Siegen-Wittgenstein. Siegens Landrat Andreas Müller erhofft von der Landesregierung grünes Licht am Mittwoch: Dann würde die Notbremse am Donnerstag gezogen.

Die Schulen in Siegen-Wittgenstein sollen bereits ab Donnerstag geschlossen bleiben und für die letzten beiden Tage vor den Osterferien wieder auf Distanzunterricht umstellen. Landrat Andreas Müller hat die Landesregierung um Genehmigung dieser kommunalen „Notbremse“ gebeten. Mit einer Antwort rechnet Müller am Mittwoch. Schulschließungen wurden bereits auch vom Oberbergischen Kreis und dem Kreis Düren angeordnet.

„Jeder Tag ist wertvoll“, sagte Andreas Müller im Gespräch mit dieser Zeitung und erinnert daran, dass es bereits einzelne Tage mit mehr als 100 Neuinfektionen gab. Die geschehen zwar tatsächlich überwiegend im privaten Bereich, werden aber über Gemeinschaftseinrichtungen in andere Haushalte und Familien weiterverbreitet. Mit einer Inzidenz von 168,3 am Dienstag ist Siegen-Wittgenstein nach dem Märkischen Kreis (215,2) zum landesweiten Hotspot geworden.

Maßnahmen

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„Wir machen das, um Todesfälle zu vermeiden und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten“, sagt Andreas Müller. Gehandelt werden müsse „sehr streng und sehr schnell“. Diese Maßnahmen will der Kreis Siegen-Wittgenstein ergreifen:

Schulen: Schließung ab Donnerstag.

Kitas: Umstellung auf Notbetreuung.

Einzelhandel: Rücknahme der zum 8. März zugelassenen Öffnungen, bis auf Läden des täglichen Bedarfs, sonst nur noch Click & Collect – wie in der Bund-Länder-Runde in der Nacht zum Dienstag auch vereinbart, in Siegen-Wittgenstein dann allerdings nicht erst ab Montag.

Kontaktbeschränkungen: Ein Haushalt plus eine Person, wobei Kinder unter 14 nicht mitzählen. Das soll in Siegen-Wittgenstein auch im privaten Raum gelten. Landrat Andreas Müller schließt zwar eine systematische Überprüfung von Privatwohnungen aus. „Aber wenn uns Partys gemeldet würden, hätten wir eine Handhabe.“

Maskenpflicht im Auto.

Gesundheitsversorgung

Impfen: Die Hausärzte werden nach Ostern ebenfalls impfen. Weil die Impfstoffmengen für die Impfzentren auf dem aktuellen Stand eingefroren werden sollen und künftige zusätzliche Liefermengen an die Hausärzte gehen werden, sei „ein Ausbau der Impfkapazitäten in den Impfzentren oder die Einrichtung von zusätzlichen Impfstellen deshalb hinfällig“, hat Gesundheitsdezernent Thiemo Rosenthal am Montagabend den Bürgermeistern geschrieben.

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Testen: Die Test-Infrastruktur mit kreisweit mehr als 80 Teststellen steht. Obwohl erst seit wenigen Tagen in Betrieb, sind allein in den beiden bisherigen Schnelltest-Zentren des DRK bislang 530 Testungen durchgeführt worden. Im Lauf der Woche werden mehrere weitere ihren Betrieb aufnehmen. „Es gibt ein reges Interesse, sich testen zu lassen, viele Termine für die nächsten Tage sind bereits ausgebucht“, sagt DRK-Pressesprecher Markus Sting. „Mit so einer Resonanz hätten wir nicht gerechnet.“

Krankenhäuser: Mit 70 Covid-Patienten in Krankenhäusern sei seit Pandemiebeginn ein Höchststand erreicht, sagt Landrat Andreas Müller. Das Kreisklinikum könne diese Aufgabe nicht mehr allein schultern. Schon vor zehn Tagen seien auch die anderen Krankenhäuser im Kreisgebiet aufgefordert worden, zusätzliche Kapazitäten für Intensiv- und Isolierstationen zu schaffen. „Im Moment noch nicht nötig“ sei es, Nachbarkreise um Unterstützung zu bitten. Der Märkische Kreis greift bereits auf Krankenhaus-Kapazitäten im benachbarten Hochsauerlandkreis zurück.

Nachverfolgung: Der Kreis bereitet die Einführung der Luca-App vor – notfalls auch im Alleingang. Andreas Müller: „Wir fordern das Land seit Dezember auf, sich landesweit dafür zu entscheiden.“ Wenn im April Geschäfte wieder öffnen dürften, soll ihnen diese ans Gesundheitsamt angebundene App für die Kundenregistrierung angeboten werden. Das Personal im Gesundheitsamt werde derzeit erneut „massiv aufgestockt“. Unterstützung der Bundeswehr ist noch nicht wieder nötig, zugreifen kann die Verwaltung auf das bereits im vorigen Jahr eingearbeitete Personal aus anderen Ämtern. „Wir hoffen, dass diese Welle nicht so lange dauert.“

Einschätzungen

Andreas Müller blickt auf die nun bundesweit zurückgenommenen Lockerungen: Bedingung sei eine Inzidenz unter 50 gewesen – Siegen-Wittgenstein hatte schon Anfang März mehr als 70. Gefordert war eine Teststruktur in den Schulen: zwei Tests pro Woche – das Land habe schließlich einen Test in zwei Wochen angeordnet, aber nach wie vor nicht alle Schulen ausgestattet. Schließlich das Impfen: „Wir wollten weiter sein – sind wir aber nicht.“ Die Verbreitung der britischen Covid-Mutation und die Öffnungen seit dem 8. März wirkten zusammen, glaubt Andreas Müller: „Je mehr Leben möglich ist, um so ungefährlicher wirkt die Situation.“

Impfstelle

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Die Reaktionen in Wittgenstein sind verhalten verständnisvoll, was den Wegfall der angedachten Impfstelle in der ehemaligen Bad Berleburger Salzmann-Schule betrifft.

Ärzteschaft: Die Entscheidung des Kreises sei im Grunde ein Schritt in die richtige Richtung, findet der Bad Berleburger Hausarzt Dr. Holger Finkernagel, löse aber das Problem des Impfstoff-Mangels nicht. Nur wenn nun endlich deutlich mehr Serum auf den Markt komme, so der Mediziner, komme am Ende auch die heimische Wirtschaft bald mit einem blauen Auge aus der Corona-Krise heraus.

Stadtverwaltung: Im Bad Berleburger Rathaus wird es sehr begrüßt, „wenn die Hausärzte jetzt wirklich zeitnah in das Impfgeschehen eingreifen können und der dafür nötige Impfstoff zur Verfügung gestellt wird. Es ging in dem Bemühen der Stadt Bad Berleburg von Beginn an darum, Strukturen zu schaffen, die von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden, keine lange Anreisewege notwendig machen und dazu dienen, die Impfbereitschaft und damit auch die Impfquote zu erhöhen.“ Außerdem bietet die Stadt an, den Impfstart in den Praxen „über alle zur Verfügung stehenden Kanäle der Stadt Bad Berleburg“ zu bewerben.

Politik: „Die Impfstelle hätte es eigentlich schon im Dezember geben können“, sagt der Berleburger CDU-Fraktionschef Martin Schneider. Denn schon damals hatte sich die Wittgensteiner Politik für deren Aufbau eingesetzt. dass die Verantwortlichen für die Impfungen jetzt erst, für die Zeit nach Ostern, auf Wittgensteins Hausärzte setzten, komme im Grunde „viel zu spät“, bedauert Schneider.

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Andererseits mache es Sinn, den immer noch viel zu raren Impfstoff jetzt direkt in die Hausarzt-Praxen abzugeben als an eine Impfstelle, die erst noch aufwändig einzurichten wäre. Und die Hausärzte stünden für die Impfungen schon seit Monaten bereit. Man sollte ihnen allerdings „mehr Eigenverantwortung zugestehen“, so Schneider, bei überzähligen Impfdosen und was die Auswahl der Impflinge angehe. „Die Hausärzte kennen ihre Patienten und wissen: Wer braucht die Impfung und wer nicht?“

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Die SPD Wittgenstein freut sich, dass offenbar nun doch relativ kurzfristig Impfungen gegen SARS CoV2 auch in Wittgenstein über die Hausarzt-Praxen möglich sein werden“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der SPD-Fraktionsvorsitzenden. „Ein zweites Impfzentrum in Wittgenstein hätte hier sicher etwas gebracht, die Hemmschwellen zu verringern“, sagt der Bad Berleburger SPD-Fraktionschef Andreas Meinecke – „aber diesen Effekt erreicht man natürlich ebenfalls über die Hausarztpraxen“.„Wenn das Land allerdings weiterhin Impfstoff als Reserve zurückhält, dann ist das natürlich langsam keinem Menschen mehr zu erklären. Und auch die Impfreihenfolge kann nicht in Stein gemeißelt sein, wenn es nicht voran geht. Andere Länder machen uns vor, wie das schneller und flexibler geht“, meint Iris Gerstmann, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in Bad Berleburg.