Bad Berleburg. Der Geschäftsführer des Johanneswerks schlägt Alarm: Die Pflege wird teurer, die Entlastung komme derweil nicht an. Dabei ginge es auch anders.

„So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Die Pflegesituation und damit auch die Gesellschaft rasen auf eine nicht haltbare Situation zu, an deren Ende Armut und zu wenig Pflegepersonal stehen – darauf macht Dr. Bodo de Vries, Geschäftsführer des Evangelischen Johanneswerks und Vorstandsmitglied des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege, während seines Besuchs beim Diakonischen Werk in Bad Berleburg sehr deutlich aufmerksam.

Die Pflegereform sei irreführend und langfristig ein Armutsrisiko, so de Vries. Er hat seine Forderungen sehr deutlich formuliert.

„Die meisten erleben diese sogenannte Erleichterung gar nicht.“

Seit Anfang des Jahres sollten die Pflegekosten für viele Bewohner von Altenheimen prozentual und stufenweise sinken – klingt erstmal schön, aber de Vries warnt: „Die meisten erleben diese sogenannte Erleichterung gar nicht.“ Zunächst einmal müsse man wissen, dass die Pflegeversicherung nur einen Teil des Aufkommens abdeckt – nämlich die ärztlich verordnete Behandlungspflege.

Weitere Kosten wie die Miete – also Investitionskosten – und die Unterbringung und Verpflegung – Putzen und Essen, Trinken – muss der Bewohner selbst tragen. „Jetzt muss man sich vorstellen, dass 25 Prozent der Bewohner verheiratet sind und etwa 2500 Euro aus dem Haushalt für die Pflege im Heim nehmen“, erklärt de Vries.

Kerstin Dickel, Dr Bodo de Vries und Nicole Dickel in Bad Berleburg.
Kerstin Dickel, Dr Bodo de Vries und Nicole Dickel in Bad Berleburg. © WP | Lisa Klaus

Die gestaffelte Reduzierung der Pflegekosten mache eine wirkliche Erleichterung utopisch: 70 Prozent bekomme ein Bewohner erstattet, wenn er 36 Monate im Heim gelebt habe. Statistiken zeigen aber: Die meisten Menschen sind gar nicht so lange in den Heimen. Schaut man auf die Männer, so de Vries, dann sehe man, dass nach zwölf Monaten Aufenthalt 85 Prozent sterben. Nach 24 Monaten sind es 72 Prozent und nach 36 Monaten schließlich 88 Prozent.

Kommunen profitieren als einzige

Die einzigen, die wirklich von der Erleichterung profitieren, seien die Kommunen, so de Vries: „40 Prozent derjenigen, die zuerst ins Pflegeheim kommen, sind Sozialhilfeempfänger. Bei Langzeitbewohnern sind es 90 Prozent.“ Das heißt: Die Entlastung komme dann nicht beim Bewohner an, sondern bei der zahlenden Kommune. Was passiert, wenn sich an dieser Pflegereform nichts ändert? „Die Nutzer steuern in ein Armutsrisiko“, so de Vries.

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Denn die Pflege werde in den kommenden Monaten sogar immer teuerer. Jetzt werde sich um mehr Personal in der Pflege bemüht, die Kräfte werden vorerst noch aus anderen Töpfen bezahlt. Ab 2023 jedoch gehen diese zusätzliche Kosten in die normale Pflegefinanzierung über.

De Vries rechnet vor: „Wenn man von unserem Haus in Bad Berleburg mit 80 Bewohnern ausgeht, dann kann man von vier zusätzlichen Kräften ausgehen. Das macht einen Kostenaufwand von weiteren 200.000 Euro im Jahr – umgelegt auf die Bewohner und geteilt durch 12 Monate macht das 208 Euro mehr pro Bewohner“, so de Vries.

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Er fordert eine Erhöhung der Kosten der Pflegeversicherung, in die jeder berufstätige Bürger einzahlt. Auch sollte der Eigenanteil der Pflege gesetzlich festgeschrieben werden, so de Vries. Dies mache es einfacher, die Pflegekosten zu kalkulieren – was aktuell nicht möglich sei. „Pflege muss endlich spürbar und nachhaltig bezahlbar werden“, betont der Geschäftsführer des Johanneswerks.