Wittgenstein. Die Händler stellen sich in der Pandemie auf neue 2G-Regeln ein – und hadern mit den geforderten Kunden-Kontrollen, Diskussionen inklusive.
Gemütliches Shoppen im Modegeschäft nur noch für Geimpfte oder Genesene – schon ab dem heutigen Samstag soll die 2G-Regel NRW-weit und somit auch im Wittgensteiner Einzelhandel gelten, ausgenommen Geschäfte des täglichen Bedarfs. Viele heimische Händler sind vom Lockdown für Ungeimpfte zwar nicht begeistert, können damit aber offenbar leben.
Im Modehaus
„Das ist allemal besser als wieder komplett zu schließen“, findet Stefan Wonsyld, Filialleiter des Bad Berleburger Modehauses Krug an der Poststraße – oder Bauzäune mitten im Laden aufzustellen, um wegen der Pandemie die Verkaufsfläche zu begrenzen wie Ende 2020. „Letztes Jahr fehlten uns die wichtigsten Wochen“, erinnert sich der Geschäftsmann an den harten Lockdown, der dann Mitte Dezember kam, kurz vor Weihnachten.
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Und jetzt? „Anders werden wir die Sache ja wohl nicht mehr in den Griff bekommen“, schätzt Wonsyld mit Blick auf die neuen 2G-Regeln. „Wir werden wieder jemanden von unseren Mitarbeitern abstellen, der die Daten der Kunden aufnimmt“ – so ähnlich wie im vergangenen Frühjahr, als es Einkaufen nur nach Termin-Vereinbarung gab. „Und jetzt kontrollieren wir eben Impfpass oder App plus Personalausweis“, so Wonsyld. Ob das dann aber immer ohne Diskussionen abläuft? Das sei natürlich „nicht auszuschließen“, so der Filialleiter – aber deshalb werde das Modehaus jetzt keine Security anheuern. „Ich denke, das kriegen wir so hin“, gibt sich der Filialleiter zuversichtlich.
Beim Schumacher
Im Erndtebrücker Schuhhaus Belz an der Marburger Straße wird 2G im Geschäft von Inhaberin Petra Roth gelten – aber wohl nicht in der Werkstatt ihres Sohnes, dem Orthopädie-Schumacher Florian Roth. „Wir sind ja im Grunde zwei Betriebe“, erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Und orthopädische Schuhe fertige er meist ganz speziell auf Rezept, so Roth, neben dem normalen Schuh-Geschäft. Allerdings möchte Florian Roth anhand der am Freitag veröffentlichten neuen Corona-Schutzverordnung des Landes NRW noch einmal genau prüfen, „wir wir uns verhalten müssen“.
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Kontrollen am Laden-Eingang? „Das muss der jeweilige Verkäufer bei uns dann halt auch mitmachen“, so Roth – da könne man nicht eigens Sicherheitspersonal einstellen. Zumal derzeit noch gar nicht klar ist, wie lange die neuen Regeln gelten werden. Diskussionen mit einigen seiner ungeimpften Kundinnen oder Kunden befürchtet Roth zwar auch, aber: „Wenn 2G gilt, dann gilt es eben.“ Er schätzt, dass etwa ein Drittel der Kundschaft ausbleibe – keine gute Prognose fürs Weihnachtsgeschäft. „Aber in den großen Städten wird es wahrscheinlich schlimmer sein als hier bei uns.“
Bei der Genossenschaft
Eher optimistisch blickt Michael Ermert in die nächsten Wochen: Der Geschäftsführer der Bad Laaspher Westmarkt Raiffeisen-Warengenossenschaft hofft, dass sie aus der 2G-Regel herausfällt – „wegen des Sortiments“. Schließlich verkaufe die Raiffeisen ja auch viele Lebensmittel, so Ermert – also Waren des täglichen Bedarfs. Eine Post-Agentur betreibe man ebenfalls. „Und ich hoffe auch, dass man an die landwirtschaftliche Grundversorgung gedacht hat“, so Ermert weiter. So könne ein Landwirt „ja schlecht eines seine Tiere verhungern lassen, nur weil er 2G nicht einhalten kann“. Die hessische Corona-Schutzverordnung sehe so eine Ausnahme von der 2G-Regel wegen des Sortiments vor, so Ermert – und hoffentlich auch die für NRW.
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Andernfalls „fehlt mir jede Vorstellung, wie ich das bei unserer hohen Kunden-Frequenz kontrollieren soll“, sagt der Geschäftsführer – immerhin mehrere hundert Menschen pro Tag und an Spitzentagen in der Weihnachtszeit noch deutlich mehr.
Im Baumarkt
Rene Schachtschneider, Leiter des Bad Berleburger Hagebau-Marktes, lässt sich überraschen: „Wir müssen schauen, was in der neuen Coronaschutzverordnung genau drinsteht. Wenn es wirklich so kommt, werden wir wohl am Eingang stehen.“ Dennoch fragt auch er sich, wie es gerade kleinere Läden, die nicht so viele Mitarbeiter zählen, mit der Kontrolle handhaben sollen. „Das sehe ich als schwierig an. Zudem führt das ja auch wieder zu Unzufriedenheit bei vielen.“
Gegenrede: „2G“ im Handel – muss das sein?
PRO: Eberhard Demtröder
Der Handel ist nicht Pandemie-Treiber gewesen“, findet der Bad Laaspher Betriebswirt Michael Ermert. Vielmehr hätten die heimischen Händler ihre Corona-Konzepte bislang „alle sauber umgesetzt“. Das mag so sein. Aber es gilt jetzt, die gefühlte Endlos-Pandemie mit allen Mitteln zu bekämpfen – auch mit solchen, die zu Recht höchst unpopulär sind.
Klares Ziel muss es sein, die Impfquote nach oben zu treiben, um das ewige Auf und Ab der Corona-Wellen endlich zu brechen. Auch wenn es für alle Beteiligten vielleicht lästig erscheinen mag, Stichwort Kontrollen. Es ist nach dem jetzigen Stand der Dinge der einzige Weg, um aus dem Teufelskreis herauszukommen. Aus meiner Sicht ideal wäre: Die Inzidenzen sinken schon bald erkennbar – und die geplante Impfpflicht würde überflüssig.
CONTRA: Lars-Peter Dickel
Ich bin ein Freund von klaren Regelungen und wünsche mir sogar eine Impfpflicht, um die Corona-Pandemie langfristig zu besiegen. Aber beim Blick auf die mögliche 2G-Regelungen im Einzelhandel habe ich aus unterschiedlichen Gründen Bauchschmerzen. Ich frage mich: Wer kann, wer soll das kontrollieren?
Zusätzliches Personal oder gar ein Sicherheitsunternehmen an der Ladentür zu postieren, ist die logische Konsequenz. Aber das kostet viel Geld. Gleichzeitig führt eine 2G-Regelung dazu, dass viel weniger Menschen überhaupt durch die Geschäfte bummeln werden. Mit Blick auf die wegbrechenden wichtigen Umsätze vor Weihnachten ist das ein Alptraum. Und diejenigen, die nicht bummeln, surfen im Internet. Von 2G profitiert nur der Online-Handel. Unsere Innenstädte aber werden weiter veröden.