Wittgenstein. Was das Besondere an der Wilderei in Wittgenstein ist, erklärt Peter Bürger. Er hat das Buch „Wo Wild ist, wird auch gewildert“ herausgebracht.

Wilderei – eine Kriminalität, die einen langen Weg zurücklegt. Schon früh gehörte sie gemeinsam mit dem Holzfrevel zum Alltag – auch in Wittgenstein. Wie lange es sie schon gibt? Davon kann man sich im neuen Sammelband „Wo Wild ist, wird auch gewildert“, herausgegeben von Peter Bürger, einem sauerländischen Mundartforscher, selbst ein Bild machen.

Vergangenes Jahr hat er gemeinsam mit diversen Co-Autoren, unter anderem mit Dieter Bald, Otto Busdorf, Karl Féaux de Lacroix, Heiko Haumann und Klaus Homrighausen, mit der Arbeit an dem Sammelband begonnen. Seit dem 6. Februar 2020 ist es nun auf dem Markt. Der Lokalredaktion verrät der Herausgeber nun, wie die Zusammenarbeit verlief, wie sie an Quellen kamen und was das Besondere an der Wilderei im Wittgensteiner Land ist.


Herr Bürger, wie kamen Sie auf die Idee, über das Thema „Wilderei“ ein Buch zu veröffentlichen?
Peter Bürger: Schon im Jahr 2013 bin ich durch Forschungen zur Regionalliteratur auf den berühmten westfälischen Wilddieb Hermann Klostermann gestoßen. Mein Zwillingsbruder Paul, der Jäger ist, hat mich

Peter Bürger
Peter Bürger © Privat | Privat

ermutigt, nicht nur auf eine einzelne populäre Heldengestalt zu kucken. So begannen mit einem Rundbrief an die sauerländischen Ortsheimatpfleger die Erkundigungen zur historischen Wilderer-Szene.

Wie kommt es, dass Sie sich die Region Wittgenstein und Siegerland heraussuchten?
Meine Forschungen zu Südwestfalen sind 2018 im Band „Krieg im Wald“ zusammengefasst worden. Danach kamen aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe ergänzende Hinweise. Das war der Grundstock für die beiden aktuellen Sammelbände „Wo Wild ist, da wird auch gewildert“ (Siegen-Wittgenstein) und „Heimliche Jagd“ (Olpe). Die Idee dahinter: Zunächst das schon Vorhandene durch Neuabdruck und Leseberichte zu erschließen. Prof. Heiko Haumann hat dafür z.B. seine wichtige Studie über den berüchtigten „Johannes Wagebach“ noch einmal gründlich bearbeitet. Ein großes Geschenk für das Unternehmen.

Wie ist ihre Verbindung nach Wittgenstein?
In meiner hochsauerländischen Kindheit war Berleburg der erste Trainingsort für die eigenen Brieftauben. Unser Esloher Mundartprojekt bezieht sich dagegen nur auf Plattdeutsch, so dass hierbei das „Wittgensteinische“ stets ausgeklammert blieb.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Co-Autoren entstanden? Kannten Sie sich bereits vorher schon?
Autoren wie die Berleburger Dieter Bald und Klaus Homrighausen kannte ich vorher gar nicht. Doch die allermeisten Heimatforscher sind heute offen für Zusammenarbeit und Austausch. Wer anklopft, dem wird fast immer auch eine Tür geöffnet. Die alten Lokalmatadoren, die ihre tollen Geheimnisse der Heimatgeschichte lieber mit ins Grab nehmen als mitzuteilen, die sterben aus. Gute Ergebnisse findet man

Das Buch
Das Buch "Wo Wild ist, wird auch gewildert" -- herausgegeben von Peter Bürger -- ist 2020 erschienen.  © Privat | Privat

nur noch bei Leuten, die Freude an Kooperation haben und mit Geschichtsprojekten zu überschaubaren Räumen keinen „Ruhm“ erringen wollen. Die Liste der Helfenden im Kreis Siegen-Wittgenstein war lang.

Was fasziniert Sie persönlich so an der Thematik?
Wichtiger als düstere Kriminalistik und Wilderer-Folklore ist für mich die soziale Frage. Es ging beim Krieg im Wald um materielle, lebensnotwendige Ressourcen: Brennholz, Nahrung … Man darf die blutigen Konflikte, die damit zusammenhingen, nicht mit romantischen Heimaterfindungen vertuschen. Hier ist auch ein Übungsfeld sondergleichen für kritische Heimathistoriker. Gefragt sind keine mutigen Behauptungen (so ist es 100-prozentig gewesen), sondern zuverlässige Darbietungen zu unterschiedlichen Zeitzeugnissen. Was mich zudem fasziniert: Wie energisch die Wittgensteiner Bauern sich schon vor 300 Jahren gegen Anmaßungen der adeligen Herrschaft zur Wehr gesetzt haben.

Was schätzen Sie: Wie hoch ist die Dunkelziffer an Wilddieberei in der Geschichte Wittgensteins – aber auch heute?
Der neue Sammelband ist fast 500 Seiten dick. Doch die Ergebnisse, die ich zum Schluss in Form einer Chronik zusammenfasse, spiegeln nur einen Bruchteil der Konflikte aus vier Jahrhunderten. Es werden für verschiedene Zeiten exemplarisch Mentalitäten, Zustände und prominente Einzelfälle beleuchtet. Durch

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Stichproben wird deutlich: Wir stehen erst am Anfang der Wilderer-Forschung. Einige Tabu-Fälle sind bislang auch nur bei „Insidern“ überliefert. Die Einzeldelikte der letzten Jahrzehnte sind mit früheren Phasen, etwa den Exzessen nach zwei Weltkriegen, wohl kaum vergleichbar. Sie gehören aber nicht zu meinem Arbeitsfeld.

Wie verlief die Quellenbeschaffung? Wo gab es Schwierigkeiten?
Einschlägige Literatur konnte ich antiquarisch erwerben oder per Fernleihe besorgen. An aufwändige Recherche-Reisen war nicht zu denken. Stadtarchiv Berleburg, Fürstliches Archiv Bad Laasphe, Geschichtswerkstatt Siegen und Mitglieder des Wittgensteiner Heimatvereins haben bei fehlenden Quellen

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Digitalaufnahmen zur Verfügung gestellt. Im Buch werden aber auch gezielt historische Aktenbestände vorgestellt, die allen im Internet offenstehen und noch gar nicht ausgewertet sind. Für viele Kreisgebiete könnten Forschungsgruppen durch eine arbeitsteilige Auswertung der jetzt im Netz abrufbaren Zeitungsjahrgänge ab dem frühen 19. Jahrhundert einen soliden Gesamtüberblick erzielen. Hierfür sind die Voraussetzungen im Kreis Siegen-Wittgenstein mangels Digitalisierung noch nicht gegeben.

Gibt es lokale Unterschiede im Bereich der Wilddieberei?
In den Wittgensteiner Territorien kannte man nur ein fürstliches Waldmonopol. Im kölnischen Sauerland gab es hingegen eine größere Vielfalt von Eigentumsformen und – abgestuft – auch eine breitere Jagdberechtigung, zum Teil vom Kurfürst verbrieft. Entsprechend waren die historischen Konflikte oft ganz

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anders gelagert. Ansonsten gilt, dass die Unterschiede der Wilderer-Szenen nicht nur von Jahrhundert zu Jahrhundert oder von Landschaft zu Landschaft hervortreten. Bei ausgesprochenen „Wilddieb-Dörfern“ sind nicht etwa besonders böse Bewohner der Hintergrund, sondern wirtschaftliche bzw. soziale Eigentümlichkeiten.

Welche Projekte stehen jetzt an?
Im Moment liegt ein kirchengeschichtliches Thema auf dem Schreibtisch: Reformkatholiken vor 150 Jahren. Zusammen mit dem pensionierten Polizeibeamten Hans-Dieter Hibbeln bearbeite ich ostwestfälische Wilderei-Quellen aus dem 19. Jahrhundert. Auch eine sauerländische Reihe zu Tätern und Opfern der Nazi-Zeit wird fortgesetzt.