Bad Laasphe/Siegen. Der Verteidiger geht von einer ungewollten Tat aus. Die Staatsanwältin sieht dagegen anhaltende Aggressionsgefahr beim Angeklagten.
Am 28. August soll am Siegener Landgericht das Urteil gegen jenen Mann verkündet werden, der am frühen Morgen des 15. Juli 2018 gegenüber dem „Eckpunkt“ in Bad Laasphe einen Bekannten niederstach.
Das fordert die Anklage
Hinweis aufs Urteil?
Die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach weist darauf hin, dass S. ganz offensichtlich nicht der einfachste und umgänglichste Mensch sei – „aber das ist ja noch kein Grund, ihn einzuweisen“.
Das könnte ein Hinweis auf das Urteil am Freitag in drei Wochen sein. Vorher hat S. noch das letzte Wort.
Gefährliche Körperverletzung in einem minderschweren Fall sieht die Staatsanwältin nach drei Tagen Hauptverhandlung erwiesen – und beantragt 13 Monate, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Doch hält sie auch eine Einweisung in eine Entziehungseinrichtung für dringend. Dabei geht sie mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Thomas Schlömer konform, obwohl die Kammer bereits angedeutet hat, dessen Auffassung derzeit nicht zu teilen.
Das fordert der Verteidiger
Verteidiger Harald Hommel fordert eine Bewährungsstrafe ohne genaue Höhe und die Möglichkeit einer freiwilligen Alkohol-Therapie seines Mandanten. Auch er hat seine Zweifel am Sachverständigen und sieht in dem Vorfall eine eher untypische Sachlage, möglicherweise gar Fahrlässigkeit. Wie es auch schon das Opfer selbst gesagt habe: „Einfach dumm gelaufen!“
Der Stand der Ermittlungen
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Zum Geschehen vor etwas mehr als zwei Jahren ist am Ende nur geklärt, dass es im Laufe des vorangegangenen Abends einen Streit zwischen dem Angeklagten S. (55) und einem jungen Mann gegeben hat, der zumindest eine Zeitlang mit der Tochter des S. liiert war. Da soll es sogar eine Tötungsdrohung des Angeklagten gegeben haben im Laufe des Streits, an die sich der jüngere Mann aber nicht erinnern will. Er wird an diesem Montagmittag von der Polizei vorgeführt und hat überhaupt wenig von jener Nacht im Kopf: „Ich war besoffen, es war ein verrückter Tag!“ Von Abneigungen des Angeklagten gegen ihn wegen der Beziehung weiß er angeblich auch nichts: „Wir sind immer gut miteinander ausgekommen.“
Verteidiger Hommel zeigt sich überrascht, dass die Tochter des S. zuvor recht beiläufig von einem zur Tatzeit längst beendeten „Techtelmechtel“ gesprochen hatte, während der Zeuge nun berichtet, der Vater ihres Kindes zu sein. Ansonsten hat auch dieser Mann im Vorfeld der Tat kein Messer gesehen und beschreibt, wie S. auf ihn und das spätere Opfer zugelaufen sei: „Ich sprang zur Seite, der andere bekam den Stich in den Bauch.“
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S. hat dies praktisch zugegeben, will aber gedacht haben, das Messer sei nicht aufgeklappt. Sein Mandant habe mehrfach gerufen, die anderen sollten ihn in Ruhe lassen, „sonst ich Messer“. Es sei dem S. lediglich darum gegangen, „seine Verteidigungsbereitschaft zu zeigen“, ist der Anwalt überzeugt. Einen Stich habe er gar nicht beabsichtigt.
Die Staatsanwältin hat die Abweichungen bei den Aussagen mit dem „Zeitablauf und dem Alkohol“ erklärt. Zumindest hier gibt es keinen Widerspruch vom Verteidiger. Niemand könne heute sagen, wer tatsächlich der Ausgangspunkt der Aggression gewesen sei. Es gebe keinerlei Vorstrafen seines Mandanten in dieser Richtung. Wenn dessen ältester Sohn berichte, sein Vater komme öfter mit blauen Augen und Abschürfungen nach Hause, müsse das nicht auf dessen Verschulden hindeuten, „er ist vielmehr für mich das Opfer“. So könne sich S. auch an jenem Morgen vor zwei Jahren einfach bedroht gefühlt haben.
Das sagt der Sachverständige
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Dr. Schlömer hatte dem S. eine bipolare aggressive Störung diagnostiziert. Zudem habe S. zur Tatzeit etwa zwei Promille gehabt und sei in einer manischen Phase gewesen. Das alles reicht für ihn zur Annahme einer geminderten Schuldfähigkeit. Es lasse aber auch weitere Straftaten befürchten. Gutachter und Staatsanwältin gehen davon aus, dass der Alkohol die Krankheit des Angeklagten befördert und eine Behandlung der Sucht dringend geboten ist. Um weitere Taten zu verhindern. Im Gegensatz zum Verteidiger wertet der Mediziner die Spuren der Gewalt an S. als Ausdruck regelmäßiger Aggressionen, die allerdings nicht gerichtsbekannt würden. Er zieht auch die Bemerkungen der Kinder des S. heran, vom Vater geschlagen worden zu sein, um dessen Gewaltbereitschaft zu begründen.
Das sagt der Angeklagte
Nach eigenem Bekunden war bei S. bereits in seinem Geburtsland Kasachstan erstmals eine Schizophrenie bekannt geworden. Dort, so berichtete der Angeklagte, habe er Cannabis umsonst von der Wiese ernten können – und schon damals eine Vorliebe dafür entwickelt. In Deutschland war die Krankheit 2011 wieder akut geworden. Inzwischen wird der Mann betreut.
Die Sache mit dem Fahrrad
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Typisch für seinen Zustand: Am 23. Dezember 2019 war er in der Nähe des Laaspher Bahnhofs beobachtet worden, wie er mit einem Bekannten versuchte, das Kettenschloss eines Fahrrades zu durchschneiden. Dafür gab es später einen Strafbefehl über 900 Euro wegen versuchten schweren Diebstahls. S. hatte den Polizisten nicht klarmachen können, dass es sich um sein eigenes Rad handelte und er das Schloss nicht aufbekam.
Betreuer und Verteidiger erfahren davon erst im Laufe der Verhandlung. „Ich habe die ganzen Papiere nicht verstanden“, schüttelt der Angeklagte den Kopf. „Er ist manchmal schwer zu verstehen“, betont Anwalt Hommel.