Bad Berleburg. Der gebürtige Berleburger Dr. Ulrich Bergmoser verfolgt von Bonn aus die Diskussion zum Gedenken an die Jüdin, über die er gerade forscht.
Die Odeborn-Brücke im Verlauf der Emil-Wolff-Straße der Bad Berleburger Jüdin Adele Krebs (1895-1943) zu widmen – das regt der gebürtige Bad Berleburger Ulrich Bergmoser an, der die Diskussion um die Benennung einer Straße in seiner ehemaligen Heimat von Bonn aus verfolgt – und nach eigenen Angaben seit Frühjahr letzten Jahres zu Adele Krebs forscht.
Die Rückblende
Mit dem Vorschlag, eine Straße im Neubaugebiet Sengelsberg II nach der im Konzentrationslager Theresienstadt gestorbenen Bad Berleburger Jüdin Adele Krebs (1895-1943) zu benennen, war die SPD Ende November im Bauausschuss gescheitert. Sieben Stimmen von CDU und AfD standen vier von SPD und Grünen gegenüber. Anfang Dezember dann in der Stadtverordneten-Versammlung der Kompromiss, den sowohl die SPD-Fraktion, als auch die Grünen und die CDU sowie alle anderen Parteien mittragen: Im Ältestenrat wird für Anfang 2022 eine Sitzungsvorlage mit Kriterien zur zukünftigen Benennung von Straßen erarbeitet.
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Das Sinnbild für den Leidensweg
„Die heutige Emil-Wolff-Straße ist der städtebauliche Raum, in dem sich Adeles Leben und Leiden in Berleburg vor allem abspielte“, begründet Bergmoser seinen Vorschlag. „Dort befanden sich auf engstem Raum ihr Elternhaus, eine jüdische Metzgerei, eine NS-Parteiorganisation, der Wohnsitz überzeugter Nationalsozialisten und das Haus ihrer Freundin Elisabeth Bald. Mittendrin stand die Korbbogen-Brücke, die alle an dem Drama Beteiligten viele Male überquerten. Sie wich in den 1970-er Jahren als Teil eines städtebaulichen Sündenfalls sondergleichen dem heutigen Nachfolge-Bauwerk. Auch wenn die jetzige Gestalt der Brücke schmerzen mag, so wird sie doch rege von Fahrzeugen und Fußgängern genutzt, würde sich meines Erachtens sehr gut als Gedenkort für Adele Krebs eignen und sollte nach ihr benannt werden.“
Die Normalität
Zur Person
Dr. Ulrich Bergmoser, aufgewachsen in Bad Berleburg, ist gelernter Diplom-Kaufmann und arbeitete zuletzt in der Geschäftsführung einer deutschen Investoren-Gruppe.
Von seinem Wohnsitz Bonn aus forscht Bergmoser seit Frühjahr 2021 über Adele Krebs – und plant dazu eine lokalgeschichtliche Veröffentlichung, die in Kürze erscheinen soll.
Grundsätzlich begrüßt es Bergmoser, „dass es in Berleburg längst Normalität geworden ist, den hiesigen Opfern der nationalsozialistischen Diktatur zu gedenken. Schon vor Jahren wurden mit den Mahnmalen am Schlosspark, im Stadtpark und den Stolpersteinen sichtbare Zeichen im Stadtbild gesetzt. Ferner liegen zudem eine ganze Reihe lokalhistorischer Forschungsbeiträge vor, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Thema befassen. Meines Erachtens stellt dies eine gute Grundlage für eine würdige und sachliche Diskussion weiterer Elemente des Gedenkens im Stadtbild dar; sie kann frei von unnötigen Emotionen, in gegenseitigem Respekt und ohne falsche Hast geführt werden.“
Die Eignung
Bergmoser geht „kurz auf die Frage ein, ob Adele Krebs überhaupt geeignet ist, um durch einen Gedenkort aus der Gruppe der Opfer hervorgehoben zu werden“ – Ergebnis: „Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges ,Ja’ – und zwar aus zweierlei Gründen: Adele Krebs war erstens eine fähige und couragierte Berleburgerin, die ihrer Heimat innig verbunden war. Sie gründete mit anderen die EDEKA-Einkaufsgenossenschaft und leitete diese für einige Jahre, war zunächst bestens in das kleinstädtische Leben integriert und zeichnete sich nach der spärlichen Überlieferung durch einen geradlinigen und guten Charakter aus. Zweitens aber ist sie geradezu ein Sinnbild für den Leidensweg der Berleburger Juden.
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Die Entmenschlichung
Nach einer Hirnoperation Anfang der 1930-er Jahre erlebte sie ihre Ausgrenzung, Entrechtung, Ausplünderung und Entmenschlichung durch die Nationalsozialisten im Rollstuhl, den sie litt nach dem Eingriff an einer Lähmung. Das totalitäre NS-Regime hielt – scheinbar legitimiert durch ein unmenschliches ideologisches Narrativ – selbst eine behinderte Jüdin noch für einen Staatsfeind und handelte dementsprechend. Es deportierte die behinderte Frau schließlich im Juli 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt, wo Adele Krebs unter den dort herrschenden katastrophalen Verhältnissen im April 1943 umkam. Nachdem die NS-Diktatur ab 1933 fest im Sattel saß fielen viele ihre vormaligen Berleburger Freunde von ihr ab, manchmal aus Verblendung und im Glauben an die in Berleburg stark angenommene NS-Ideologie, teils aber auch aus Opportunismus oder weil es schlicht zu gefährlich war, sich zu den jüdischen Nachbarn zu bekennen.
Die Ausnahmen
Aber es gab Ausnahmen – und so sind einige menschliche Gesten überliefert: Da war zum Beispiel der örtliche Gendarmerie-Meister, der Adele vor ihrer Deportation Bezugskarten für Kleidung besorgte, und es gab sogar einen SS-Mann, der – offenbar von kognitiver Dissonanz befallen – auf der damaligen Korbbogenbrücke in der Marburger Straße (heute Emil-Wolff-Straße) aus einer marschierenden SS-Formation ausscherte, sich auf die im Rollstuhl sitzende Adele zubewegte und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte.
Die Freundin
Besonders aber war es Adeles enge Freundin Elisabeth Bald, geb. Wahl, (1909-1998), die Adele Krebs bis zu ihrer Deportation beistand und dafür erhebliche Gefahren für sich und ihre Familie heraufbeschwor. 1937 nahm Elisabeth Bald die hilflose Adele sogar für zwei Jahre in ihr Haus in der Marburger Straße 7 – es stand direkt an der Brücke (Ecke Wasserstraße) – auf, wo Adele entsprechend bis 1939 kurz vor Kriegsausbruch offiziell gemeldet war. Diese Unterstützung beschäftigte nicht nur die Nationalsozialisten vor Ort in Berleburg, sondern sogar die Gauleitung im fernen Dortmund, was durch die wenigen noch vorhandenen Partei-Akten belegt ist.
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Das „Mini-Ghetto“
Nachdem der Druck der kommunalen, staatlichen und NS-Behörden zu groß und das mit der offenen Unterstützung einhergehende Risiko für alle Beteiligten untragbar geworden war, bezog Adele ein Zimmer in ersten Stock ihres Elternhauses in der Marburger Straße 15. Das Gebäude wurde von den Nationalsozialisten in ein ,Judenhaus’ umgewandelt, wo einige der wenigen nach Kriegsausbruch in Berleburg verbliebenen Juden in einer Art ,Mini-Ghetto’ konzentriert wurden. Dort schluchzte sie vor Schmerz, als die übrigen Angehörigen ihrer alteingesessenen Berleburger Familie Krebs die Kleinstadt verließen und die behinderte Frau zurücklassen mussten. Elisabeth Bald schlich fortan nachts mit Socken über den Schuhen zu Adele und stand ihr weitere zwei Jahre so gut es ging bei. Noch während ihrer Deportation schrieb Adele ihr eine Postkarte aus einer Zwischenstation der Gestapo in Dortmund. Dies war neben dem bekannten, in Theresienstadt verfassten Gedicht das letzte bekannte Lebenszeichen der geschundenen Frau.
Die Ehrung
Mit einer Ehrung der Adele Krebs im Stadtbild Berleburgs würde einer aufrechten, heimatverbundenen und untadeligen Berleburgerin, besonders aber ihrem Martyrium gedacht, das stellvertretend für das erlittene Unrecht der Berleburger Juden an sich stehen kann.“