Meschede. Eine Kugel Eis für 97 Cent? Und was hat die Mehrwertsteuer-Senkung eigentlich mit meiner Stromrechnung zu tun? Wir haben nachgefragt.

Für sechs Monate wird die Mehrwertsteuer im Handel ab dem 1. Juli gesenkt. In der Gastronomie hält die Senkung bei Speisen sogar ein Jahr lang an. Mit einer kleinen Erhöhung auf der Hälfte - ausgerechnet am Silvesterabend. Doch was so schön klingt, ist in der Praxis recht kompliziert.

Prozente-Durcheinander

Die Mehrwertsteuer-Senkungen auf einen Blick.
Die Mehrwertsteuer-Senkungen auf einen Blick. © WP Meschede | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Die Mehrwertsteuer für den Handel wird von 19 auf 16 Prozent gesenkt, um die Kauflust in der Bevölkerung anzukurbeln - so beschreibt es die Bundesregierung. Bei der nächsten Shoppingtour durch die Mescheder Innenstadt könnte sich auf dem Kassenzettel also bereits etwas tun. Wer anschließend noch einen Latte Macchiato im Lieblingscafé trinken möchte, könnte ebenfalls sparen. Denn auch die Mehrwertsteuer auf Getränke wird bis Jahresende von 19 auf 16 Prozent gesenkt.

Noch besser könnte es werden, wenn man auch noch den Italiener um die Ecke besucht und sich Pizza oder Pasta gönnt - bei Speisen vor Ort fällt der Steuersatz nämlich von 19 auf fünf Prozent (ab 1.1.2021 sieben Prozent), außer Haus sind es ebenfalls nur noch fünf Prozent (statt sieben). Dieser Satz gilt auch für Hotelübernachtungen bis Ende des Jahres.

Doch wie geben Händler und Gastronomen die Senkung an die Kunden und Gäste weiter? Und müssen sie das überhaupt? Jens Scharf aus Berge ist Experte für Kassensysteme in Meschede und befürchtet, dass viele Betroffene noch nicht ganz genau wissen, was auf sie zukommt. „Einen ganzen Artikelstamm für ein halbes Jahr umzustellen ist je nach Größe des Geschäfts quasi unmöglich“, berichtet er. Praktikabler wäre es, die drei Prozent als Rabatt auf die Rechnung zu geben. „Doch auch dafür müsste man zumindest eine Taste programmieren.“

Nachlass ist kein Muss

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Eine Pflicht zur Weitergabe an Kunde oder Gast besteht jedoch nicht. „Im Rahmen der üblichen Preisgestaltung steht es Unternehmen, Dienstleistern und Geschäftstreibenden frei, ihre Preise beizubehalten und dadurch ihre Gewinnspanne zu erhöhen“, heißt es seitens der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Auskunftspflicht besteht aber durchaus: Der Endpreis von Fernseher, Friseurbesuch oder Fischbrötchen inklusive aller Steuern und Nebenkosten muss angegeben werden.

Dazu bleibt laut Petra Golly, Leiterin der Beratungsstelle Arnsberg der Verbraucherzentrale NRW, auch nach dem 1. Juli noch Zeit: „Händler und Anbieter von Dienstleistungen müssen die Preisauszeichnung in sämtlichen Regalen oder auf Aushängen nicht in der Nacht zum 1. Juli 2020 auf einen Schlag ändern, wenn sie die Mehrwertsteuersenkung an ihre Kunden weitergeben wollen. Sie können während der befristeten sechsmonatigen Mehrwertsteuersenkung auch Rabatte an der Kasse gewähren.

Gespräch mit dem Steuerberater

Jens Scharf hat seine Kunden in Meschede rechtzeitig über die Neuerungen informiert, die Resonanz sei bislang jedoch nicht besonders üppig. „Als ich vor Kurzem in der Stadt unterwegs war, machte sich noch Ahnungslosigkeit breit“, sorgt sich Scharf um die rechtzeitige Umstellung der Kassensysteme. Grundsätzlich empfiehlt er Händlern und Gastronomen zunächst das Gespräch mit dem Steuerberater.

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Diese Schritte hat Samuel Rosetti vom Eiscafé Venezia auf dem Kaiser-Otto-Platz bereits hinter sich. Von der Mehrwertsteuersenkung hat er aus den Nachrichten erfahren und sich gleich bei seinem Steuerberater informiert, was zu tun ist. Für die Umstellung der Kasse war dann wiederum Jens Scharf verantwortlich. „Es ist ein wenig kompliziert und bedeutet natürlich einen finanziellen Aufwand. Aber man macht das Beste draus“, berichtet Rosetti. In einer Eisdiele sei es jedoch kaum möglich, drei Prozent sinnvoll abzuziehen. „Dann müsste ich für die Kugel ja 97 Cent statt einem Euro nehmen.“ Um diesem Irrsinn auszuweichen, verzichtet Samuel Rosetti in diesem Jahr auf längst fällige Erhöhung seiner Preise. „Es wäre eigentlich schon im Januar an der Zeit gewesen, unsere Preise ein wenig anzuheben, darüber machen wir uns aber jetzt erst wieder Anfang des nächsten Jahres Gedanken“, berichtet er.

Weitergabepflicht bei Strom und Gas

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Weitergabepflicht der Mehrwertsteuersenkung herrscht dafür bei Strom- und Gastverträgen. „In diesem Fall hat man sich ja schon zu einem früheren Zeitpunkt auf den Vertrag eingelassen und die Mehrwertsteuer berechnet sich aus dem zu zahlenden monatlichen Abschlag“, erklärt Petra Golly auf Nachfrage. Den reduzierten Umsatzsteuersatz müssen Strom- und Gasversorger aber nicht sofort in den monatlichen Abschlagszahlungen des Kunden, wohl aber in dessen Jahresabrechnung berücksichtigen.

Entwarnung gibt das Finanzamt in Sachen Steuererklärung: „Eine Anpassung der Steuerformulare ist für diese gesetzliche Änderung nicht notwendig. Die Umsätze zu den neuen Steuersätzen (16 % und 5 %) können in bereits vorhandene Felder in der Umsatzsteuererklärung beziehungsweise Umsatzsteuervoranmeldung eingetragen werden“ erklärt Margret Frechrichs vom Finanzamt Meschede.

  • Bei Energieverträgen kommt es auf die AGBs an: Sicherheitshalber sollten am 30. Juni Zählerstände notiert werden.
  • Bei gebuchten Dienstleistungen kommt es für den richtigen Steuersatz darauf an, wann die Leistung erbracht bzw. wann Ware geliefert wird.

Detaillierte Informationen zur Senkung sind auf der Homepage der Verbraucherzentrale einsehbar:

verbaucherzentrale.nrw