Wittgenstein. Tausende neue Preise gelten über Nacht. Viel Arbeit ist das für den Wittgensteiner handel. Und ob die Kunden das spüren. Es bleiben Fragen.
Einige Kunden wird es sicher freuen: die Preise sinken – oder besser gesagt die Mehrwertsteuer. Denn gerade bei den kleinen Preisen ist davon kaum etwas zu spüren. Seit dem 1. Juli gelten nun die 16 statt die gewohnten 19 Prozent. Eine Senkung um drei Prozent. Was die einen freut, bedeutet gerade für die Händler einen enormen Aufwand. Und: Der Vorteil gilt nicht für alle Waren.
Die Einzelhändler
Senkung der Mehrwertsteuer
Als Teil des Corona-Konjunkturpakets der Bundesregierung wird die Mehrwertsteuer vom 1. Juli bis zum 31. Dezember von 19 auf 16 beziehungsweise von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Händler und Gastronomen sollen so zumindest einen Teil ihrer Umsatzverluste wieder reinholen können.
Drei Prozentpunkte Mehrwertsteuersenkung machen jedoch nicht drei Prozent Preisreduktion aus. Schließlich wird die Mehrwertsteuer auf den Nettopreis aufgeschlagen. Der tatsächliche Vorteil beim Kunden liegt bei rund 2,5 beziehungsweise 1,9 Prozent.
Die Mitarbeiter des Canonshops und Wohnzeug Achatzi in Bad Laasphe haben seit der Senkung nun einiges zu beachten. „Ganz glücklich ist das nicht. Wir müssen bei jedem Kauf die Preise an der Kasse abändern“, sagt Peter Achatzi. Er sieht in der Senkung nur wenige Vorteile für die Kunden. „Ich glaube eine Art Helikoptergeld für die Bürger hätte mehr gebracht. Denn gerade bei den kleinen Beträgen, bringt die Mehrwertsenkung kaum etwas. Die, die hier ein paar Kopien machen sparen vielleicht ein paar Cent. Bei größeren Sachen ist das wieder etwas anderes. Da markt man das schon.“
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Auch in der Bad Berleburger Buchhandlung MankelMuth ist man sicher: Die Senkung der Mehrwertsteuer bringt mehr Arbeit für den Händler, als es am Ende dem Kunden dient. „Wir haben da auch gar keinen Einfluss drauf. Wenn, dann ändert das der Verlag und da wird wird wahrscheinlich kaum jemand etwas ändern. Denn der Mehraufwand steht in keiner Relation zum Endprodukt“, sagt Monika Schröder.
Per Wiebelhaus sieht aber auch trotz dem enormen Mehraufwand etwas Gutes in der Senkung der Mehrwertsteuer. „Wir geben die Reduzierung im vollen Umfang an unsere Kunden weiter. Wenn es am Ende uns allen hilft, finde ich es okay.“ Er ist froh, dass sie nicht zusätzlich noch alle Preise umschreiben müssen – stattdessen werden die Prozente am Ende abgezogen.
Die Supermärkte
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Volker Treude betreibt Rewe-Supermärkte in Bad Berleburg und Bad Laasphe: „Wir haben am Wochenende allein 5000 Einzelpreise angepasst und neue Etiketten gedruckt“, berichtet Treude von einem enormen Aufwand, der für die Umsetzung der temporären Mehrwertsteuer-Reduzierung getrieben werde muss. „Ich muss mich deshalb noch einmal ausdrücklich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Die haben in der Coronazeit durchgehalten und ziehen weiter mit“, sagt der Kaufmann, der gleichzeitig noch eine Aktion an die Senkung koppelt: „Wir haben wöchentlich wechselnd bestimmte Warengruppen zusätzlich im Preis um zehn Prozent reduziert“, berichtet er und bleibt dennoch zurückhalten beim Blick auf die Auswirkungen: „Wie sich die Mehrwertsteuersenkung auswirkt, dazu kann man jetzt noch nichts sagen. Das können wir erst am Ende beurteilen“, so der Bad Berleburger.
Die Lotto-Annahmestelle
Bei Karsten Stöcker, Lotto-Toto-Annahmestelle Tabakwaren an der Marburger Straße in Erndtebrück, gibt‘s auch Ermäßigung dank drei Prozent weniger Mehrwertsteuer – „aber auch nicht auf alle Artikel“, sagt Ute Hupka vom Team, „nicht auf Lottoscheine und auch nicht auf Tabakwaren“. Bei Zigaretten etwa sei es ausdrücklich verboten, mehr oder weniger zu verlangen als auf der Steuerbanderole angegeben ist. Ansonsten würden die drei Prozent beim Abrechnen an der Kasse abgezogen, so Ute Hupka – was jetzt natürlich krumme Endpreise ergebe. Die Ersparnis? „Kaufen Sie sich eine Zeitung für einen Euro, dann sind es drei Cent. Das ist nicht viel.“ Manchen Kunden falle der Preisunterschied gar nicht auf, hat Hupka festgestellt. „Manche sagen auch, ich bezahle doch meinen Euro – und geben den Rest für krebskranke Kinder in unsere Spardose, die schon jahrelang auf der Theke steht“, freut sich die Mitarbeiterin. „Da kommt jetzt mehr rein als sonst“, sagt sie.
Die Apotheke
Auch Steffen Busch, Inhaber der Brücken-Apotheke in Erndtebrück, gibt die gesenkte Mehrwertsteuer gern an seine Kunden weiter. „Unsere EDV rechnet das an der Kasse gleich um“, erklärt er. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln seien die Preise samt abgesenkter Steuer sogar gesetzlich vorgeschrieben. „Kunde und Krankenkasse profitieren da automatisch.“ Bei „Artikeln, die wir auch selber kalkulieren können“, habe die Apotheke einen Spielraum bei der Höhe der Preisvorteile, sagt Busch – etwa bei Pflegeartikeln oder dem Blutdruck-Messgerät im Warensortiment. Allerdings sei hier der dreiprozentige Spareffekt bei insgesamt geringem Endpreis auch eher gering. Signifikant sehe es dagegen schon beim Kauf etwa eines Rollators aus: 119 statt 129 Euro – da seien schon zehn Euro Ersparnis drin. Insgesamt findet Apotheker Busch den Anreiz mit der geringeren Mehrwertsteuer „total gut, weil das alle betrifft“ – und nicht nur eine bestimmte Zielgruppe. Er fürchtet allerdings, dass ein halbes Jahr für diese Aktion nicht reiche, um die Wirtschaft nachhaltig ankurbeln zu können.