Bad Berleburg. Die neue Chefärztin für die Vamed Rehaklinik Bad Berleburg über ihre neuen Aufgaben, das Medizinstudium und ihre erste Zeit als Ärztin.

Sie ist eine der jüngsten Chefärztinnen des Vamed Standortes Bad Berleburg – Nicole Göbel, Chefärztin Psychosomatik, Psychotherapie und psychiatrische Rehabilitation in der Vamed Rehaklinik Bad Berleburg. Im Interview spricht die 41-Jährige unter anderem über ihre neuen Aufgaben, ihr Medizinstudium und über die erste Zeit als Ärztin.

Frau Göbel, wie ist es für Sie als eine der jüngsten Chefärztinnen am Bad Berleburger Vamed Standort, diesen Posten in Ihrer Heimat Wittgenstein anzutreten?

Mir ist es eine große Freude, diese Stelle in meiner Heimat bekleiden zu können. Auch macht es mich stolz, als Wittgensteinerin in einer solchen Position vor Ort tätig zu sein.

Welche neuen Aufgaben warten dort auf Sie?

Insbesondere der Fokus auf die sozialmedizinische, ganzheitliche Betrachtungsweise der Patienten stellt eine neue Aufgabe für mich dar. Ich schätze die Möglichkeit sehr, in einem solch großen qualifizierten und multiprofessionellen Team arbeiten zu dürfen. Als Chefärztin ist es nicht immer leicht, einerseits den Spagat zwischen Führung und Förderung sowie Ausbildung der psychologischen Psychotherapeuten und Assistenzärzte und andererseits einer leitliniengerechten Patientenbehandlung bzw. Patientenversorgung nachzukommen. Es gilt sehr viele verschiedene Interessen zu wahren und zu vertreten. Aufgrund meiner achtjährigen Tätigkeit als leitende Ärztin in einer sozialpsychiatrischen Abteilung habe ich jedoch bereits viel Erfahrung auf diesem Gebiet, was mir den Einstieg aktuell erleichtert.

Wie gehen die Kollegen mit einer so jungen Vorgesetzten um? Wie ist die Akzeptanz bei älteren Patienten?

Der Umgang mit den Kollegen ist geprägt von Wertschätzung, Toleranz, Akzeptanz und Offenheit, was mich sehr freut. Es herrscht ein sehr gutes Arbeitsklima, auch in der Kommunikation mit der Geschäftsführung. Weder im Kollegium noch im Umgang mit älteren Patienten habe ich bisher Probleme in der Akzeptanz erlebt. Vielmehr wurde ich mit offenen Armen willkommen geheißen und meine Einarbeitung bzw. das Einleben in der Klinik wurde durch zahlreiche freundliche Mitarbeiter deutlich erleichtert. Es handelt sich um ein sehr großes Haus mit vielen Fachabteilungen und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mich nicht auch heute noch im Gebäude verlaufe.

War es immer schon Ihr Ziel, eines Tages Chefärztin zu werden?

Ob ich schon immer das Ziel hatte eines Tages Chefärztin zu werden, kann ich ganz klar verneinen. Jedoch wusste ich bereits im Kindergartenalter, dass ich einmal Ärztin werden wollte! Das zog sich fortan durch mein gesamtes Leben. Im Rahmen meiner fachärztlichen Ausbildung und auch später habe ich mich immer weiter qualifiziert, beispielsweise in Verkehrsmedizin, Suchtmedizin, ADHS oder Autismus-Spektrum-Störungen sowie Depressionen und Psychosen. Immer mit dem Ziel die bestmögliche Behandlung der mir anvertrauten Patienten gewährleisten zu können. Im Rahmen dessen hat es sich scheinbar unwillkürlich ergeben, eines Tages, nach der Stelle als leitende Ärztin, auch eine chefärztliche Stelle in einer großen, renommierten Klinik anzutreten.

Wie haben Sie Ihr Studium erlebt? Wie waren die Anfänge in Ihrem Job?

Das Medizinstudium habe ich als sehr anstrengend, aber auch interessant und herausfordernd erlebt. Insbesondere in den vier vorklinischen Semestern hatte ich das Gefühl, nahezu Telefonbücher auswendig lernen zu müssen, beispielsweise in der Anatomie. Da ich während meines gesamten Studiums parallel gearbeitet habe, beispielsweise in verschiedenen ortsansässigen Firmen sowie bei verschiedenen Pflegediensten, hatte ich oft das Gefühl, nur wenig Freizeit zu haben. Dankbar bin ich für die Unterstützung meiner Familie und meines Ehemannes während dieser doch etwas entbehrungsreichen Zeit.

Dennoch, wenn ich heute auf das Studium zurückblicke, war es eine sehr lehrreiche und wunderbare Zeit mit vielen wertvollen zwischenmenschlichen Begegnungen und zahlreichen bis heute bereichernden Erfahrungen. Die Anfänge in meinem Job waren sehr turbulent. Gleich nach der Approbation habe ich im Kreisklinikum Siegen auf der geschützten Abteilung (Geschlossene) als Assistenzärztin begonnen. Dies war nach dem Medizinstudium und meinem praktischen Jahr eine wirkliche Herausforderung. Aber auch dort hatte ich sehr kompetente und wohlwollende Kollegen, welche mich gut in das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie eingearbeitet haben. Später arbeitete ich dann auf verschiedenen psychiatrischen Abteilungen, ein Jahr in der Neurologie sowie in der Ambulanz.

War es zu Beginn schwer, die Gespräche und das Erlebte Ihrer Patienten gefühlstechnisch nicht zu sehr an sich ran zu lassen? Wie schaffen Sie es, sich persönlich abzugrenzen?

Als junge Ärztin war es sicherlich schwer für mich, die Gespräche und die Erlebnisse der Patienten nicht zu nah an mich ranzulassen. Insbesondere, wenn man erstmalig in seinem Leben mit so viel Leid oder auch schweren chronifizierten psychischen Erkrankungsbildern konfrontiert ist. Innerhalb der psychiatrischen/psychotherapeutischen Arbeit ist es wichtig, regelmäßig an Supervisionen und auch an Selbsterfahrungen teilzunehmen. Dies ist eine gute Möglichkeit im Umgang mit der manchmal doch belastenden Situation am Arbeitsplatz. Des Weiteren denke ich, dass es sehr wichtig ist, selbstfürsorglich mit sich umzugehen und letztlich eine gute Work-Life-balance zu finden. Ich versuche bei der Fahrt durch das schöne Wittgensteiner Land von der Klink nach Hause, welche gute 20 bis 25 Minuten dauert, die Klinik bzw. die Inhalte der Arbeit hinter mir zu lassen. Einen Ausgleich finde ich beispielsweise in der Natur oder bei gemeinsamen Aktivitäten mit meinem Ehemann, unserem Hund und Freunden.

Wo würden Sie die Grenze ziehen zwischen Mitgefühl und Mitleid?

Dies halte ich für eine sehr wichtige, aber auch schwierige Frage. Zu diesem Thema habe ich mich vor einigen Jahren in CFT (Compassion focused therapy), ein Mitgefühlbasierter Ansatz in der Psychotherapie, weitergebildet. Mitgefühl halte ich insbesondere im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich für unumgänglich. Ein empathisches Einfühlungsvermögen ist dringend notwendig - insbesondere im Umgang mit psychisch erkrankten Patienten. Es geht darum, den Patienten dort abzuholen, wo er steht, ihm empathisch zu begegnen und ihn im Rahmen der Behandlung dazu zu befähigen, seine eigenen Kompetenzen zu stärken, aber auch neue Fertigkeiten zu erlangen. Mitleid im engeren Sinne halte ich in einer psychotherapeutischen Behandlung für nicht zielführend.

Wann war der Punkt, an dem Sie sich für die Schwerpunkte Depression, Burnout und Essstörungen entschieden haben?

Im vergangen Jahr habe ich mich im Rahmen meiner persönlichen Entwicklung dazu entschlossen, die Chefarztstelle in der VAMED Rehaklinik anzustreben. Die Schwerpunkte der Behandlung von Depressionen, Burn-Out und Essstörungen haben mich schon viele Jahre in der Klinik Wittgenstein begleitet und sehr interessiert.

Wann liegt eine Depression vor und wann eine depressive Verstimmung? Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema in der Öffentlichkeit? Sind es auch heute noch Tabuthemen innerhalb der Gesellschaft?

Eine Depression ist aus psychiatrischer Sicht eine klar definierte Erkrankung mit typischen Symptomen wie gedrückter Stimmung, einem Interessensverlust und Freudlosigkeit sowie einer Verminderung des Antriebs und einer erhöhten Erschöpfbarkeit. Zusätzlich treten jedoch häufig noch weitere Symptome wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen oder verminderter Appetit auf. Auch ein vermindertes Selbstwertgefühl oder Schuldgefühle mit negativer oder pessimistischer Zukunftsperspektive sind bezeichnend. Häufig kommt es auch zu Suizidgedanken, welche die Patienten in besonderem Maße belasten. Unter einer depressiven Verstimmung kann man sich eine Symptomatik aus den o.g. Punkten in milderer Ausprägung und kürzerer Dauer vorstellen. Die diagnostische Abklärung bedarf jedoch eines erfahrenen Behandlers und ist auch für diesen nicht immer einfach.

Seit vielen Jahren setze ich mich dafür ein, dass depressive Menschen in der Öffentlichkeit nicht stigmatisiert oder sogar diskriminiert werden. Insbesondere die Depression ist eine der häufigsten psychiatrischen Krankheitsbilder. Im Laufe des Lebens erkrankt etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann an einer Depression. Durch diese Häufigkeit kennt sicherlich jeder Mensch eine Handvoll Angehöriger, Freunde oder Bekannter, die bereits einmalig von einer solchen Erkrankung betroffen waren. Depressionen kommen in sämtlichen Altersgruppen und auch in sämtlichen sozialen Schichten vor; letztlich kann die Depression jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt seines Lebens treffen. Daher finde ich es besonders schade, dass weiterhin Vorurteile gegenüber Menschen mit Depressionen oder auch Burn-Out in unserer Gesellschaft bestehen. Es ist dringend notwendig, in der Öffentlichkeit stärker darauf hinzuweisen und auch ein Verständnis in unserer Gesellschaft für diese doch sehr häufige psychische Erkrankung zu schaffen.

Was ist das „Schöne“ im Umgang mit den Patienten?

Dazu könnte ich unglaublich viel sagen, aber ich fasse mich kurz: Das Schönste im Umgang mit Patienten und mit Menschen generell ist die enge und vertraute, oft langjährige Arbeitsbeziehung. Dies ist gerade im psychiatrischen/psychotherapeutischen Kontext etwas ganz Besonderes für mich. Die Behandlung ist einerseits geprägt durch das intensive Teilhaben am Denken, Fühlen und Handeln des Patienten, aber auch an deren Lebensgeschichte und der folgenden, durch die Therapie ermöglichten, Entwicklung.Insbesondere die Möglichkeit Menschen in einer Lebenskrise unterstützen zu können, erfüllt mich mit großer Freude. Ich muss gestehen, dass mich der Umgang und der Kontakt mit meinen Patienten in den gesamten Jahren permanent bereichert hat. Ich habe so viel durch meine Patienten lernen und erfahren dürfen, was mir auch in meinem heutigen Leben noch zugutekommt.