Weidenhausen/Wittgenstein. Heinrich Imhof aus Weidenhausen spricht über sein Lebenswerk: Das Buch handelt von den zahlreichen nach Amerika ausgewanderten Wittgensteinern.

Der Heimatforscher Heinrich Imhof (76) betreut nicht nur ehrenamtlich das Fürstliche Archiv auf Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe, er hat sich auch über 20 Jahre lang intensiv mit dem Thema Auswanderer aus Wittgenstein beschäftigt. Dazu stellt der Weidenhäuser am 21. Juni sein umfangreiches Buch vor. Wir haben mit ihm über sein Lebenswerk gesprochen.

Woher kommt Ihre Faszination für das Thema Auswanderer?

Heinrich Imhof: Ich habe schon immer sehr gerne Ausstellungen und Museen besucht. Im Jahre 1983 war eine Ausstellung über ausgewanderte Deutsche in Texas in der Universitätsbibliothek Siegen, die mich faszinierte. Eine weitere besuchte Ausstellung 1985 im Landgrafenschloss Marburg zu den Auswanderern aus Hessen nach Amerika vertiefte das Interesse noch mehr. Endgültig war das Interesse aber geweckt, als ich die hervorragend konzipierte Ausstellung „Siegerländer und Wittgensteiner in der Neuen Welt“ 1999 im Oberen Schloss in Siegen besuchte. Mich hat von Anfang an stark bewegt und beschäftigt, wie groß die Armut und Not in Wittgenstein im 18. und 19. Jahrhundert gewesen sein muss, dass sich so viele Menschen entschlossen haben, ihre Heimat zu verlassen, sich auf eine so unsichere Reise zu begeben.

Woher haben Sie all diese detaillierten Informationen?

Die allermeisten Informationen stammen neben einem umfangreichen Buchbestand aus den Akten des Landesarchivs in Münster, das ich über zwanzig Mal besucht habe. Dann natürlich auch die Recherchen in den Fürstlichen Archive auf Schloss Wittgenstein und Schloss Berleburg, in den Stadtarchiven in Berleburg und Laasphe, im Synodalarchiv in Berleburg und die Durchsicht der umfangreiche Auswandererbriefsammlung der Forschungsbibliothek Gotha, einer Nebenstelle der Universität Erfurt. Vergessen werden sollen aber auch nicht die Unterstützungen von Personen aus Deutschland und den USA, die mich mit unglaublich vielen Informationen über ausgewanderte Wittgensteiner versorgten. Das gesamte dadurch erworbene Material ist so umfangreich, dass es inzwischen das Volumen von 40 Ordnern umfasst.

Haben Sie auch in Amerika geforscht?

Bei einer Reise mit meiner Frau 2005 in die USA haben wir einige Staaten an der Ostküste besucht. Da blieb auch Zeit für die Suche nach Spuren Wittgensteiner Auswanderer in Pennsylvanien. Seit dieser Zeit wurden kontinuierlich Kenntnisse, Dokumente, Briefe und sonstige Unterlagen von hiesigen Auswanderern von mir gesammelt und archiviert. Zusätzlich habe ich schon damals eine Datenbank angelegt, in welcher die Namen von Einzel- und Familienauswanderungen mit den entsprechenden Fundstellen aufgelistet wurden.

Waren es immer nur Armut und die Sehnsucht nach politischer Freiheit, die die Menschen angetrieben haben?

Allen gemeinsam war ein Wunsch: Sie hatten Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine ganze Anzahl Menschen verschiedener Glaubensrichtungen, die zwar überwiegend nicht in Wittgenstein geboren, aber hier mehr oder weniger lange wohnhaft waren, verließen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre neu erwählte Heimat in Richtung Amerika aus religiösen Gründen. Und dann gab es auch den großen Bereich der Personen, die aus persönlichen Gründen ihre alte Heimat verließen. Mal waren es kleinere oder größere Vergehen gegen Gesetze, die sie zum heimlichen Entweichen Anlass gaben, mal waren es Familienstreitigkeiten.

Die Wege waren schlecht und das Meer gefährlich. Sind eigentlich alle an ihrem Ziel angekommen?

Sicherlich sind die allermeisten zur Auswanderung entschlossene Menschen auch in Amerika angekommen. Es gab aber viele Vorhaben, die unglücklich verliefen, sei es schon auf dem Weg zur auserwählten Hafenstadt, sei es auf dem Meer oder nach der Ankunft in der Neuen Welt. Einem Ehepaar aus Elsoff verstarb ihr erstes Kind 1774 auf dem Weg zu einem Fährschiff an den Rhein schon in Ferndorf. Nach der Beerdigung zogen sie weiter und haben Philadelphia erreicht. Auch eine Auswanderung 1841 aus Wunderthausen endete tragisch, als ein Mann bei Hamburg vom Wagen fiel, von den Rädern überrollt wurde und verstarb. Andere wiederum haben aus Heimweh oder kurz vor der Abfahrt des Schiffes im Anblick des „großen Wassers“ auf die Auswanderung verzichtet und sind wieder nach Hause gezogen. Besonders verlustreich waren die Überfahrten zur Zeit der Segelschiffe, also im 18. und bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Für diese Passagiere war die Überfahrt auf engstem Raum eine einzige Tortur. Hier war die Krankheits- und Sterblichkeitsquote bei den sechs bis acht Wochen dauernden Überfahrten sehr hoch.

Wenn man die Reisekosten umrechnet, können Sie sagen, was die Menschen nach heutigem Wert für ihre Auswanderung zahlen mussten?

Mitte des 18. Jahrhunderts kostete eine Überfahrt für eine Person über 10 Jahre 60 Gulden. Kinder von 5 bis 10 Jahren zahlten die Hälfte. Zur gleichen Zeit betrug der Tagelohn im Bauhandwerk etwa einen halben Gulden. Demnach war der Verdienst von rund 120 Tagelöhnen notwendig, um die Passage einer erwachsenen Person zu bezahlen. Zur Zeit einer großen Auswanderungswelle Ende der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts betrug der Preis von Amsterdam nach Philadelphia gar 190 Gulden. Allerdings waren zu dieser Zeit auch die Verdienste höher. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Überfahrtpreise im Zwischendeck sehr variabel und betrugen zwischen 40 und 60 Taler. Diese Beträge entsprachen nach der 1871 eingeführten Markwährung 120 bis 180 Mark. Umgerechnet zur Wertigkeit der heutigen Euro-Währung entsprächen diese Summen etwa 770 bis 1.150 Euro.

Wie konnten die Wittgensteiner ihren Traum von der großen Freiheit finanzieren?

Vor der Abreise wurden alle Vermögensgegenstände verkauft, was aber oft aus der Eile heraus unter dem tatsächlichen Wert geschah. Wollte man heimlich das Land verlassen, also ohne die Zustimmung des Landesherrn um das Erlassgeld zu sparen, musste man bei dem Verkauf sehr vorsichtig zu Werke gehen, um nicht bei der Obrigkeit gemeldet zu werden.

Die heutigen Auswanderer haben oft noch eine Chance auf Rückkehr. Gibt es auch Beispiele von damals, dass Wittgensteiner zurück gekommen sind?

Ein Kapitel am Ende des Buches befasst sich mit Besuchern und Rückkehrern in die alte Heimat. Es war für mich überraschend, wie viele Menschen zurückgekommen sind. In den Fällen wo Gründe für die Rückkehr gefunden wurden, war es meistens Heimweh, was die Menschen zu diesem Entschluss veranlassten.

Viele Menschen sind in die so genannte Neue Welt nach Amerika ausgewandert. Welche anderen Ziele gab es noch?

Auch andere Ziele, gab es für zur Auswanderung entschlossene Menschen aus Wittgenstein. An erster Stelle ist hier Australien zu nennen und dann noch im geringerem Umfang Brasilien. Für beide Ziele habe ich im Buch jeweils eine Namensliste eingefügt. Einige wenige Personen von hier hat es auch nach Russland gezogen. Ihre Anzahl ist aber verschwindend gering, so dass ich darauf nicht näher eingegangen bin.

Sie haben viele Einzelschicksale rekonstruiert. Gibt es eines, das Ihnen besonders nahe geht?

Eine geplante Auswanderung eines Vorfahren von mir mit seiner Familie endete 1819 in Hamburg-Altona, als dort ihr 1818 geborenes Mädchen verstarb und vor Ort beerdigt wurde. Die Eltern kehrten daraufhin in ihr Heimatdorf zurück. Dem Pfarrer in Weidenhausen blieb nur noch übrig, zum Geburtseintrag des Kindes den lapidaren Satz hinzuzufügen „Dieses Kind ist auf der seinen Eltern misslungenen Reise nach Amerika verstorben“.

Sie haben viele Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Machen Sie jetzt Forscherpause, oder was kommt als nächstes Projekt?

Das ist eine gute Frage. Durch meine Tätigkeit als ehrenamtlicher Betreuer des Fürstlichen Archivs in Bad Laasphe stoße ich immer wieder auf interessante Themen zur Historie Wittgensteins. Dort ist noch so manches unbearbeitetes Gebiet vorhanden und ich denke, dass ich dort bei Bedarf etwas Passendes finden werde. Zwei, drei interessante Akten habe ich für die Zukunft schon mal notiert.

Zur Person

Heinrich Imhof (76) forscht seit mehr als 20 Jahren an der Geschichte der Auswanderer aus Wittgenstein – hier speziell nach Amerika.

Vor zwei Jahren haben Heinrich und Anneliese Imhof ihre Goldene Hochzeit im Heimatdorf Weidenhausen, wo Heinrich zur Welt gekommen ist, gefeiert. Beide haben eine Tochter und einen Sohn und zwei Enkelkinder.

Informationen und Buchbestellungen (38 Euro) an: h.imhof@gmx.de