Bad Berleburg. . Der Verein zur Förderung spastisch Gelähmter Wittgenstein kämpft um öffentliche Wahrnehmung. Warum die Arbeit so wichtig ist.
- Für Abwechslung und Freude im schwierigen Alltag sorgen
- Inklusion im außerschulischen Bereich ist verbesserungswürdig
- Berührungsängste auf beiden Seiten abbauen
Der Verein zur Förderung spastisch Gelähmter und anderer Behinderter Wittgenstein engagiert sich intensiv für die Zielgruppe in der Region. Allerdings scheint er in der Öffentlichkeit nicht so bekannt zu sein. Warum er aber eine wichtige Funktion hat, erläutern im Interview Renate Dienst und Wolfgang Schmidt vom Vorstand.
Zunächst einmal eine Frage an Sie beide: Warum engagieren Sie sich ganz persönlich für den Verein?
Wir tun das für unsere behinderten Mitglieder und deren Betreuer oder Eltern. Der Verein bietet etwas Abwechslung und Freude im oft schwierigen Alltag. Deshalb möchten wir ihn durch unseren Einsatz so lange wie möglich am Leben erhalten.
Seit 14 Jahren als Vorsitzende aktiv
Renate Dienst aus Aue ist 78 Jahre alt und verwitwet. Ihre beiden behinderten Töchter sind mittlerweile verstorben. Als Altenpflegerin war sie unter anderem 25 Jahre im Bad Berleburger „Haus am Sähling“ des Johanneswerks tätig. Als der Verein zur Förderung spastisch Gelähmter und anderer Behinderter Wittgenstein 1972 gegründet wurde, war Dienst eines der ersten Mitglieder. Seit 14 Jahren ist sie dessen Vorsitzende.
Wolfgang Schmidt ist 63 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn. Nach der mittleren Reife machte er eine Aus- und Fortbildung bei der AOK Nordwest. Nach 47 Dienstjahren ist er seit zwei Monaten im Ruhestand. Schmidt ist Fußballer mit Leib und Seele, seit 50 Jahre aktiv und seit 30 Jahre ehrenamtlich tätig bei den Sportfreunden Edertal. Im Vorstand des Fördervereins ist er als Kassierer aktiv.
Was hat sich der Vereinsvorstand für 2017 vorgenommen?
Wir haben wieder ein reichhaltiges Programm in Planung. Wir werden uns wieder öfter treffen zum Wandern, Kegeln, Kartoffelbraten, zu einem ganztägigen Sommerfest in der Edermühle in Erndtebrück und zur Weihnachtsfeier. Höhepunkt des Jahres wird die im September geplante einwöchige Fahrt an den Chiemsee sein. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit dem Jugendförderverein eine Disco für unsere Mitglieder veranstaltet werden.
Ein aktuelles Stichwort heißt „Inklusion“. Wie hat sich das aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren entwickelt, auch und gerade hier vor Ort in Wittgenstein?
Aus Sicht unseres Vereins und auch als Vater eines behinderten Sohnes hat es bei der Eingliederung keine wesentlichen Fortschritte gegeben. Als Rollstuhlfahrer fängt das bei banalen Dingen wie fehlende Behindertentoiletten, zu hohe Bordsteinkanten oder Kopfsteinpflaster an und gilt auch für die Ausgrenzung im täglichen Leben. Versuchen Sie mal, im Rollstuhl mit der Bahn nach Siegen oder Köln zu fahren – ohne Hilfen unmöglich. Behinderte sind meist unter sich – in der Behindertenwerkstatt, im Behindertenwohnheim, in der Förderschule Olpe. Zumindest bei der Schule ist wohl Besserung in Sicht. Aber das ist natürlich ein Prozess, der dauert.
Gibt es im Kampf für die Rechte Behinderter in Wittgenstein noch akute „Baustellen“?
Die Rechte Behinderter können grundsätzlich nur durch den Gesetzgeber gestärkt werden. Aktuell ist da das Teilhabegesetz in Vorbereitung, das Besserungen bringen soll. Ob das im täglichen Leben gelingt, bleibt abzuwarten – siehe Inklusion. Allgemein sollte jeder Einzelne versuchen, Behinderte als ganz normale Persönlichkeiten wahrzunehmen und dadurch die zum Teil bestehenden Berührungsängste abzubauen. Dazu ein treffender Satz: Es ist kein Verdienst nicht behindert zu sein, sondern Glück. Das Glück kann einen aber jederzeit verlassen…
Wie kommt das Angebot des Vereins etwa mit Freizeiten bei der Zielgruppe an? Oder die diversen Feste und Ausflüge übers Jahr hinweg?
Für viele Mitglieder sind unsere Veranstaltungen fester Bestandteil des Jahres und sie freuen sich auf jeden Termin.
Was kann der Verein dieser Zielgruppe darüber hinaus noch bieten, zum Beispiel in Sachen Hilfe und Beratung bei Alltagsfragen?
Professionelle Beratung können wir sicherlich nicht bieten. Dafür fehlen die Möglichkeiten. Da aber viele Mitglieder identische Lebensläufe, Sorgen und Probleme haben, ist der Austausch untereinander sehr wichtig und hilft oft weiter.
Wir haben für unsere Mitglieder bis zum letzten Jahr die Kosten für Hippotherapie übernommen, mussten diese Förderung aber wegen fehlender Mittel einstellen. Dank eines Sponsors können wir einer bedürftigen Familie mit behinderten Kindern ein Fahrzeug zur Verfügung stellen. In der Vergangenheit haben wir auch einzelne Mitglieder bei der Anschaffung von Hilfsmitteln finanziell unterstützt. Bei größeren finanziellen Möglichkeiten könnten wir auch entsprechend mehr Unterstützung bieten.
Mitgliederzaheln stagnieren, Spendenbeiträge sind existenziell
Aktuell hat der Verein etwa 50 Mitglieder plus zehn Unterstützer. Wie steht es mit der Mitglieder-Entwicklung? Was muss man da tun?
Die Mitglieder- und Unterstützerzahl stagniert leider. Schön wäre es, wenn auch mehr Nicht-Behinderte unserem Verein beitreten würden. Der Jahresbeitrag von 42 Euro ist für viele wohl aufzubringen. Auch viele Menschen mit Behinderung in Wittgenstein sind nicht Mitglied bei uns. Das ist besonders schade. Förderlich wäre sicherlich unseren Verein noch bekannter zu machen, damit er in der breiten Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wird. Ansonsten ist Mitglieder-Werbung schwierig. Wir sind halt kein Schützen- oder Sportverein.
Reicht das Spenden-Aufkommen eigentlich aus, um als Verein die Interessen der Betroffenen angemessen vertreten zu können?
Nur von den Mitgliedsbeiträgen könnte unser Verein nicht existieren. Leider sind die Spenden in den letzten Jahren zurückgegangen. Es gibt aber immer wieder einzelne Spenden-Aktionen von Gruppen, Vereinen oder Firmen. Jedes Jahr werden wir sehr großzügig von einem Unternehmer finanziell und auch veranstaltungsmäßig unterstützt. Aber auch die regelmäßigen kleineren Spender sind für uns wichtig.
Wird es auch in diesem Jahr wieder eine Weihnachtsfeier des Vereins im Bad Berleburger Bürgerhaus geben? Inwiefern hat sich diese Tradition bewährt?
Natürlich wird es auch in 2017 eine Weihnachtsfeier geben. Diese Feier findet seit Gründung des Vereins im Jahre 1972 statt. Sie gehört zum Jahresende einfach zum Verein dazu und unsere behinderten Mitglieder freuen sich sehr darauf. Jeder Einzelne wird vom Weihnachtsmann persönlich beschert.
Zwei Jahre wollen Sie noch als Vereinsvorsitzende aktiv sein, Frau Dienst – und was dann?
Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Und ich mache das noch, so lange ich es kann. Es bringt mir auch viel und macht schon Spaß. Mein Nachfolger muss auf jeden Fall jemand sein, der viel Freude mit den jungen Menschen hat und mit ihnen umgehen kann. Das muss dann auch von Herzen kommen.