Siegen. Sein Ziegenbart ist vielleicht etwas metalmäßig. Sonst wirkt Florian Heesch nicht wie ein Anhänger des Schwermetalls. Aber: Heavy Metal ist eines seiner Hauptforschungsgebiete. Heesch ist Professor für Popularmusik an der Uni Siegen, einer von deutschlandweit nur fünf Lehrstuhlinhabern mit vergleichbarem Lehr- und Forschungsauftrag.

Florian Heesch ist auf Festivals unterwegs, spricht mit Musikern und hört von Berufs wegen viel Musik – „ein Privileg, so einen Job zu haben“, sagt der Uni-Professor, der sich selbst als musikalischen Allesfresser bezeichnet. Promoviert hat er in Göteborg über Oper, hört privat gelegentlich auch Lady Gaga und Norah Jones.

In seinem Büro steht ein Plattenspieler statt Bücherschränken, Lautsprecher auf dem Schreibtisch, daneben ein Keyboard. Auf dem Tisch ein Stapel Flyer: „Heavy-Metal-Forschung.“ Wir sprachen mit Professor Heesch.

Herr Heesch, Sie sind kein prototypischer Metaller.
Florian Heesch: Diese Musik und die Musikwissenschaft überhaupt interessieren mich, weil ich neugierig auf alles bin, ich habe Freude daran, Musik neu kennenzulernen. Das gilt für Metal genauso wie Kunstmusik. Arbeitet man sich ein, wird es immer interessanter. Ich habe keine Berührungsängste. Metal hörte ich anfangs aus beruflichem Interesse, aber vieles ist auch einfach gut.

Wie kamen Sie zum Metal?
Heesch: Anstoß war ein Forschungsprojekt an der Uni Frankfurt zur Edda-Rezeption, den nordischen Mythen und Heldensagen, in der Musik. Heavy Metal greift diese Motive und Bilder stark auf. Es gibt ja keine akustischen Überlieferungen, wie Wikinger gesungen haben, aber umgesetzt wird das Thema trotzdem. Das geht los beim frühen Hard Rock der 70er, Led Zeppelin, später kamen dann Bands wie Manowar oder Bathory, die auch von Richard Wagner oder Comicliteratur inspiriert waren. Sie haben sich intensiv mit nordischer Mythologie beschäftigt, manche Bands singen auch altnordische Texte.

Metal-Kongress im Oktober in Siegen

Das Forschungsfeld Popularmusik im allgemeinen und Heavy Metal im besonderen ist noch jung. Zusammen mit der Religionswissenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger hat Heesch kürzlich das Grundlagenbuch „Methoden der Heavy-Metal-Forschung“ herausgebracht.

Vom 24. bis 26. Oktober findet an der Universität Siegen der Kongress „Conceptualising popular music“ statt, organisiert in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem deutschsprachigen Zweig der International Association for the study of Popular Musik (IASPM). Eingeladen ist auch die interessierte Öffentlichkeit.

Die Teilnahmegebühr beträgt 35, für Studierende der Uni Siegen 10 Euro. Anmeldefrist: 1. Oktober. Kontakt: konferenz_2014@iaspm-dach.net.

Was genau untersuchen Sie?
Heesch: Wie der Stoff, das Thema umgesetzt wird. Zeichensysteme, Formulierungen, Zitate aus den Edda-Liedern finden sich in Texten, Booklets, Mythen werden vertont und musikalisch ausgemalt. Dafür habe ich auch altnordisch gelernt. Die Ergebnisse setze ich in Beziehung zu allgemeinen Entwicklungen der Rockgeschichte – es tun ja nicht aus Zufall plötzlich viele Bands das Gleiche. Metal ist ein interdisziplinäres Feld, auch Kultur- und Religionswissenschaftler und Vertreter anderer Fächer forschen daran. Zum Beispiel gibt es viele Querverbindungen zu den Romanen Tolkiens. Das Interesse der Szene an nordischen Mythen ist ohne ihn nicht zu erklären.

Heavy Metal haftet das Klischee des stumpfen Dreschens an. Werden Form und Inhalt in Zusammenhang gebracht?
Heesch: Definitiv. Klar gibt es auch simple Strukturen, aber diese Musik ist sorgfältig durchdacht – und höchst virtuos. Gitarristen und Schlagzeuger, das Zusammenspiel des Bandgefüges, die Produktion eines Albums funktioniert meist auf hohem Niveau. Selbst bei Manowar, deren Musik eher einfach strukturiert ist, spielt die Inszenierung von musikalischem Können eine wichtige Rolle. Bassist Joey De Maio etwa präsentiert sich bei Konzerten als Virtuose seines Instruments.

Woher Hang der Metaller zum Brachialen kommt 

Woher kommt der Hang der Metaller zum Brachialen? Rührt daher auch die Beschäftigung mit den harten Wikingergesellen?
Heesch: Es wird manchmal eine Analogie behauptet: harte Thematik – harte Musik; die Eigenschaften der Metalkultur scheinen zu den zentralen Themen zu passen. Krieg und Gewalt sind wiederkehrende Motive. Das heroische Wikingerbild der Szene entspricht nicht den historischen Tatsachen, aber das muss es auch nicht. White Metal (christlicher Metal) funktioniert aber auch.

Das nordische Thema spiegelt sich ja auch in der Fankultur.
Heesch: Exakt, es gibt Merchandiseartikel wie Thorshämmer an Ketten, Trinkhörner, es wird Met ausgeschenkt, in Wacken gibt es ein Wackinger Village. Das sind im Grunde Mittelaltermärkte, es kommt nicht auf historische Genauigkeit an, sondern die Atmosphäre. Metaller standen lange im Ruf, verstockt zu sein, Stichwort „true“. Inzwischen werden die Fans mehr und mehr als durchaus selbstironisch, die Musiker als Virtuosen wahrgenommen.

Kommt die neue Begeisterung aus dem Handwerklichen, Unverfälschten?

Heesch: Klar ist inzwischen auch Heavy Metal durchkommerzialisiert, eine Rolle spielt aber sicher auch die Zuwendung zu handgemachter Musik. Ein konservativer Zug – und Vorzug – im Genre ist sicher das Selbstverständnis als Handwerk, es wird nichts im Computer verfälscht. Nach wie vor kaufen Metaller verlässlich CDs.

Ihr Forschungsgebiet ist ja wie geschaffen, die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm zu holen.

Heesch: Klar, Studenten haben großes Interesse, sowohl Fans als auch die, die bisher nichts mit Metal zu tun hatten. Aber ich denke nicht, dass die Wissenschaft sich nur mit vermeintlich Lebensfremdem beschäftigt, gerade in Siegen gibt es viele Kollegen, die zu populärer Kultur forschen, hier herrscht eine große Offenheit. Das sieht man ja bereits daran, dass meine Professur eingerichtet wurde.

Können Sie überhaupt noch Musik einfach nur hören?

Heesch: Privatleben und Beruf sind eng verzahnt, die professionelle Brille legt man nie ganz ab. Das ist aber auch nicht schlimm: Ich setze mich täglich mit Musik auseinandersetzen, schreibe, spreche darüber. Das ist richtig Arbeit, aber schön.