Warstein. . Was Anton Schannath am 9. März 1963 hautnah miterlebte, wird er sein Leben lang nicht vergessen. Gerade hatte er seine Frühstücks-Pause beendet und wollte zurückgehen an seinen Arbeitsplatz in der Schmiede 3 bei den Siepmann-Werken in Belecke.

„Es gab es einen Riesenknall, die Tür flog auf und die Fensterwand hinter mir krachte in den Raum“, gibt der 78-Jährige seine Erinnerung an das große Unglück bei der Firma Siepmann wieder. Der Jahrestag dieser Explosion, bei der 20 Mitarbeiter starben und zahlreiche schwer verletzt wurden, jährt sich am morgigen Samstag zum 50. Mal. Um Punkt 9.19 Uhr blieb die Uhr in der völlig zerstörten Werkshalle stehen und dokumentierte den Zeitpunkt des größten Unglücks in der Firmengeschichte.

Die Explosion im Kompressorenraum entlud sich über die im Boden unter der Schmiede verlegten Druckluftleitungen (zu den Hämmern) in einer zehn, fünfzehn Meter hohen Feuersäule.

Anton Schannath, gelernter Schmied und damals in der Qualitätssicherung beschäftigt, entkam nur knapp dem Tod. „Wenn ich etwas eher rausgegangen wäre, wäre ich mittendrin gewesen“, berichtet der Augenzeuge, der, knapp fünf Meter vom Unglücksort entfernt, „nicht die geringste Schramme“ abbekam. Nur Nase, Augen und Mund waren voll Dreck und Staub. „Es war totenstill in der Schmiede, alles war schwarz“, schildert Schannath die Szenerie. Dann hörte er erste Schreie, „überall schrien Menschen.“ Kollege Josef Heppe (†) und er waren die einzigen ausgebildeten Ersthelfer in der Schmiede. „Als wir die ersten Verletzten hinaustrugen, kamen schon die Leute von der AEG angelaufen und haben uns geholfen“.

Auch die Feuerwehr war vor Ort; bis zum Nachmittag wurden Tote und Verletzte geborgen. Anhand einer Namensliste wurde festgestellt, wer fehlt. „Sie haben auch einen gefunden ohne Kopf“.

Am Sonntag die Toten identifiziert

Als ihn später ein AEG-Mitarbeiter nach Hause brachte – er wohnte mit seiner Frau Margreth und Sohn Jürgen, neun Monate alt, im neu erbauten Haus in der Stettiner Straße – hatte seine Frau noch nichts von der Katastrophe in Belecke gehört und er musste ihr ausführlich berichten. In der Nacht konnte er nicht schlafen. „Erst am Sonntag ist mir bewusst geworden, welches Glück ich gehabt habe“, erinnert sich Anton Schannath an das nicht nur für ihn schlimmste Erlebnis.

Am Sonntag ging er mit dem Betriebsleiter in die Halle auf dem Siepmann-Gelände, wo die Toten lagen. Nicht alle waren namentlich bekannt. „Einer hatte eine Koppel aus dem Krieg um die Hüfte mit der Aufschrift ,Gott mit uns’, daran konnte ich ihn identifizieren“. Die Katastrophe hätte ein noch größeres Ausmaß gehabt, wäre sie fünf Minuten später passiert: „Nach der Pause wären wieder alle an ihren Arbeitsplätzen an den Hämmern gewesen, dort ist alles hochgeflogen.“

Glück im Unglück war auch, dass an diesem Samstag nicht alle Hämmer in Betrieb waren; wochentags arbeiteten zu der Zeit bis zu 1120 Männer in der Schmiede. Trotz des tragischen Unglücks dachte Anton Schannath nicht daran, sich eine andere Arbeit zu suchen und war insgesamt vierzig Jahre bei Siepmann beschäftigt, zuletzt als Schmiedemeister.

„Vergessen kann ich das alles nie“

An bestimmten Stellen im Betrieb rückte das Geschehen immer wieder vor sein geistiges Auge, „dann habe ich daran gedacht, wo die Toten und Verbrannten lagen“. An seine Arbeit hat er keine schlechten Erinnerungen; heute arbeiten auch seine Söhne Jürgen und Michael bei Siepmann. Mit seinen Kollegen aus der Schmiede trifft sich Anton Schannath jedes Jahr zur Weihnachtsfeier. „Vergessen kann ich das alles nie, aber die Erinnerung verblasst.“