Bad Berleburg/Lünen. Thomas C. (51) ist tot. Der Lokführer war Angeklagter im Prozess um den „Gullydeckel-Anschlag“ auf die Rothaarbahn und der Schlüssel zum Motiv.

Es ist das überraschende Ende eines Aufsehen erregenden Gerichtsverfahrens. Ein schlichter Zettel an der Glastür zum Landgericht Siegen und ein weiterer auf dem Tresen der Eingangskontrolle verkünden in drei Zeilen: „Das Berufungsverfahren gegen C. wurde aufgehoben und findet somit nicht statt“. Die Nachricht kam völlig überraschend. Der Grund: Thomas C. (51) ist tot.

Der Lokführer war im Oktober 2020 vom Schöffengericht in Bad Berleburg zu einer 21-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Familienvater aus Lünen soll einen Anschlag auf einen Zug der Rothaarbahn bei Raumland selbst inszeniert haben. In der Nacht vom 12. auf den 13. April 2019 waren mehrere 32 Kilo schwere Gullydeckel an Seilen von einer Brücke ins Gleis gehängt worden.

Leichenfund in Laube

Am Montag wurde der leblose Körper des Angeklagten in einer Laube einer Kleingartenanlage gefunden, die der Familie gehört. Das erläutert die ermittelnde Staatsanwaltschaft Dortmund. Alles deutet darauf hin, dass C. sich das Leben genommen hat. Über einen möglichen Abschiedsbrief mit erläuterndem Inhalt ist nichts bekannt.

Merkwürdige Zufälle und ein Doppelmord

„So viel Pech habe ich bei einem Menschen noch nicht erlebt“, formulierte ein leitender Ermittler seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Thomas C. im ersten Verfahren in Bad Berleburg: 2008 sind die Großmutter (85) und Mutter (59) des verstorbenen Angeklagten in ihrem Haus in Dortmund von Einbrechern brutal ermordet worden. Kurzzeitig war auch Thomas C. als Alleinerbe in Verdacht geraten. Seine DNA hatte sich an einem Fenster des Hauses befunden, durch das der oder die Täter ins Haus gelangt waren.2017 will Thomas C. Opfer eines Überfalls von bewaffneten Tätern am Bahnhof in Erndtebrück geworden sein. Die mutmaßlichen Täter sind nie gefasst worden.Neben diesen Details aus dem Vorleben finden sich noch drei Wohnungseinbrüche im Haus des Angeklagten und zwei Fahrzeugbrände zu seinem Nachteil. In allen Fällen hatte die Versicherung gezahlt. Bei Hausdurchsuchungen nach dem Gullydeckelanschlag wurden aber gestohlen gemeldet Gegenstände im Haus von Thomas C. gefunden.Analysiert wurde auch das Internetverhalten des Angeklagten: Er suchte nicht nur nach Escortdamen und Bordellen, sondern nach Giftpflanzen oder den Schlagworten „Wie baue ich einen Schalldämpfer“ und „Wie baue ich eine Pistole“ im Netz.

Verteidiger Dennis Tungel beschäftigt der Tod seines Mandanten. „Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Es ist tragisch“, kommentiert er die Situation. Tungel steht in engem Kontakt zur Familie des Toten. C. hinterlässt seine Ehefrau und eine Tochter. Der Verteidiger war am späten Montagabend – dem Abend vor dem Beginn des Berufungsverfahrens – vom Tod des Thomas C. unterrichtet worden. Im Landgericht Siegen wurde am Dienstagmorgen gehandelt. Mit DIN-A-Bögen im Eingangsbereich wurden Zuschauer und vor allem die erwartete größere Zahl an Medienvertretern informiert, dass die Verhandlung aufgehoben sei. Später dann folgte noch eine Pressemitteilung.

An diesen bunten Seilen und einer Kette haben die Gullydeckel von der Brücke gehangen. Bei Bad Berleburg-Raumland haben unbekannte Täter einen Anschlag auf die eingleisige Trasse der Rothaarbahn verübt. Dabei wurde ein Lokführer verletzt. Die Mordkommission Hagen ermittel.
An diesen bunten Seilen und einer Kette haben die Gullydeckel von der Brücke gehangen. Bei Bad Berleburg-Raumland haben unbekannte Täter einen Anschlag auf die eingleisige Trasse der Rothaarbahn verübt. Dabei wurde ein Lokführer verletzt. Die Mordkommission Hagen ermittel. © WP | Lars-Peter Dickel

Sabrina Picur, Richterin und Pressesprecherin am Landgericht Siegen teilte am Vormittag mit, „dass die Verhandlungen im sogenannten Gullydeckel-Fall (Az. 23 Ns 8/20) aufgehoben worden sind. Der Angeklagte ist gestern in Lünen verstorben. Es ist ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet worden, das die Staatsanwaltschaft Dortmund führt.“

Kein Fremdverschulden

Deren Pressesprecher, Staatsanwalt Henner Kruse, teilte auf Anfrage mit, dass Thomas C. am Montagabend verstorben aufgefunden worden sei: „Wir gehen davon aus, dass wir das Todesermittlungsverfahren schnell beenden können. Uns liegen keine Hinweise auf ein Fremdverschulden vor.“ Weitergehende Aussagen zu einer Todesursache macht die Staatsanwaltschaft Dortmund nicht. Damit bleibt neben einem natürlichen Tod noch Selbstmord als Ursache.

Für die Staatsanwaltschaft Siegen, die die Ermittlungen in der Strafsache gegen Thomas C. geführt hat, heißt das: „Wir werden die Aktendeckel schließen“, sagt deren Pressesprecher Oberstaatsanwalt Patrick von Grotthuss. Gegen Tote wird nicht ermittelt.

Intensive Vorbereitung

Rechtsanwalt Dennis Tungel, der wie der Angeklagte aus Lünen stammt, hatte sich akribisch auf das Berufungsverfahren vorbereitet. Tungel war von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. „Er hat die Tat immer abgestritten und auch am Ende des ersten Verfahrens gesagt: Ich habe damit nichts zu tun“, sagt Tungel und fürchtet, dass nun „viele Fragen offen bleiben werden.“ Vor allem die Frage nach dem Motiv für das, was in der Nacht und den Morgenstunden des 12. und 13. April 2019 geschehen ist.

Ein Zug der Hessischen Landesbahn steht auf dem Gleis bei Raumland. Er ist durch einen Gullydeckel in der Frontscheibe beschädigt worden. Die Mordkommission Hagen ermittelt.
Ein Zug der Hessischen Landesbahn steht auf dem Gleis bei Raumland. Er ist durch einen Gullydeckel in der Frontscheibe beschädigt worden. Die Mordkommission Hagen ermittelt. © WP | Lars-Peter Dickel

Thomas C. hatte damals den Triebwagen der Hessischen Landesbahn auf einer Leerfahrt von Erndtebrück nach Bad Berleburg auf der eingleisigen Strecke in das Hindernis aus Gullydeckeln gesteuert. Die Frontscheibe des Zuges war zerstört worden. C. konnte sich ducken und wurde nur leicht verletzt. Was zunächst sogar wie ein terroristischer Anschlag aussah, wurde als „Mordversuch“ eingestuft. Die Mordkommission aus Hagen ermittelte akribisch und zog Experten für DNA und Faseranalysen hinzu. Die belasteten Thomas C. schwer. Aber auch für das Gericht blieb diese Frage nach dem „Warum“ offen. Indizien und Zeugenaussagen reichten aber für die Verurteilung. Das Urteil aber wurde nicht rechtskräftig, weil Verteidiger Tungel Rechtsmittel eingelegt hatte.

Im Berufungsverfahren mit mehr Verhandlungstagen und zusätzlichen Zeugen sollte mehr Licht ins Dunkel gebracht werden. Zum ersten Prozesstag am Dienstag waren vor allem Polizeibeamte als Zeugen geladen worden.

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