Bad Laasphe. Lisa Achatzi aus Bad Laasphe musste ihre Radtour durch Südamerika wegen COVID-19 abbrechen. Die Reise ist noch nicht beendet.

Sieben Monate lang trat Lisa Achatzi für SOS-Kinderdörfer auf ihrer Reise durch Südamerika in die Fahrradpedalen. Wegen des Coronavirus fand ihre Tour, die eigentlich bis Juni gedauert hätte, ein jähes Ende. Wie fühlt es sich an, wenn das Leben in freier Natur plötzlich mit dem im Elternhaus tauscht? Fest steht für Achatzi nur eines: Sie wird ihre Reise beenden und nach Südamerika zurückkehren. Schließlich warten in Buenos Aires noch ihr Gepäck und ihr Fahrrad.

Nach so einer langen Zeit in Südamerika ist die Frage unumgänglich: Kaffee oder Mate-Tee?

Lisa Achatzi: Unglaublich, aber beides nicht! (lacht) Kaffee mochte ich noch nie. Wenn überhaupt, dann Mate-Tee und nur mit ganz viel Zucker. Das machen manche Argentinier so. Die Chilenen hingegen lachen einen dafür aus und man gilt als Weichei. Als das Coronavirus zur Pandemie wurde, blieb für eine Teepause keine Zeit.

Hals über Kopf mussten Sie aus Südamerika abreisen. Wie war die Ankunft in Deutschland?

Es war so wie immer. Am Frankfurter Flughafen gab es nach der Landung hinsichtlich des Virus keine Sicherheitsmaßnahmen. Erst im Terminal merkte man die Pandemie, weil alles total leer war. Keine Fiebermessung, keine Hinweise auf eine mögliche Quarantäne. Meine Eltern, die mich abholten, waren darüber ebenso überrascht wie ich.

Wie ist Ihre Meinung darüber?

Selbst in Chile, wo sich das Virus zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes bei Weitem noch nicht so ausgebreitet hatte wie in Europa, wurden an der Grenze Kontrollen durchgeführt. Man musste zum Beispiel auf einem Fragebogen angeben, ob man Symptome verspürt und wo man in den letzten zwei Wochen war. Ich fand das schon komisch in Frankfurt.

Dann ging es nach Bad Laasphe zur Familie. Was war das Erste, das Sie zu Hause gemacht haben?

Nachdem ich circa eine Stunde lang meinen Hund begrüßt habe, bin ich erstmal zum Supermarkt gefahren und habe mir ein Laugenbrötchen gegönnt.

Das war als Veganerin nach der fleischlüsternen Kultur Südamerikas sicher nicht alles?

Nein, natürlich habe ich mich erstmal mit ausreichend Räuchertofu eingedeckt und dann bei sämtlichen Sorten Joghurt zugegriffen.

Apropos Rückkehr zum Alltag. Wie gestaltet der sich zurzeit?

Aufgrund der aktuellen Lage bin ich jetzt erstmal bei meinen Eltern. Es fühlt sich ein bisschen an wie mit 14 Jahren. (lacht) Zur Freude meiner Eltern backe und koche ich viel. Zudem helfe ich bei den Online-Abwicklungen unseres Fotogeschäftes mit. Gut ist, dass mir mein Bruder ein Fahrrad vorbeigebracht hat. So kann ich ein bisschen ausbrechen und zum Beispiel meinem anderen Bruder, der an Corona erkrankt ist und sich in seiner Wohnung in Cölbe in Quarantäne befindet, Essen liefern.

Nach über 10000 Kilometern durch Südamerika muss sich eine Fahrt nach Cölbe anfühlen wie ein Gang in die Küche.

Ja, absolut! (lacht) Das ist schon ein Unterschied. Das waren etwa 90 Kilometer, ohne jegliche Steigung. Ich werde die nächste Zeit wahrscheinlich eher in Wittgenstein fahren. Es sind zwar nicht die Anden hier, aber auch unsere Wälder haben Schönheit zu bieten.

Da klingt schon eine Portion Fernweh durch.

Ja, schon. Es ging eben alles sehr schnell, daher war die Umstellung umso intensiver. In einer der letzten Nächte bin ich panisch aufgewacht und habe halb schlafwandelnd geschaut, ob mein Fahrrad noch da ist. Ich vermisse den Mix aus Abenteuer und Freiheit. Ich wusste nie, wo ich morgen sein werde. Und immer andere Menschen und Kulturen. Die Einschränkungen durch das Virus verstärken die Sehnsucht danach natürlich. Für mich war es einfach der perfekte Tagesablauf – immer draußen und immer sportlich aktiv.

Lisa Achatzi erzählt im Interview von ihrer Reise.
Lisa Achatzi erzählt im Interview von ihrer Reise. © Heiko Rothenpieler

Andere Menschen und Kulturen – woran denken Sie da genau?

Da fallen mir spontan drei Dinge ein. Die Gelassenheit zum Beispiel. Einmal stand ich über eine halbe Stunde an einer Kasse im Supermarkt und wirklich niemand regte sich auf. Das Leben dort ist langsamer und entspannter. Eine Pause zum Beispiel wird regelrecht zelebriert. Man sitzt zusammen, trinkt Mate-Tee und sagt hektischen Europäerinnen wie mir „Tranquilo!“ (dt. Entspann dich!). Zweitens ist das Familienleben dort ein anderes, auch ein innigeres. Das hat zum Teil auch mit Armut zu tun und damit, dass oft alle unter einem Dach leben. Ich erinnere mich an eine Familie, die einen alten Röhrenfernseher besaß. Wenn der nicht lief, beschäftigte man sich eben mit sich selbst, spielte ein Spiel oder redete, zudem wird immer gemeinsam gegessen. Als Drittes ist die Gastfreundschaft beeindruckend. So viele Menschen haben mir versucht zu helfen. In Deutschland gibt es gegenüber Fremden da generell mehr Misstrauen.

Ihre Reise ist noch nicht beendet. Wie sehen diesbezüglich ihre Pläne aus?

Wenn die Pandemie keinen weiteren Strich durch die Rechnung macht, werde ich im August das Punkrock Holiday Festival in Slowenien besuchen und dann weiter nach Buenos Aires fliegen. Mit dem Fahrrad ginge es dann in Argentinien landeinwärts nach Bolivien, durch Paraguay nach Uruguay und schließlich an der Küste entlang nach Brasilien. Das wären etwa 8000 Kilometer. Mein Plan ist, von Sao Paolo dann nach Portugal oder Spanien zu fliegen und von dort aus mit dem Fahrrad bis Bad Laasphe zurückzufahren.

Bislang sammelten Sie mit ihrer Reise auf „wheelsoffortune.org“ Spenden für SOS-Kinderdörfer. Wie ist da der aktuelle Stand?

Insgesamt sind 10.169 Euro zusammengekommen. Als vor ein paar Tagen die 10.000er-Marke geknackt wurde, war das ein sehr emotionaler Moment für mich und ich musste vor Freude einfach losweinen. Man muss sich dabei auch einfach vorstellen, wie viel mehr dieser Eurobetrag im Verhältnis zu südamerikanischen Währungen und den dortigen Lebensweisen bedeutet. Als ich den Spendenaufruf letztes Jahr startete, hatte ich keinen Schimmer, wohin das führen könnte. Ich bin einfach nur dankbar, wie sich das Ganze entwickelt hat.

Inwiefern hat die Reise Sie persönlich verändert?

Zum einen hat sich mein Abstand zu materiellen Dingen noch einmal vergrößert. Einmal unterhielt ich mich mit einem alten Mann, der aufgrund einer einzigen Sache glücklich war: seine Familie. Solche Gespräche erden dich. Wenn mir jemand mein Handy geklaut hätte, wäre das nicht weiter schlimm gewesen. Ich hätte mich nur geärgert, weil dann die einzige Kommunikationsmöglichkeit mit meiner Familie abgerissen wäre. Zum anderen war ich schon immer ein positiv denkender Mensch, doch die Reise hat diese Einstellung noch einmal verstärkt. Mir wurde super oft vor Augen geführt, wie gut die Welt sein kann und wie gerne sich Menschen gegenseitig helfen möchten. Das betrifft nicht nur meine erlebten Situationen, sondern auch all diejenigen, die gespendet haben.