Bad Berleburg. Expertin Kaja Heising macht im Interview deutlich: Die Entnahme des Wisent-Bullen „Egnar“ war wichtig, um Inzucht zu vermeiden.

Nach dem Tod des Altbullen „Egnar“ stellt sich die Frage, wie es mit der freilebenden Wisent-Herde weitergeht. Kaja Heising, wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projekts in Bad Berleburg, ist zuversichtlich, dass einer seiner Söhne seine Rolle in der Herde während der Brunftzeit übernimmt.

Wie kam es eigentlich zu den Erkrankungen von Wisent-Bulle „Egnar“, die auch zu seiner Orientierungslosigkeit geführt haben?

Erkrankung ist nicht das richtige Wort – eher altersbedingte Leiden innerhalb einer hierarchischen Herden-Struktur. Das ist bei diesem Bullen – zum Schluss war er 13, 14 Jahre alt – jetzt der Fall gewesen. Zum Vergleich: Wisent-Bullen in freier Wildbahn können zwar bis zu 21 Jahre alt werden – allerdings sind dies Ausnahmen. Die höchste Sterblichkeitsrate liegt bei jugendlichen Tieren, wenn die Tiere geschlechtsreif sind und beginnen, Rangkämpfe auszutragen. Das haben wir in unserem Projekt ja auch schon so erlebt. Dieser Altbulle dagegen hat ein „normales“, durchaus stressiges Wisent-Leben in Freiheit hinter sich. Dafür ist das Alter, das er erreicht hat, schon beachtlich.

Zur Person

Kaja Heising (31), Master of Science in Ethology and Wildlife Conservation, ist Wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projekts.

Sie wurde in Bonn geboren, ist in Köln aufgewachsen.

Ihren Bachelor im Fach „Wildlife-Management“ hat sie an der Universität im niederländischen Leeuwarden gemacht. Im englischen Cambridge, dem Zentrum für Studien zum Artenschutz, hat sie Ethologie und Arterhaltung studiert.

Welche Rolle könnten womöglich Würmer als Ursache spielen?

Wir haben keinen Anlass zu denken, dass Parasiten Grund für seine Altersschwäche gewesen sind. Tatsächlich sind Endoparasiten wie etwa Würmer grundsätzlich bei allen Wildtieren vorhanden.

Warum konnte Egnar bisher nicht erfolgreich in ein anderes Projekt vermittelt werden?

Kaja Heising wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projekts: „Die Mensch-Wildtier-Konflikte – das ist der Fokus. Und das Ziel unserer Forschung ist es, praktikable Lösungsansätze zu finden.“
Kaja Heising wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projekts: „Die Mensch-Wildtier-Konflikte – das ist der Fokus. Und das Ziel unserer Forschung ist es, praktikable Lösungsansätze zu finden.“ © Wisent-Welt

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Seit Jahren arbeiten wir daran, Bullen in andere Gebiete zu vermitteln, um das Thema „Inzucht“ zu vermeiden. Und das ist wirklich ein Problem bei dieser matriarchalischen Sozialstruktur mit Leitkühen. Üblicherweise ist ein Bulle dominant während der Brunft, und männliche Nachkommen verlassen die Herde mit ihrer Geschlechtsreife, sind dann als Einzelgänger unterwegs. In Zoos und in Gehegen spricht man da von „überschüssigen Bullen“. Andere Gebiete mit freilebenden Wisenten haben dieselbe Situation. Deshalb ist auch ein Bulle in dem Alter wie dieser noch weniger interessant für potenzielle Abnehmer, sozusagen „schwer vermittelbar“. Und die Abgabe in ein Gehege wäre nicht in Frage gekommen für ein Tier, das seit 2013 in Freiheit lebt. Ebenfalls keine Option für uns ist die Abgabe an ein Jagd-Gatter.

Wie ernsthaft ist in der Herde die Gefahr der Inzucht?

Wie schon angedeutet: Inzucht kommt bei allen Wildtieren vor. Beim Wisent ist diese ebenso natürlich, weil es eine stark gefährdete Tierart ist und man nur noch wenige, für die Zucht und Erhaltung geeignete Tiere hat. Um genau das zu vermeiden, ist ein Management nötig, bei dem wir einer Herde eben auch Wisent-Bullen entnehmen. Insgesamt wird das Inzucht-Problem enorm hochgespielt.

Werden jetzt Egnars Söhne die Aufgabe des Leitbullen unter sich ausmachen?

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Noch einmal zur Klarstellung: Eine Wisentherde wird immer von einer Kuh geführt, nicht von einem Bullen. Der Bulle ist ja in der Regel allein unterwegs und nur in der Paarungszeit bei der Herde. In diesem Fall heißt das: Künftig wird wohl einer der Söhne des Altbullen der Dominante sein, der sich während der Brunftzeit zu den Kühen gesellen darf. Diese Zeit ist zwischen Ende August und Oktober. Da kann man sich also gut am Röhren der Hirsche orientieren.

Wie groß ist die freilebende Wisent-Herde aktuell?

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Wir hatten zuletzt 26 Tiere gezählt. Die exakte Zahl ist nicht genau zu ermitteln, denn es sind eben freilebende, wilde Tiere. Oft erfährt der Trägerverein erst per Zufall vom Tod eines Tiers oder von neugeborenen Kälbchen.

Welche Bedeutung hat die neue Situation denn für die „Herrenlosigkeit“ der Herde?

Keine.

Wäre es denkbar, einen neuen Bullen ins Spiel zu bringen, um die Situation zu entschärfen?

Wenn Sie da jetzt ganz konkret an die Fortpflanzung zur Paarungszeit denken: Es ist nicht akut geplant, einen Bullen da hineinzusetzen. Denn auch dann wäre nicht sichergestellt, dass dies der dominante Bulle wird. Mittelfristig werden wir aber mehr genetische Vielfalt in unsere Herde bringen müssen.

Was bedeutet die aktuelle Entwicklung innerhalb der freilebenden Wisent-Herde für Ihre Arbeit als wissenschaftliche Koordinatorin?

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Für die wissenschaftliche Begleitung des Artenschutz-Projekts ist der Tod so eines Bullen kein besonderes Thema – das kommt vor, das gehört dazu. Und die Tötung ist ein Beispiel für unser Herden-Management. Vielmehr beschäftigen wir uns in den letzten Jahren wissenschaftlich primär mit den Schälschäden durch die Wisente und die Folgen für die Forstwirtschaft. Die Mensch-Wildtier-Konflikte – das ist der Fokus. Und das Ziel unserer Forschung ist es, praktikable Lösungsansätze zu finden. Die Grundlagen-Forschung haben wir jedenfalls hinter uns.

Mit Kaja Heising sprach Eberhard Demtröder.