Siegen/Bad Laasphe. 55-Jähriger Mann soll sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Doch der Prozessauftakt muss vertagt werden.

„So etwas habe ich auch noch nie erlebt“, brummelt Richterin Bettina Scholtis, als die Verhandlung - wieder einmal - unterbrochen ist. Nach Plan wäre der Dienstag mit dem Prozess gegen einen 55-jährigen Mann aus Bad Laasphe gut ausgefüllt gewesen. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung mit Einsatz einer Stichwaffe. Aber es kommt nicht einmal zur Verlesung der Anklage. Erst ist der Wittgensteiner nicht aufzufinden. Dann wird entschieden, dass er zumindest an diesem 28. Juli nicht verhandlungsfähig ist. Darüber ist es allerdings bereits Mittag geworden.

Verschiedene Versäumnisse

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Schon der Beginn des Tages läuft mehr als suboptimal. Der Sachverständige fehlt, beide Schöffen sind nicht da und der Angeklagte eben auch nicht. Immerhin steht Psychiater Dr. Thomas Schlömer irgendwann auf dem Flur im 1. Stock des Gerichtsgebäudes. Die Schöffen werden telefonisch erreicht, haben beide den Termin vergessen, respektive mit dem zweiten Verhandlungstag verwechselt. Derweil versucht der Betreuer des Angeklagten, den nach wie vor Vermissten fernmündlich zu erreichen. Vergeblich allerdings. „Er wollte kommen“, ist immerhin zu hören. Schließlich entscheidet die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach auf die polizeiliche Vorführung. Gegen 10.30 Uhr steht dann fest: „Sie haben ihn!“ Damit besteht die Hoffnung, den Verhandlungstag doch beginnen zu können. Immerhin sind reichlich Zeugen geladen.

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„Guten Morgen, wir warten schon alle auf Sie“, wird der hagere Mann mit schütterem Haar von Verteidiger und Betreuer begrüßt. Er habe kaum geschlafen, sei dann am Tisch eingenickt“, erklärt er leise. Die Personalien werden aufgenommen, danach setzt das Nachdenken ein. „Schauen Sie mich nicht so böse an. Wenn überhaupt, müsste ich Sie böse ansehen, weil Sie nicht gekommen sind“, schüttelt Elfriede Dreisbach den Kopf in Richtung des unruhig und desorientiert wirkenden Mannes. Ob er sich wohl fühle, möchte sie wissen: „Sind Sie betrunken?“ Der Klient sehe „immer so aus“, wehrt der Betreuer ab. „Ich kenne ihn anders“, widerspricht der Sachverständige. Er habe den Mann „zweimal untersucht, ich konnte mich gut mit ihm unterhalten“.

Gutachter hat Bedenken

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Dr. Schlömer hat starke Bedenken über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, soll diesen daraufhin untersuchen. Nach einigen Minuten bestätigt der Mediziner seine Einschätzung. Er geht von übermäßigem Alkoholkonsum in der Nacht aus, möglicherweise dadurch bewirkt oder damit verbunden einem starken Affektzustand des Mannes, der kaum zuhöre und wirres Zeug rede. „Ich konnte ihn kaum verstehen“, sagt der Sachverständige über den Mann, der in Kasachstan geboren wurde und nur gebrochen Deutsch spricht. Daraus erwächst kurz das Missverständnis, dass er bis drei Uhr morgen sieben Flaschen Wein getrunken habe. „Nein, eine Flasche 0,7“, ruft der Angeklagte schließlich verärgert. Er will aber insgesamt nur sechs Tage im Juli geschlafen haben, fühlt sich schlecht und nervös. „Schauen Sie einmal, wie viele Leute hier nur wegen Ihnen sitzen“, hält ihm die Richterin vor. Sie denke wohl ohnehin, „dass ich das letzte Ar…. bin“, wird er lauter. „Das denke ich gar nicht“, gibt die Vorsitzende zurück.

Psychische Erkrankung

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Der Sachverständige vermutet einen Zusammenhang mit der vorhanden psychischen Erkrankung des Angeklagten, sieht aber eine gute Chance, dass dieser bei einer sofortigen Inhaftnahme am Donnerstag in besserem Zustand sein könne. Das gibt am Ende den Ausschlag für den Erlass eines Haftbefehls.

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Bleiben die Zeugen, die gebeten werden, am Donnerstag noch einmal zu kommen. „Ganz schlecht“, sagt eine Frau, die einen akuten Pflegefall zu Hause und mit großer Mühe für den Dienstag eine Betreuung gefunden hat. Ein junger Mann ist aus Lübeck angereist und kann frühestens am Mittwoch klären, ob sein Arbeitgeber ihn noch einmal problemlos nach Siegen fahren lässt. Die Kammer entscheidet kurzfristig, beide Zeugen richterlich zu vernehmen und die Aussagen dann auf diesem Wege morgen oder am 10. August in die Verhandlung einzuführen. Staatsanwältin und Sachverständiger wollen dabeibleiben. Der Verteidiger verabschiedet sich.