Erndtebrück. . In der Hachenberg-Kaserne diskutieren Vertreter aus Politik und Wirtschaft über Industrie 4.0. Ein Spagat zwischen Revolution und Kritik.

  • Digitalisierung und Industrie müssen individuell gestaltet werden, so Gronau
  • Region hat einen geringen Automatisierungsgrad, manche Firmen haben sogar den Anschluss an Industrie 3.0 verpasst
  • Digitalisierung könnte Lösungsansatz für Fachkräftemangel sein

Es ist eine Revolution, die sowohl den Alltag als auch die Arbeitswelt neu gestaltet: Digitalisierung soll Prozesse verändern, vereinfachen, beschleunigen. Nicht nur in global agierenden Unternehmen, sondern auch in kleinen bis mittelständigen Betrieben. Im Rahmen des Wirtschaftstreffens im Casino der Hachenberg-Kaserne kamen jetzt rund 100 Vertreter aus Politik, Industrie und Handwerk zusammen, um über Chancen und Herausforderungen von Digitalisierung zu diskutieren.

Erndtebrücks Bürgermeister Henning Gronau sieht Digitalisierung als unumgängliches Zukunftsthema für Wittgenstein.
Erndtebrücks Bürgermeister Henning Gronau sieht Digitalisierung als unumgängliches Zukunftsthema für Wittgenstein. © Britta Prasse

Mit einem Breitbandausbau, der mit Fördergeldern aus Bund und Land finanziert werde und eine Datengeschwindigkeit von 50 mBit/s erreiche, habe Erndtebrück die infrastrukturellen Weichen für die Zukunft gestellt, so Erndtebrücks Bürgermeister Henning Gronau. Aber: „Wichtig ist, dass wir die Digitalisierung und die damit einhergehende Industrie 4.0 für uns gestalten. “

Das Problem

„In der Region gibt es nur einen sehr geringen Automatisierungsgrad. Viele Unternehmen sind nicht mal bei Industrie 3.0 angekommen“, sagte Dr. Thomas Ludwig, Geschäftsstellenleiter des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums in Siegen. Die digitale Revolution müsse hier also noch früher ansetzen. Ein Forschungsschwerpunkt des promovierten Wirtschaftsinformatikers ist zum Beispiel die Mensch-Maschinen-Interaktion – ein Spannungsfeld, das in Zukunft auch für den ländlichen Raum zunehmend wichtig wird.

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Von Von Britta Prasse

Solche Entwicklungen seien natürlich zeitintensiv, in gewisser Weise anstrengend und riefen dadurch auch Kritiker hervor, aber: „Bei der Digitalisierung handelt es sich um eine Entwicklung, die global ist und deren Fortschritt nicht zu bremsen sein wird“, meinte Bürgermeister Henning Gronau. Gehe man diese Entwicklung nicht mit, hinke Wittgenstein hinterher – wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Die Herausforderungen

„Die praktische Ausgestaltung von Industrie 4.0 ist noch sehr vage, besonders für kleine und mittlere Unternehmen“, so Dr. Thomas Ludwig. Um Industrie 4.0 greifbar zu machen, also den Einzug des Internets in die Produktion und die Vernetzung der Technologien, hat Ludwig sieben Themenfelder herausgearbeitet:

Themenfelder zur Ausgestaltung von Industrie 4.0

 1. Adaptierbarkeit – heißt:

Wie lassen sich automatisierte Produktionssysteme von Weltkonzernen auf mittelständische Betriebe übertragen?

2. Qualifikationsanforderungen und Mitarbeiterqualifikation – heißt:

Mitarbeiter müssen (neue) Arbeitsabläufe kennen(lernen).

3. Neue Organisationsmodelle und Arbeitsstrukturen – heißt:

Eigenverantwortung und Flexibilität der Mitarbeiter werden als Erfolgsfaktoren definiert. Pyramidenartige Hierarchien sollen sich in Netzwerke umwandeln.

4. Mensch-Maschine-Kooperation – heißt:

Der Mitarbeiter braucht Unterstützungswerkzeug, das ihm ermöglicht, die Maschine selbstständig zu verstehen und sie effektiv und effizient für seine Arbeit zu nutzen.

5. Neuer Arbeits- und Gesundheitsschutz – heißt:

Wie kann bei theoretischer rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit die Work-Life-Balance aufrecht erhalten bleiben?

6. Sicherheit von Unternehmensdaten – heißt:

Wie können vertrauliche Daten gesichert werden? Bisher seien derartige Daten „rechtlos“, so Dr. Ludwig; sie gehören weder den Kunden, noch den Maschinenherstellern oder dem ausführenden Unternehmen.

7.Beschäftigtendatenschutz – heißt:

Welche Folgen ergeben sich für die Mitarbeiter durch die Allgegenwärtigkeit der Computertechnologie, die auch eine permanente Erfassung und Auswertung des Mitarbeiterverhaltens ermöglichen können? Hierzu müssen neue Ansätze gefunden werden.

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Die Chancen

„Digitalisierung muss nicht Ersatz für Arbeitsplätze sein. Sie kann Unterstützung für Arbeitsplätze sein und somit deren Bestand sichern“, sagte Gronau. Sie sei damit auch ein Lösungsansatz für den um sich greifenden Fachkräftemangel. Digitalisierung bedeute in vielen Branchen Ortsunabhängigkeit. Mobil arbeiten zu können – gerade das sei ein wichtiger Faktor im Hinblick auf die mangelnde Verkehrsinfrastruktur in Wittgenstein.