Wingeshausen. Wiedersehen, und zwar persönlich: Besonders in der Kirchengemeinde ist das wichtig. Denn Video-Calls und Telefonate sind kein vollwertiger Ersatz.
„Kirche ist Begegnungskirche. Kirche lebt von der persönlichen Begegnung. Kirche ist die Gemeinschaft der Menschen, die zu großen und kleinen Feierlichkeiten zusammenkommen“, macht Simone Conrad, Superintendentin des Kirchenkreises Wittgenstein, unumwunden zum Thema „Begegnung in der Kirchengemeinde“ deutlich.
Die Begegnung ist nicht nur Teil des Gottesdienstes, sondern vor allem auch Teil der Seelsorge im persönlichen Gespräch. „Das Telefon ist dann vielleicht eine Alternative, aber kein vollständiger Ersatz“, weiß die Superintendentin. Gerade das Telefon aber war während der Lockdowns eins der wenigen Ausweichmittel.
„Corona hat uns hart getroffen. Die ganze Gesellschaft hat Distanz lernen müssen. In der Kirche haben wir versucht, so viel Nähe zu leben wie nur möglich“, blickt Conrad zurück. Eine schwere und herausfordernde Zeit sei es aufgrund der mangelnden Begegnungen gewesen – sowohl für die Pfarrer als auch die Kirchgänger.
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Als die Weihnachtsgottesdienste gestrichen werden mussten, habe den Pfarrern das Herz geblutet. „Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, man hatte ja Pläne und sich Dinge für diese Zeit vorgenommen.“ Und plötzlich war da ein Loch, das die ausgefallenen Gottesdienste hinterließen.
Die Kompromisse
Schwer war der Mangel an Begegnungen aber vor allem auch in den Zwiegesprächen, in der Seelsorge, in der Trauerbegleitung, in der Betreuung derjeniger, die ohne die Kirchengemeinde ganz alleine sind. „Die Diakonischen Gemeindemitarbeiter haben dann zahlreiche lange Telefonate geführt. Das war dann ein Kompromiss. Es gab richtige Termine, um mit den Menschen irgendwie in Kontakt zu bleiben“, blickt Conrad zurück.
Ganze Telefonlisten habe es gegeben. „Jemand, der sowieso schon allein lebt, war in der Corona-Pandemie gleich doppelt allein“, so Conrad. Jemand, der den Lockdown in der Familie erlebt hatte, hatte immer noch jemand zum reden, einen Ansprechpartner, menschlichen Kontakt. Jemand hingegen, der allein lebt und auf das Miteinander in der Gemeinde angewiesen ist, musste die Einsamkeit doppelt ertragen.
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Die Trauerbegleitung fand teilweise bei Spaziergängen, an der frischen Luft, statt, wo Abstand gewahrt werden konnte. „Gerade bei der Trauerbegleitung ist das persönliche Gespräch einfach unerlässlich“, macht Conrad deutlich. Der Bezug zum Gegenüber sei dann viel besser gegeben als bei einem Zoom-Call oder einem Telefonat. Auch das Internet wurde als Alternative oder auch Erweiterung für die persönliche Begegnung beim Gottesdienst genutzt. „Das Internet bietet da durchaus viele Möglichkeiten.“
Und während vor Corona gerade das Leben in der Gemeinde wichtig war, um dem Trend, sich zurückzuziehen in digitale Welten, entgegen zu wirken, waren diese digitalen Welten jetzt genau das, was einen Ersatz für das gemeindliche Zusammenkommen – wenn auch keinen idealen Ersatz – darstellte. „Man denke da nur an den digitalen Adventskalender in Erndtebrück. Der bekam insgesamt 27.000 Klicks, das ist schon eine große Summe.“
Auch die Gottesdienste, die im Internet live übertragen oder auch zum späteren Anschauen hochgeladen wurden, erfreuten sich großer Beliebtheit – so sehr, dass auch jetzt nach dem Lockdown einige nicht mehr darauf verzichten wollen. „Es gab schon so einige die gefragt haben, ob wir das beibehalten wollen“, macht Conrad deutlich.
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Aber: Es musste sich eben auch um diejenigen gekümmert werden, die keinen rechten Zugang zur digitalen Welt finden. „Das waren vor allem die älteren Menschen“, so Conrad. Gerade für diejenigen ist das Treffen von Menschen im Rahmen eines Gottesdienstes, einer Feier oder ähnlichem etwas ganz Selbstverständliches, was sich im Lauf des ganzen Lebens eingeschliffen hatte.
„Ich erinnere mich an die Zeit, in der es keine Gottesdienste gab, wir aber die Kirchen geöffnet hatten. Es war immer jemand da, mit dem man sprechen konnte. Ich erinnere mich, wie berührend das war. Es waren vor allem viele ältere Leute da, denen die Gottesdienste und der Anschluss in der Gruppe fehlte. Da war eine große Traurigkeit zu spüren“, blickt die Superintendentin zurück.
Eingebürgert hatte sich in dieser Zeit auch die Gartenzaunseelsorge, wie Conrad es nennt: „Viele Begegnungen fanden auch im Vorbeigehen, am Rande statt – eben über den Gartenzaun.“ Es war in dieser Zeit des erzwungenen Verzichts deutlich zu merken: Das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das Miteinander in der Gruppe, der vertrauliche Händedruck – all das fehlte und wurde stark vermisst.
Das Wiedersehen
Und wie war es nun, der erste Gottesdienst in Präsenz, die ersten persönlichen Treffen in der Gemeinde nach dem Lockdown? „Ach, es war so so schön“, ist Conrad nach wie vor bewegt. „Wieder den Gottesdienst feiern zu dürfen war einfach nur schön. Besonders der erste Gottesdienst mit der Gemeinde
nach dem Lockdown hat mich sehr angerührt.“ Als die Arbeit in der Tagespflege wieder möglich war, kamen die Menschen glücklich auf sie zu. „Frau Pfarrerin, wie schön, Sie endlich wieder zu sehen, hieß es dann. Da ging mir das Herz auf“, erzählt Conrad.
Hat sich etwas verändert in der Begegnung in der Gemeinde? „Man muss das so sehen: Wir haben uns eineinhalb Jahre mühevoll die Distanz antrainiert. Jetzt müssen wir erst wieder die Nähe lernen“, gibt Conrad zu bedenken. In den Gemeinden beobachtet sie unterschiedliche Verhaltensmuster: Einige freuen sich und verhalten sich wie vor dem Lockdown.
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Andere hingegen sind noch vorsichtig, wollen auf der sicheren Seite sein. Besondere Sorgen macht sie sich dabei jedoch um die kleinsten Kinder, die bisher nichts anderes als den Lockdown und die Distanz kennen. „Eineinhalb Jahre alte Kinder, die sehr stark fremdeln und denen man ansieht, dass sie in ihrem Leben noch nicht viel Kontakt zu anderen Menschen hatten – das gibt mir zu denken“, so die Superintendentin. „Diese Kinder tragen dann auch ein gewisses Trauma in sich.“
Und was bleibt nun vom Lockdown und der Distanz? „Wir prüfen gerade, was gut war und beibehalten werden kann. Der Gottesdienst im Live-Stream kam auch gerade denjenigen zu Gute, für die der Weg in die Kirche ansonsten zu schwer fällt. Oder auch die Oma, die so lange nicht auf der Kirchenbank sitzen kann“, so Conrad. Nach Möglichkeit könnte eine Art Hybridform aus präsentischem und digitalem Gottesdienst erhalten bleiben. Aber: Ein vollwertiger Ersatz für die Begegnung in der Gemeinde ist die digitale Welt nicht, macht Simone Conrad klar: „Die Menschen hatten großen Sehnsucht nach der Gemeinschaft.“