Girkhausen. . Das kleine Wittgensteiner Dorf war vor der Reformation reich. Denn Pilger kamen zu Wallfahrten und die Kirche verkaufte Ablassbriefe.
In Wochen, geschweige denn in Stunden ist es nicht messbar, wie lange Dr. Ulf Lückel recherchiert, geforscht und geschrieben hat: Jetzt liegt das Ergebnis vor. Der Theologe und Kirchenhistoriker aus Girkhausen hat eine bemerkenswerte, inhaltlich teilweise sensationelle Schrift über das Gotteshaus und dessen Geschichte seine Heimatdorfes vorgestellt – natürlich in der Kirche. Dort lobt der Vorsitzende des Wittgensteiner Heimatvereins, Otto Marburger: „Das Werk stellt für Girkhausen, aber auch für unseren Heimatverein etwas Besonderes dar“.
Dort hebt Lückel den Finger und zeigt auf zwei besondere Gesichtsfiguren an den Kapitellen: „Die dort abgebildeten Männer tragen den so genannten Judenhut. Damit dürfte es sich bei dieser Darstellung in Girkhausen um die wohl früheste Abbildung von Juden in Südwestfalen handeln.“ Der Girkhäuser hält es nicht für ausgeschlossen, dass sich zwei jüdische Baumeister, etwa aus dem Rheinland, beim Bau der Kirche im 13. Jahrhundert neben weiteren Fratzen, Dämonen und Fabelwesen unter der Decke im Chor selbst verewigt haben. Spekulativ, aber nicht unmöglich.
Bei seinen Forschungen hat Dr. Lückel auch vor dem Vatikan nicht Halt gemacht; allerdings sind erhoffte Unterlagen dort nicht mehr erhalten – aber gibt es in einschlägigen Archiven eine Abschrift einer kleinen Sensation: Ein Ablassbrief für die Kirche zu Girkhausen aus dem Jahr 1325 – unterzeichnet von dem damals in Avignon residierenden Papst Johannes XXII.
Abschrift liegt im Schloss-Archiv
Durch diesen und einen zweiten Ablassbrief (ausgestellt im Jahr 1400 in Sankt Johannis zu Mainz und aufbewahrt im Berleburger Schloss-Archiv) wird laut Lückel deutlich: „Die Kirche hat durch die Abgabe dieser Briefe gehörig Geld verdient.“ Denn Sünder kauften sich durch Beten, Singen und einen Rundgang in der Girkhäuser Kirche von ihren Sünden frei – natürlich durfte dabei das Goldstück für den Pastor sowie für den Papst und den Bischof nicht fehlen.
Das war allerdings nicht die einzige Geldquelle, die der ansonsten eher unbedeutenden Ortschaft in Wittgenstein zu Gute kam. Denn das ehemals katholische Gotteshaus galt als eine mächtige Wallfahrtskirche, und war somit mehrmals im Jahr Anziehungspunkt für tausende Pilger. Die brachten nicht nur frommen Glauben, sondern auch bares Geld für Speis und Trank, für Herberge, geweihte Kerzen und Heiligenbilchen ins Dorf. Girkhausen prosperierte.
Dazu trug übrigens auch der Sagen umwobene Marienborn bei, dessen heiligem Wasser sogar Heilkräfte nachgesagt wurden. „Hier muss man alte Legenden entkräften“, erklärt Ulf Lückel, der Gerüchte durch Fakten ersetzt: „Größere Bäche in und an der Ortschaft, wie die Odeborn oder die Oster waren schlichtweg mit Fäkalien verschmutzt und verseucht; der klare Quell des Marienborns aber nicht. Schon war die Legende geboren.“
Kirchenhistoriker Lückel verschweigt in dem Heft natürlich auch nicht, was es in dem Zusammenhang mit der Marienfigur aus der Kirche auf sich hat. Stand sie später wirklich in Werl? Eher nicht, glaubt der gebürtige Girkhäuser.
Reformation stoppt den Reichtum
Die lutherische Reformation erreicht die Grafschaft Wittgenstein im Jahr 1534 – und schon war’s vorbei mit dem Reichtum in Girkhausen. Lückel: „Armut brach über das Dorf herein und das war die Geburtsstunde der Löffelschnitzerei, also der Drehkoite, bei uns im Dorf.“ Die handgefertigten Produkte wurden an Handelsmänner in Winterberg verkauft, die sie wiederum mit ihren Kiepen bis ins europäische Ausland trugen.
„Schicksal einer Wallfahrtskirche“ lautet der Untertitel des Heftes. Dazu erläutert der Autor anschaulich in seinem Werk, dass der äußere Verfall des Gotteshauses mindestens drei Mal durch die Bürger abgewendet bzw. das Gebäude als solches gerettet werden konnte. Spontan erzählt hier Lückel, wie er als zehnjähriger Bursche nicht nur die Judenhüte und andere Gestalten unter der Decke, sondern auch Gebeine und Schädel bei der Heizungserneuerung im aufgegrabenen Kirchenschiff bewundert habe.
Vor dem Hintergrund, dass er solche Erlebnisse heute historisch einordnen kann, nimmt der Girkhäuser kein Blatt vor den Mund: „Wenn ich höre, dass die Kirche wieder zur Disposition steht, dann wird mir wirklich Angst und Bange!“