Bad Berleburg. Opfer eines Anschlags oder selbst der Täter? Ein Lokführer steht vor Gericht. Er soll die Gullydeckel-Attacke auf seinen Zug inszeniert haben

„Es war definitiv klar, es ist etwas Großes passiert“, erinnert sich ein Bundespolizist an den Einsatz in Bad Berleburg. Unbekannte Täter sollen am frühen Samstagmorgen des 13. April 2019 einen Anschlag auf einen Regionalzug verübt haben. „Das konnte auch etwas Politisches sein“, sagt der 65-jährige Zeuge.

Prozessauftakt

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Was an diesem Morgen des Tattag und in der Nacht davor rund um den Tatort im Bad Berleburger Ortsteil Raumland geschehen ist und wer die Verantwortung für einen der ungewöhnlichsten Kriminalfälle in Wittgenstein trägt, muss das Schöffengericht Bad Berleburg jetzt herausfinden.

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Das Besondere: Angeklagt ist der 50-jährige Triebwagenführer. Der Familienvater aus Lünen bestreitet die Tat und auch die Suche nach einem Motiv ist bislang ergebnislos verlaufen: Der füllige Mann, der im Nachgang zu dem Anschlag krankgeschrieben ist, bleibt bei seiner Aussage, die er bereits bei der Polizei zu Protokoll gab: „Ich habe damit nichts zu tun. Ich wüsste nicht, was ich davon hätte.“ Dennoch muss sich der Mann jetzt wegen „gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr“ vor Gericht verantworten.

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Die letzte Chance, das Verfahren schnell zu beenden, sucht der Vorsitzende Richter Torsten Hoffmann gleich zu Beginn der Verhandlung, als er in einem Rechtsgespräch mit Staatsanwalt Fabian Glöckner, Rechtsanwalt Dennis Tungel und dem Angeklagten deutlich macht, welche Wirkung eine geständige Einlassung zum jetzigen Zeitpunkt auf ein Strafmaß und eine mögliche Bewährung haben könnte. Der Angeklagte lehnte ab und betonte: „Im Moment schweige ich noch.“

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An drei Verhandlungstagen müssen der Vorsitzende und die Schöffen Werner Wegener und Karl Heinrich Sonneborn nun die Wahrheit herausfinden – immerhin stützt sich die Anklage im Wesentlichen auf Indizien, Spuren am Tatort, an Tatmitteln und aus den Wohnsitzen des Angeklagten. Hinzu kommen Videoaufzeichnungen aus dem Zug sowie Aussagen von Polizeibeamten der Bundespolizei, der Landespolizei und Kripo aus Bad Berleburg und der eingeschalteten Mordkommission aus Hagen.

Rückblende

Am Samstag, 13. April, fährt der Triebwagenführer gegen 5.45 Uhr aus dem Bahnhof in Erndtebrück ab in Richtung Bad Berleburg. Es ist eine Leerfahrt. Die ersten Mitreisenden könnten in Bad Berleburg einsteigen.

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Dort kommt der Zug aber nie an. Laut den ausgelesenen Fahrzeugdaten leitet der Triebwagenführer um 6.04 Uhr bei 52 Stundenkilometern einen Notbremsung ein und der Zug kommt 70 Meter später zum Stehen. Die Notbremsung kann die Kollision des Triebwagens mit mindestens zwei jeweils 35 Kilogramm schwere Gullydeckel nicht verhindern. Diese hängen an Seilen von einer Brücke und treffen die Windschutzscheibe des Steuerstandes. Hätte der Zugführer dort gestanden oder gesessen, wäre er zumindest schwer verletzt worden, sagen die Spurensicherer. Deswegen wird auch die Mordkommission aus Hagen hinzugezogen.

Spurenlage und Zweifel

Der Zugführer gab damals an, „einen Schatten an der Unterführung gesehen“ zu haben. Deswegen habe er gebremst, sich weggeduckt und sei unverletzt geblieben. Am Zug und an der Brücke entstanden erhebliche Schäden von rund 10.000 Euro und die Bahnstrecke war bis in den Nachmittag gesperrt.

Anschlag auf Rothaarbahn

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    Die ersten Polizeibeamten vor Ort kümmerten sich um den Zugführer, sicherten den Tatort und erste Spuren. Erst im Nachhinein kam den beiden Zeugen das Verhalten des Mannes „komisch“ vor. Auch andere Beamte beschreiben ihn nach ersten Gesprächen als „erschrocken, aber sehr nüchtern – als ob dies eine Alltagssituation wäre“.

    Tatsächliche Zweifel an den Aussagen des heutigen Angeklagten kamen später den Beamten der Mordkommission, als die sich eingehender mit dem Mann beschäftigten. So geriet er auch ins Fadenkreuz der Ermittler.

    Der 50 Jahre alte Triebwagenführer sitzt auf der Anklagebank und schweigt zu den Vorwürfen.
    Der 50 Jahre alte Triebwagenführer sitzt auf der Anklagebank und schweigt zu den Vorwürfen. © WP | Lars-Peter Dickel

    Alles begann damit, dass die Hagener Beamten die Oberbekleidung des Angeklagten für die Spurensicherung mitnehmen wollten. Das verweigerte der Mann zunächst und verwies auf eine Raubermittlung aus dem Jahr 2008. Damals sollte er Opfer gewesen sein und habe seine Bekleidung nach der Spurensicherung nicht wieder bekommen. Als sich die Mordkommission immer mehr mit den Beschuldigten beschäftigt und Vernehmungen und Hausdurchsuchungen in Erndtebrück und Lünen folgen, werden Datenträger sichergestellt. Darauf sind auch gelöschte Fotos von CDs und DVDs, die dem Angeklagten einen Tag nach der Fotoaufnahme bei einem Wohnungseinbruch in Lünen gestohlen worden sein sollen. Außerdem habe er die Beamten der Mordkommission nach der Auswertung der „Handywaben“ gefragt. Dass ein Beschuldigter sich so gut auskennt und von sich aus gezielt nach „Polizei-Ermittlungsmethoden“ fragt, fand der Beamte „seltsam“. Neben diesen persönlichen Einschätzungen von Zeugen gibt es aber auch DNA-Spuren an Gullydeckeln und Seilen. Die aber könnten erklärbar sein, weil der Angeklagte kurz nach dem Zusammenprall mit dem Hindernis den Zug verlassen hat, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Dabei habe er sowohl mindestens zwei Gullydeckel als auch die Seilreste oben auf der Brücke angefasst.

    Dieser Einlassung entgegnet ein Tatortermittler der Mordkommission, dass ein einfaches Anfassen nicht ausreiche, um ein solch eindeutiges Spurenbild zu hinterlassen. „Es muss ein intensiver Kontakt gewesen sein.“ Außerdem seien die DNA-Spuren auch an einem Ende des Seiles nachweisbar, dass in 2,70 Meter Höhe im Gleis hing.

    Fortgesetzt wird der Prozess am Freitag, 25. September und am Freitag, 2. Oktober.