Banfe. Wirtin Charlotte Kretzer und ihr Stammgast Helmut Schmidt sprechen über eingeschränkte Corona-Abende – und erinnern sich an bessere Zeiten.

Was dem Händler die guten Stammkunden sind, das sind dem Gastwirt die treuen Stammgäste. Helmut Schmidt (60) ist so einer in der Banfer Gaststätte „Ventilchen“, mitten im Dorf. Und Wirtin Charlotte Kretzer (65) weiß das zu schätzen. Ein Gespräch vor Ort.

Die Kuschelecke

Schmidt hat am kreisrunden Stammtisch in der Gaststube Platz genommen, liebevoll „Kuschelecke“ genannt. Unterdessen zapft ihm Kretzer ein frisches Bosch-Bier. „Seit Corona ist das hier mein Stammplatz – mit direktem Blickkontakt zur Wirtin“, schmunzelt Schmidt. Das hat beim Nachbestellen natürlich Vorteile. Eigentlich ist Schmidts Platz ja der an der Theke – doch da bremst derzeit noch die Corona-Pandemie.

Lesen Sie auch: Wittgensteins Kneipen: So hat sich das Angebot verändert

Das „Ventilchen“

Aber: „Man ist ja dankbar für jede Öffnungszeit“, sagt Wirtin Charlotte Kretzer (65) mit Blick auf die Pandemie. Seit 1989 betreibt die gelernte Hotelkauffrau das „Ventilchen“. Zuvor hatten ihre Eltern das Lokal, das bereits seit 1960 existiert, verpachtet. Dass es noch läuft, ist für viele Banfer ein Glück, denn: Wenn man so durch Wittgenstein fahre, frage man sich, so Kretzer: „Wie viele Ortschaften haben gar keine Kneipe mehr…?“

Die Banfer Kneipen-Szene

Das „Ventilchen“ liegt in Banfe direkt an der Ortsdurchfahrt – und ist die letzte Kneipe ihrer Art im Ort, kleiner Biergarten vor dem Eingang inklusive.
Das „Ventilchen“ liegt in Banfe direkt an der Ortsdurchfahrt – und ist die letzte Kneipe ihrer Art im Ort, kleiner Biergarten vor dem Eingang inklusive. © Eberhard Demtröder

In Banfe seien es mal vier gewesen, alle an der Banfetalstraße, erinnert sich die Wirtin – „und eine Disco“. In der „Post“, betrieben von der Familie Kobusch, sei damals unten die Gaststätte gewesen und oben die Disco. „Ja, das waren die Glanz-Zeiten der 70er Jahre“, schwärmt Kretzer. Oder die Gaststätte Rothenpieler, ein Vereinslokal. Die Wirtsleute damals: Fritz und Luise Rothenpieler, genannt Blaß. Und dann das Café Roth, Kneipe plus Café. Aber nach und nach hätten alle zugemacht, erzählt Kretzer, weil die Wirte „oft schon Mitte 70“ gewesen seien und sich kein Nachfolger gefunden habe. Ex-Wirt Eduard „ede“ Roth seinerseits sei später noch mit über 80 Jahren Stammgast im „Ventilchen“ gewesen. „Und auf dem Weg zum Sportplatz musste ich an allen Kneipen vorbei“, schmunzelt Rentner Helmut Schmidt (60), der als junger Mann damals noch an der Straße „Auf der Heber“ gewohnt hat.

Lesen Sie auch: Wittgensteiner Gastronomie: Comeback der Weihnachtsfeiern?

Die wahren Stammgäste

Tatsächlich sei „durch den Sport oft“ sehr viel Jugend im „Ventilchen“, vorwiegend am Wochenende. „Sonst hat die Jugend in Banfe ja auch gar nichts“, fügt Stammgast Schmidt hinzu.

„Die Jugend stand Schlange, als ich nach dem letzten Lockdown im Mai wieder aufgemacht habe“, berichtet Charlotte Kretzer. „Das war eine ganze Generation, die so etwas noch gar nicht mitgemacht hat“, sagt Helmut Schmidt, übrigens Geschäftsführer des Banfer Schalke-Fanclubs „Blau-weiße Herzen“. Und als die Gaststätten immerhin mit Einschränkungen öffnen durften, so Wirtin Kretzer, habe sich gezeigt, wer die wahren Stammgäste sind – nämlich die, „mit denen man lacht und weint“. Deren Sorgen und Freuden man teile. „Und wenn ich einmal nicht da war, wurde schon gefragt: Warum warst Du eigentlich nicht da?“, sagt Schmidt. Da werde man vermisst.

Lesen Sie auch: Arfeld: Gasthof „Zum Bahnhof“ stoppt Außer-Haus-Verkauf

Die Kneipe als Wohnzimmer

Richtig schlimm sei die siebenmonatige Schließung ihres „Ventilchens“ wegen Corona für die über 70-Jährigen gewesen, bedauert Kretzer. Denn in dieser Zeit hätten sie im Grunde „nirgendwo hingekonnt“ – und seien daheim oft „allein zuhause“ gewesen.

Helmut Schmidt ist von mittwochs bis freitags „fast jeden Tag“ im „Ventilchen“. Die Dorfkneipe macht abends um 18 Uhr auf. Dann fänden sich irgendwann auch die Junggesellen ein: „Das ist hier deren Wohnzimmer.“

Der Platz an der Theke

Was allen laut Stammgast Schmidt fehlt: der beliebte Stehplatz an der Theke. Aber wegen der Corona-Vorgaben gebe es im Moment eben leider „kein Rumlaufen, kein Rumstehen“, so Kretzer. Also müssen sich die Gäste, die meist direkt aus Banfe kommen, aber auch aus Hesselbach oder Herbertshausen, einen Sitzplatz suchen. Und oft ist das in der überschaubaren, aber eben auch beliebten Gaststube gar nicht so einfach. Dann entstünden natürlich oft Tische „mit zusammengewürfelten Leuten“, so Kretzer, die sich am Ende aber „ganz neu kennenlernen“. Denn „jeder kennt ja eigentlich jeden“. „Da sitzen dann eben auch mal Alt und Jung nebeneinander“, weiß Schmidt, der selbst gerne den noch etwas Älteren zuhört. „Heute kommen ja schon die Enkel meiner Stammgäste von früher“, lacht Charlotte Kretzer.

Lesen Sie auch: Corona-Check: Wittgensteiner Freizeit leidet unter Pandemie

Die Gespräche

Die Geselligkeit, der Austausch – darum gehe es den Gästen im „Ventilchen“, sagt Helmut Schmidt. Auch im Sparclub, der immer donnerstags zusammenkomme. Und gerade mittwochabends sei oft der Bad Laaspher Wochenmarkt vom Vormittag ein Gesprächsthema. Geredet werden aber auch über die Schlägerei irgendwo im Nachbardorf, ergänzt Kretzer – oder „wenn jemand mal wieder betrunken irgendwo gegen etwas gefahren ist. Was halt so im Dorf passiert...“

„Am liebsten erinnert man sich natürlich an die schönen Stunden im Leben“, findet Helmut Schmidt. „Man ärgert sich aber auch mal, wenn es um Fußball oder Politik geht.“ Banfe haben ja selbst „ein großes Vereinsleben“ – und da sitzen dann auch schon mal „fünf, sechs Mann am Tisch mit fünf, sechs Meinungen“, hat Schmidt festgestellt. „Aber gerade das macht ja den Reiz aus“.

Lesen Sie auch: Bad Laaspher Brauereigasthof „Zur Sonne“ im Gastro-Test

Die lustigen Momente

„Wir haben aber auch schon mal Tränen gelacht“, berichtet Wirtin Charlotte Kretzer. Etwa über einen guten früheren Stammgast: „Der kam plötzlich mit dem Tretroller rein und fuhr dann einmal um den Kicker.“ Klar: Die Aufmerksamkeit war ihm gewiss. Der Kicker, an dem alljährlich immer am Karfreitag auch ein jährliches Tischfußball-Turnier stattfindet, ist im Moment allerdings aus der Gaststube verbannt. Er musste Platz machen für Gäste-Sitzplätze.

Davon träumt der Stammgast

„Herzlichen Glückwunsch zum 30. Schankstuben-Jubiläum“: Gefeiert hat es Wirtin Charlotte Kretzer 2019 – ganz groß in der Banfer Festhalle. Und natürlich mit den Stammgästen der letzten 30 Jahre.
„Herzlichen Glückwunsch zum 30. Schankstuben-Jubiläum“: Gefeiert hat es Wirtin Charlotte Kretzer 2019 – ganz groß in der Banfer Festhalle. Und natürlich mit den Stammgästen der letzten 30 Jahre. © Eberhard Demtröder

„Mein Traum ist es, wieder an der Theke zu sitzen“, bekennt Stammgast Schmidt. Dort gebe es im Grunde immer einen Platz, „auch wenn Du in der zweiten Reihe stehst“.

Lesen Sie auch: Berleburger „Reh-Bar“ als Ehrenamtskneipe: Start erst 2022

Und was verbindet Wirt und Stammgast? „Also, da entwickelt sich schon eine Freundschaft“, sagt Charlotte Kretzer. „Man redet privat auch mal offener“, sagt Helmut Schmidt. Und Kretzer fügt hinzu: „Ohne Stammgäste wären wir hier nicht durch die Pandemie gekommen.“ Erst im November 2019 hat Charlotte Kretzer ihr 30-jähriges Schankstuben-Jubiläum gefeiert – ganz groß in der Banfer Festhalle. Natürlich auch mit den Stammgästen der letzten 30 Jahre. „Man kennt seine Gäste in- und auswendig“, sagt Kretzer.

So geht es weiter

Ihr Gasthaus weiterhin zu unterhalten – das sieht Kretzer als ihre Pflicht an. Und das sei natürlich auch das Anliegen der Stammgäste, unterstreicht Schmidt – „gerade für einen Ort wie Banfe. Wenn jetzt auch noch das ,Ventilchen‘ zumachen würde...“ Daran mag der 60-Jährige gar nicht denken. Vielleicht bleibt das Lokal ja in der Familie – jedenfalls hat ein Sohn von Charlotte Kretzer „auch in der Gastronomie gelernt“. Aber die 65-Jährige möchte vorerst als Wirtin ihrer Banfer Gäste weitermachen. „Und ich mache das auch gerne“, verrät sie.

Der Stammgast als Wirt

„Ich hatte früher schon mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich Urlaub hatte“, bekennt die Wirtin – vor allem gegenüber den Stammgästen. „Und die Leute wollten damals auch keine Vertretung.“ Das habe sich inzwischen aber geändert. So hat denn auch schon mal Helmut Schmidt hinter dem Tresen gestanden. Und der kennt sich aus, macht er doch auch die Wirtschaft im Sportheim des VfB Banfe. „Helmut macht das auch ordentlich“, bestätigt Fachfrau Charlotte Kretzer.

Lesen Sie auch: Café-Test im Landhaus Wittgenstein: stylish und lecker

Die Wirtin aktiv für den Gast

Die Wirtin ihrerseits tut aber gelegentlich auch etwas für ihre Stammgäste. So erinnert sich Kretzer an einen Gast, der im Zigaretten-Automaten an der Eingangstür vergeblich nach seiner Lieblingsmarke „Ernte 23“ suchte. Also schwang sich Kretzer kurzerhand aufs Fahrrad und klapperte die Automaten in der näheren Umgebung ab – mit Erfolg. Sie hat Stammgäste aber auch schon nach Hause gefahren – wenn gerade schlechtes Wetter oder kein Taxi verfügbar war.