Siegen/Bad Laasphe. Im Juli 2018 hat der Angeklagte einem 38-Jährigen ein Messer in den Bauch gestoßen. Das Gericht untersucht, wie es so weit kommen konnte.

Am zweiten Tag macht der Angeklagte einen etwas besseren Eindruck. Nachdem der 1964 in Kasachstan geborene Mann aus Bad Laasphe am Dienstag in Haft genommen wurde, ist er am Donnerstag fähig, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zu hören.

Danach soll er am 15. Juli 2018 auf dem Wilhelmsplatz in Bad Laasphe einem Bekannten im Rahmen eines Streits ein Messer in den Bauch gestoßen haben. Was er letztlich auch bestätigt, weil er sich bei seinem Opfer entschuldigt. „Es tut mir leid, es war alles ein Missverständnis“, sagt er kopfschüttelnd in Richtung des Zeugen. „Es ist gut“, antwortet dieser.

Erste Entschuldigung

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Vorher habe es allerdings keine solche Geste gegeben, verneint der 38-Jährige auf Nachfrage der Vorsitzenden. Der Angeklagte hatte behauptet, seinem Widersacher in der Laaspher Innenstadt begegnet zu sein und sich bereits entschuldigt zu haben. Das sei falsch, sagt der Zeuge: „Wir haben uns mehrfach getroffen. Er hat mich angegrinst.“

Tatgeschehen

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Was ist geschehen an jenem Sonntagmorgen in Bad Laasphe, gegen halb sechs Uhr gegenüber einer Kneipe, die von allen Beteiligten besucht worden war in der Nacht? Der spätere Geschädigte war zunächst mit einer Bekannten unterwegs und dann noch mit zwei Freunden, von denen einer mit dem Angeklagten in Streit geriet. Bei mehreren Rauchpausen vor der Tür hatte es verbale Auseinandersetzungen gegeben. Weil jener andere Zeuge, der bislang der Ladung nicht gefolgt ist, eine Beziehung zur Tochter des Angeklagten hatte, die von diesem nicht geschätzt wurde.

Tochter sagt aus

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Die junge Frau (29) berichtet selbst von einem „Techtelmechtel“, das zu dieser Zeit längt nicht mehr aktuell gewesen sei. Ihr Vater leide an einer psychischen Erkrankung, sei zu dieser Zeit in einer „Hochphase“ und kaum ansprechbar gewesen, aggressiv und leicht erregbar, vor allem nach Genuss von Alkohol. Daher ging er den Mann offenbar nach Schließung der Kneipe noch einmal an und wirkte nach der Beschreibung eines weiteren Zeugen wie einer, der sich schlagen will. An diesem Punkt griff der Geschädigte ein, der den Angeklagten kannte und „nie ein Problem mit ihm gehabt“ hatte. „Ich habe eine Hand auf seine Schulter gelegt und wollte ihn beruhigen“, erzählt der Zeuge. Offenbar habe sein Gegenüber gedacht, er wolle ihn angreifen und sei zurückgewichen: „Er kannte mich ja eigentlich, aber in diesem Moment wohl doch nicht.“ Sie seien gestürzt und übereinander gefallen, hätten sich wieder aufgerafft, „dann hat er zugestochen“. Er habe damals nur einen Faustschlag wahrgenommen, kein Messer gesehen, ergänzt der Zeuge: „Dann wurde es warm und die Suppe lief runter.“ Er sei davongelaufen und nach wenigen Metern zusammengebrochen.

Messer verfehlt Leber knapp

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Die Ärzte stellten später einen Stich fest, der die Leber knapp verfehlt hatte. Trotzdem hatte der Mann wochenlang Schmerzen, „es ist immer noch alles taub“. Ein Anwohner hatte der Polizei gegenüber ausgesagt, er habe den Angeklagten mehrfach mit dem Messer fuchteln und drohen sehen. Davon weiß der Verletzte nichts. Für ihn sei alles überraschend gekommen.

Seit 1997 in Deutschland

Der Angeklagte ist 1997 mit seiner Familie nach Deutschland gekommen. Obwohl er bereits in Kasachstan psychiatrisch behandelt wurde, ging er in der neuen Heimat vor 2011 nicht in dieser Sache zum Arzt, arbeitete, gründete eine Familie, machte den Führerschein und kaufte sich ein Auto, berichtet er mit Stolz in der Stimme. Ab 2012 trat die Krankheit wieder auf. Er nimmt kaum Medikamente, wurde immer aggressiver und unberechenbarer. 2018 zogen seine Frau und der jüngste Sohn auf Anraten des ältesten Bruders aus. Er und die Tochter führen bereits länger eigene Leben, sorgen sich allerdings um den Vater und leiden unter dessen Krankheit.

Sorge der Familie

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„Es muss etwas passieren, ich muss aussagen“, erklärt die Tochter, die bereits Minuten angestrengt ruhig geredet hat, bevor sie das erste Mal in Tränen ausbricht. Dann erst nimmt sie den Vater überhaupt wahr, und die Schleusen brechen endgültig. „Ich habe Angst, dass sich seine Persönlichkeit verändert und er alles vergisst“, schluchzt die junge Frau. Der ältere Bruder hat noch den engsten Kontakt, viele Schulden des Vaters bezahlt und ihn lange Zeit regelmäßig versorgt. Der Zustand sei immer schlimmer geworden, rundet er das Bild des Angeklagten ab, der in seinen manischen Hochphasen zügellos wie ein Kind sei und das gesamte Familienvermögen durchgebracht habe.

Haftbefehl vorerst aufgehoben

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Der Vater hält die meiste Zeit die Hände vor das Gesicht. Er hat ständig starke Rückenschmerzen, das beste Mittel dagegen sei Marihuana. Seine Kinder haben versucht, dafür ein legales Rezept zu bekommen, vergeblich allerdings. Er wolle sich ja helfen lassen, sagt er, fürchte aber die starken Nebenwirkungen der Medikamente, die ihn „wie einen Roboter“ machten. Am Dienstag habe er solche Angst davor gehabt, zu verschlafen, dass er versuchte, die ganze Nacht wach zu bleiben. Und am Morgen doch noch einnickte. Dennoch wird der Haftbefehl am frühen Nachmittag aufgehoben. Ihn bis zum nächsten Termin am 10. August in der JVA zu lassen, ist für alle Beteiligten jenseits der Verhältnismäßigkeit. „Wir verlassen uns auf Sie. Und kommen Sie möglichst nüchtern“, gibt Richterin Elfriede Dreisbach ihm mit auf den Weg.