breuer und dem jetzigen Siegerländer SPD-Landrat Andreas Müller schätzte bzw. schätzt. Über seinen Nachfolger oder die Nachfolgerin will sich Sittler aber nicht äußern. „Das wäre eine Vorfestlegung“, sagt er und verweist auf die bevorstehende Wahl in der Fraktion.

Sie geben nach 18 Jahren den Vorsitz der Kreistagsfraktion auf, warum?

Michael Sittler: Nach 18 Jahren müssen mal andere, jüngere Leute ran. Und diesen Wechsel sollte man nicht kurz vor der Kommunalwahl machen, damit diese Personen in das Amt des Fraktionsvorsitzenden hineinwachsen können und damit eine Chance haben, auch in der Öffentlichkeit präsent zu sein. So ein Fraktionsvorsitzender bekommt mehr Veranstaltungseinladungen als ein normales Kreistagsmitglied. Deswegen ist jetzt der richtige Zeitpunkt.

Eine Staffelstabübergabe während des Rennens...

Michael Sittler (Mitte) bei einer Sitzung des Kreistags Siegen-Wittgenstein.
Michael Sittler (Mitte) bei einer Sitzung des Kreistags Siegen-Wittgenstein. © Hendrik Schulz | Hendrik Schulz

Genau. Ein weiterer Punkt ist auch, nach 18 Jahren ist auch ein Stückweit die Luft raus. Da gibt es Verschleißerscheinungen, man ist vielleicht nicht mehr so engagiert, hat vielleicht auch weniger Visionen und Ideen. Wenn man das erkennt, tut man sich der Fraktion und auch der Partei keinen Gefallen, wenn man an einem solchen Posten festhält. Vielleicht gibt es andere Personen, die neue und andere Impulse setzen können. Und davon profitieren alle.

Wenn Sie auf 18 Jahre Kreistag zurückblicken, was sind da die wichtigsten Ereignisse, Erlebnisse?

Ich bin Fraktionsvorsitzender geworden, als ich in den Kreistag gewählt worden bin. Ich hatte keine Erfahrung in und mit der Kreispolitik. Ich bin sozusagen ins kalte Wasser gesprungen. Es war damals nicht mein erklärtes Ziel, Fraktionsvorsitzender zu werden. Aber die Partei hat gesagt, wir trauen dir das zu, mach das mal. Zu diesem Zeitpunkt war ich Fraktionsvorsitzender in Bad Berleburg und hatte dann zweieinhalb Jahre zwei Fraktionen zu führen. Da musste ich schnell erkennen, dass das nicht funktioniert. Zwei Fraktionen vorzustehen, strapaziert nicht nur das Zeitkonto sehr stark. Ich habe dann den Fraktionsvorsitz in Berleburg abgegeben, um mich mehr der Kreistagsarbeit zu widmen.

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Aber was bleibt davon hängen?

Zu der Zeit war Paul Breuer Landrat und die SPD in der Opposition. CDU, FDP und UWG haben immer wieder gegen uns Mehrheiten gebastelt. Und wir waren mit 19 Mandaten nicht ganz klein, aber nicht in der Verantwortung. Haben trotzdem, aus meiner Sicht auch sehr erfolgreich, Politik für Siegen-Wittgenstein gemacht. Aber die Arbeit schon war eine andere als sie es heute ist, wo die SPD den Landrat stellt.

Eine Klischeefrage: Stellen Sie Unterschiede zwischen Wittgensteinern und Siegerländern fest?

Die Mentalitäten werden vielleicht unterschiedlich sein, aber das war in der Fraktion nie ein Thema. Wenn, dann nur mit einem lachenden Auge. In der politischen Arbeit spielte das keine Rolle. Da ging es um Themen, die den Kreis bewegten. Wir haben versucht, die nach vorne zu bringen und da haben wir daran gearbeitet, gemeinsam für die SPD sprachfähig zu sein. Ob ein Thema eher für Wittgenstein oder für das Siegerland war, spielte dabei keine Rolle. Die vielzitierte Rivalität zwischen Siegerländern und Wittgensteinern ist in meinen 18 Jahren nie zu Tage getreten.

Sie sind Stadtverordneter und Kreistagsmitglied, wie bringen Sie beides unter einen Hut?

Ich halte das Doppelmandat für gut. Es ist wichtig, wenn ein Stadtverordneter weiß, was in den eigenen vier Wänden gespielt wird, wenn er mit diesem Wissen dann auch in dem Kreistag aktiv ist. Es gibt Parteien, in denen man kein Doppelmandat haben soll. Ich habe immer gesagt, man kann unterm Strich nur davon profitieren, wenn es im Kreistag Personen gibt, die wissen was im Kreis und in der Kommune auf der politischen Agenda steht.

Kommunalfinanzen sind immer ein wichtiges Thema für Sie gewesen: Wie erklären Sie den Stadtverordneten, warum die Anhebung der Erhöhung der Kreisumlage richtig ist?

Das ist der Spagat, den man machen muss. Der Kreis übernimmt Aufgaben für die Kommunen, die finanziert werden müssen. Das beste Beispiel ist das Jugendamt, die differenzierte Kreisumlage. In dem Bereich hat sich in den letzten Jahren ein massiver Kostenanstieg entwickelt, der von der kommunalen Familie gedeckt werden muss. Da kann man sich die Frage stellen, warum ist das so. Haben wir irgendwelche gesellschaftlichen Probleme nicht gelöst? Diese Diskussion muss man aber auf anderen Ebenen führen. Dieses System kostet halt Geld, dass man auf die Kommunen umlegen muss. Am Ende der Diskussion sieht jeder ein, dass es ohne Kreisumlage nicht funktioniert.

Und umgekehrt: Wie machen Sie den Kreistagsmitgliedern begreiflich, dass die Kommunen an der Belastungsgrenze sind?

Du kommst mit einem Votum aus Deiner Stadtverordnetenversammlung nach Siegen und sagst: Freunde, das können wir so nicht machen. Und wenn das gute Argumente sind, und man im Kreishaushalt einen Spielraum entdeckt, bei dem man sagt, das brauchen wir jetzt nicht oder man sagt, wir müssen mehr in die Verschuldung, sprich in die Ausgleichsrücklage greifen, dann sind das Möglichkeiten. Aber das Pferd können wir weiter aufzäumen. Auch der Kreis muss in Richtung Landschaftsverband schauen. Da gibt es diese Diskussion dann noch mal. Das geht von unten nach oben und die Diskussion ist immer die gleiche und man muss sehen, dass dabei niemand überfordert oder zu stark benachteiligt wird.

Wenn Sie den Fraktionsvorsitz abgeben - ist das der erste Schritt in Richtung Ausstieg aus der Kommunalpolitik? Ist Michael Sittler auf dem Weg in die Politikrente?

Ein wichtiges Amt gebe ich ab. Aber ich will weiterhin Politik für Bad Berleburg und für den Kreis Siegen-Wittgenstein beim Landschaftsverband machen. Ich werde der Politik treu bleiben, nur eben nicht an führender Stelle. Was nach der Kommunalwahl 2025 ist, kann ich nicht sagen. Dann bin ich 65. Das ist ein Alter, in dem man sagen könnte, ich habe genug Politik gemacht. Aber es ist auch kein Alter, in dem man ausscheiden muss.

Sie haben politisch mit zwei Landräten zu tun: Paul Breuer (CDU) und Andreas Müller (SPD). Was war für den Genossen Sittler mit Paul Breuer einfacher als mit Andreas Müller und was macht Müller besser als Breuer?

(Lacht) Ich habe mit Paul Breuer relativ häufig kommuniziert. Das ist mit Andreas auch nicht anders. Nur hätte Paul Breuer mit mir ja nicht unbedingt sprechen müssen. Das hat er aber getan und hat auch häufig meine Meinung zu wichtigen Themen abgefragt. Unser Verhältnis war nicht schlecht, abgesehen davon, dass ich SPD-Mann und er CDU-Mann ist. Der war vom Typ her natürlich ein völlig anderer als Andreas Müller. Wenn Andreas Themen von links angreift, hat Breuer das von rechts versucht zu tun. Aber beide in der Absicht für unseren Kreis das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Und was daraus geworden ist kann man sehen. Ein wirtschaftlich stark aufgestellter Kreis Siegen-‚Wittgenstein in dem es sich lohnt zu leben.