Siegen. Maybepop im Siegener Apollo: A-Capella-Jazzgesang bietet ganz besonderen Genuss. Bei schwindelerregendem Swing tobt der Saal.
„Oh Gott“, denken viele A-Capella-Freunde im ausverkauften Apollo zu Beginn, hat denn die Künstliche Intelligenz auch schon die Vokalmusik infiziert? Denn die vier Maybebop-Sänger werden so lebensgroß und realistisch auf die Bühne projiziert, dass man meinen könnte, die stehen wirklich da. Nur ihre Stimmen klingen etwas seltsam. Doch die Verwunderung verwandelt sich von Sekunde an in Begeisterung, als die vier singend von hinten über die Saaltreppen auf die Bühne kommen.
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Maybebop schon zum dritten Mal in Siegen
„Die alte Welt ist uns lieber“, heißt es im Text ihres ersten Liedes, und auch der elektronische Schnickschnack wie das Loopen oder elektronische Halleffekte, die viele Vokal-Kollegen in ihre Konzerte einbauen, sind nicht ihr Ding. Ebenso wenig wie die Manie, alles durch Klicken zu kommentieren oder Influencer aller Art ernst nehmen zu müssen. „Hört bitte auf, dumme Leute berühmt zu machen“, ist die Botschaft eines anderen Titels. Wobei sie einem anderen Zeitgeist durchaus Tribut zollen, als sie in den Saal gehen, sich für Selfies mit dem Publikum zur Verfügung stellen und sich damit die Frage stellen lassen müssen, ob sie stattdessen nicht besser noch ein weiteres Lied in ihr Programm eingebaut hätten.
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Schon zweimal gastierte Maybebop im Apollo. Im November 2009, als sie mit ihrem Auftritt eine ansonsten ziemlich missglückte A-Capella-Nacht aus dem Feuer rissen, und 2014 als Gast eines Wilnsdorfer Männerchores. Was sich seitdem geändert hat, ist die Besetzung des Bass-Sängers, der aus gesundheitlichen Gründen ausgebremst wurde. Unverändert ist die überragende Qualität der Gruppe: Reif an Jahren von Mitte 40 bis knapp über 50 ist ihr Klang sogar frischer denn je. Ihr aufeinander Hören könnte als Musterbeispiel in jedes Lehrbuch für Gesangsensembles aufgenommen werden, ihre Programmvielfalt ist noch größer geworden. Jeder ist ein hervorragender Solist, der sich danach sofort dem Gesamtklang unterordnet.
Hart an der Grenze: „Wer vögeln kann, kann auch fliegen“
So können die Besucher, viele davon aus heimischen Chören, die besondere Charakteristik jeder Stimme genießen. Maybebop bedeutet übersetzt: „Darf es bebop sein?“ und stammt aus der Anfangszeit des Ensembles. Bebop ist eine Spielart des Jazz, und Jazzgesang war früher ein wichtiger Faktor ihres Repertoires. Dass sie auch das nach wie vor im Schlaf beherrschen, zeigen sie mit ihrem Bi-Ba-Butzemann, dem Kinderlied, dem sie einen jazzigen Mantel angezogen haben. Über dem wunderbar leichten, flauschigen Bassteppich entwickeln sie ein Swing-Tempo der schwindelerregenden Art. Da tobt der Saal. Ob HipHop, Latin-Pop, Rock, Metall, Volkslieder, Alpenländliches und einmal auch im Santiano-Sound … Sie können alles, und zwar richtig gut.
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Dabei ist auch Schräges, manchmal hart an der Grenze. Etwa als in der Vorweihnachtszeit ein Familienvater unvermutet etwas zu früh von der Arbeit nach Hause kommt, seine Ehefrau im Bett und den Weihnachtsmann nackt im Schlafzimmerschrank entdeckt, wirft der Gehörnte den Bösewicht kurzerhand aus dem Fenster und singt ihm, die Wohnung liegt im 9. Stock, noch einen Satz hinterher: „Wer vögeln kann, kann auch fliegen“. Oder auch das gejodelte Klagelied eines Mannes, dessen alpenaffine Frau immer nur Urlaub in den Bergen machen will und er sie irgendwann eine Felswand hinunterstößt: Auch er begleitet deren Sturz musikalisch: einem Jodler mit langem Alpenecho.
Heavy Metal aus Wildschwein, Kondom und Siegerland
Einen Auftritt der besonderen Art hat Oliver Gies, Gründer und immer noch Kopf von Maybebop: eine gesangliche Solo-Show mit instrumentalen Improvisationen von Posaune, Trompete, Gitarre, Bass, Drums. Und alles mundgemacht. Und wenn dann noch Theodor Fontanes Heldenballade John Maynard mit hohem Gänsehautfaktor zelebriert, das Volkslied „Heut kommt der Hans zu mir“ textlich durch den Kakao gezogen wird und die Vier, bestehend aus Countertenor Jan Bürger, Tenor Lukas Teske, dem Bassisten Christoph Hiller und Oliver Gies als Bariton die aus dem Publikum zugerufenen Begriffe Wildschwein, Zeltlager, Feuerwehrmann, Siegerland, Kondom… spontan zu einem Heavy Metall–Song veredeln, dann weiß man: Es gibt an diesem Abend kaum einen besseren Ort, an dem man hätte sein mögen.
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