Weidenhausen. . Viele Elsoffer und Wunderthäuser fliehen im 19. Jahrhundert vor Armut. Ihr Ziel der Träume: Amerika. Heinrich Imhof erzählt ihre Geschichte.
- Heinz Imhof aus Weidenhausen hat in 30 Jahren 3800 Namen zusammengetragen.
- Der Heimathistoriker hat die Schicksale von Auswanderern aus Wittgenstein erforscht.
- Dank seiner Arbeit werden diese so unterschiedlichen Schicksale dieser Menschen wieder greifbar.
Der Kontrast für diese Zeitreise könnte kaum größer sein. In der alten Schule in Weidenhausen sitzen Männer und Frauen an Tischen. Der Kaffee dampft. Es gibt Brötchen, Marmelade, Wurst und Kuchen im Überfluss. Hier muss heute morgen keiner hungern.
Die meisten der Besucher beim Weidenhäuser Frühstückstreffen sind schon älter. „Viele von Euch sind, wie auch ich, in den Jahren während und kurz nach dem Krieg groß geworden. In einer Zeit, die als arm beschrieben werden kann. Aber dies hält keinem Vergleich zu der Zeit vor 100 oder gar 200 bis 300 Jahren stand“, sagt Heimathistoriker Heinrich Imhof. Der Weidenhäuser nimmt die gut 40 Zuhörer in dem alte Klassenzimmer mit ins 18. und 19. Jahrhundert. Eine Epoche, in der die meisten Menschen aus Wittgenstein weg wollten.
„Das war eine unglaublich arme Zeit.“ Der karge Boden, die langen Winter und der Kinderreichtum machten es unmöglich, die hungrigen Mäuler zu stopfen. Hinzu kamen Kriege, Plünderungen und enorme Abgabenlasten. Allein 200 verschiedene Steuern hat der Landesherr der Südgrafschaft in Laasphe nach den Napoleonischen Kriegen erhoben. Hinzu kamen Hand- und Spanndienste. Und wer Auswandern wollte, brauchte dafür die Erlaubnis seines Landesherrn. Der ließ sich fürstlich entlohnen, beispielsweise mit zehn Prozent eines Erbteiles als Ablöse für den Pass.
„Die Gründe, aus Wittgenstein in eine unbekannte Welt, ohne Kenntnis von Sprache oder Kultur aufzubrechen, und die Gefahren einer Atlantiküberquerung zu akzeptieren, sind vielfältig. Überwiegend aber waren es Armut, Hoffnungslosigkeit und der Wunsch, der Willkür der Obrigkeit zu entfliehen“, sagt Imhof.
Vor allem aus der Nordgrafschaft flohen die Menschen. Prozentual am meisten verließen Wunderthausen und Elsoff. Das Ziel der Träume war überwiegend Amerika. Nur wenige gingen nach Brasilien oder Australien, weiß Imhof, der ein Buch über die Wittgensteiner Auswanderer schreibt und dafür in den Archiven in Deutschland aber auch den USA zahllose Dokumente gesichtet hat.
Mit seiner Forschung gibt er den Schicksalen wieder ein Gesicht. Macht das Leid dieser Flüchtlinge nachfühlbar und erlebbar. Imhof nimmt die Zuhörer mit auf eine Zeitreise in der sie einen kleinen Eindruck von der Not des 18. und 19. Jahrhunderts bekommen.
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Die Tochter bleibt zurück
Karoline Knebel aus Wunderthausen wanderte 1857 aus und ließ ihre dreijährige Tochter zurück. Die Tochter wurde 1876 mit 21 Jahren schwanger und starb bei der Geburt ihres Kindes in einer Klinik in Marburg. Karoline Knebel lebte bis zu ihrem Tod 1898 in Illinois. Sie war zwei Mal verheiratet.
Heimlich und ohne Familie
Ludwig Kinkel aus Schwarzenau machte sich 1847 heimlich auf den Weg in die neue Welt und ließ seine Frau und fünf Kinder zurück.
Die Trauer war zu groß
Konrad Imhof aus Weidenhausen, ein Vorfahre von Heimathistoriker Heinrich Imhof, versuchte 1819 mit seiner Frau und den drei Kindern nach Philadelphia auszuwandern. Sie kamen bis nach Altona. Dort starb am 9. Juni 1819 die jüngste Tochter Christine. Daraufhin kehrten die Imhofs nach Weidenhausen zurück.
Die Glücksritter
Die Brüder Hüster aus Elsoff gehören zu den erfolgreichsten Auswanderern. Johannes war 1732 der erste. Als ihm seine Brüder 1773 folgen, besitzt er bereits 121 Hektar fruchtbares Land in Berks County Pennsylvania. Johannes Hüsters Sohn gehörte dem Kongress der 13 Gründerstaaten der USA an und wurde 1820 sogar Gouverneur von Pennsylvania.
Vom Heimweh gepackt
Maria Elisabeth Wolf aus Zinse, war 1796 zusammen mit ihrer Schwester, deren Mann und deren Kindern aufgebrochen, um sich nach Philadelphia einzuschiffen. In Hamburg aber packte die Frau das Heimweh und sie beschloss, nach Zinse zurückzukehren, wo sie nach Monaten abgemagert und verhärmt wieder ankam.
Der spontane Typ
Johann Hermann Schreckegast aus Berghausen war frisch verheiratet und sollte bald Vater werden. Er besaß ein Pferd und ein Fuhrwerk. Deshalb warben ihn 1773 Auswanderer für eine Lohnfahrt an den Rhein. Auf der Fahrt haben Schreckegast wohl auch das Fernweh und die Chance auf ein besseres Leben gepackt. Spontan verkauft er Pferd und Wagen und schloss sich den Auswanderern an. Am 21. September 1773 kam er in Philadelphia an. Acht Tage zuvor hatte in Berghausen sein Sohn Johann Heinrich das Licht der Welt erblickt. Ins Taufbuch schrieb der Pfarrer, dass der Vater „Weib und Kind treuloser Weise verlassen habe und nach pensylvanien gezogen“ sei.
Die Liebenden
J ohann Heinrich Weiss und Christine Weber aus Fischelbach flüchteten 1803 nach Amerika. Die junge Frau war schwanger, aber Johann Heinrich Weiss’ Vater verweigerte die Zustimmung zur Ehe, deshalb verließen die jungen Leute heimlich Fischelbach und schifften sich mit der „Fortune“ nach Philadelphia ein. Dort kamen sie am 8. September 1803 an.
Der Kirchengründer
Alexander Mack aus Schwarzenau gehört sicher zu den bekanntesten Persönlichkeiten. Er wanderte 1729 nach Philadelphia aus und gründete die Church of Brethren. Die Kirche der Brüder feierte 2008 in Schwarzenau ihr 300-jähriges Bestehen.
Der Drucker
Johann Christoph Sauer aus Laasphe. Er wohnte von 1712 bis 1224 in Laasphe und Schwarzenau, heiratete 1720 eine Schwarzenauer Pfarrerswitwe und wanderte 1738 nach Germantown aus. Er gründete eine Druckerei. 1743 druckte er eine deutschsprachige Bibel. Das war die erste einer Bibel in einer europäischen Sprache, lange bevor 1782 eine englischsprachige Bibel erschien.