Siegen. Erneut gehen in Siegen viele Menschen gegen Rassismus und sonstige menschenfeindliche Ideologien auf die Straße. Auch gegen Putin.
Samstagnachmittag in Siegen. Alles ganz normal. Menschen laufen und kaufen, begegnen einander bei Kaffee, Eis und Kuchen, genießen ihre freie Zeit. Friedlich miteinander, friedlich nebeneinander. Dass die Welt so heile nicht ist, wie sie scheint, zeigt sich an diesem 24. Februar auch. Gleich vier angemeldete Demonstrationen verweisen auf Dinge, die im Argen liegen.
Vor der City-Galerie sind es ein paar wenige Aktivisten und zwei Bildschirme, die das geschundene Tierwohl anmahnen. Vor dem Apollo-Theater sammeln sich nach und nach bis zu, nach Polizeiangaben, 1400 Menschen, um sich „gegen rechts“ zu positionieren, mit Stimme und Gesicht. Später sind es Geflüchtete aus der Ukraine und etliche Wegbegleiter, die auf den zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf das Nachbarland aufmerksam machen. Und parallel zu diesem Gedenken werden bei Einbruch der Dunkelheit auf der Siegbrücke viele Lichter entzündet – sichtbare Zeichen der Solidarität mit den vom Hamas-Attentat und den Folgen immer noch traumatisierten Menschen in Israel und konkret im Siegen-Wittgensteiner Partnerkreis Emek Hefer.
Vier Veranstaltungen im politisch-gesellschaftlichen und vor allem öffentlichen Raum, die nicht zu übersehen und nicht zu überhören waren. Nebeneinander und nur in Teilen miteinander, aber durchweg mit diesem Funken Hoffnung unterwegs, der eine andere, bessere, gerechtere Welt für möglich hält.
„Ich bin wahnsinnig glücklich darüber, dass sich was bewegt“, sagt Stefanie Ehmke. Auf dem langen Demonstrationszug, der vom Scheinerplatz aus die Innenstadt einmal umrundet, ist sie eine der vielen Hundert Menschen, die gegen den erstarkenden Rechtsextremismus im Land protestieren. Mit Gesicht und Stimme. Und mit Haltung. „Wir müssen den Mund aufmachen, wir müssen uns zeigen“, findet Ulrike Gaumann. Die Frau gleich neben ihr ergänzt: „Wir müssen einfach zusammenhalten.“ Weil nicht einverstanden mit den Parolen von rechts, mit rassistischen Gedankenspielen, demokratiefeindlichen Umsturzfantasien – zum Beispiel.
Diese Gedanken einen die Menschen, die der Walter-Krämer-AStA der Universität Siegen und die DGB-Jugend Südwestfalen für gut anderthalb Stunden zusammengebracht und in Bewegung gesetzt hat. Denn diese Demonstration war keine stehende wie jene
wo sich rund 5000 Bürgerinnen und Bürger gegen rechts aufstellten; sondern diese Nachfolge-Aktion war eine gehende. Eingerahmt wurde der Protestzug von zwei pointierten Statements, leider wegen der akustischen Verhältnisse nur in den vorderen Reihen deutlich vernehmbar.
Zum Auftakt sprach sich Lorenz van Overloop in einer von den Veranstaltern gemeinsam formulierten Rede für das Eintreten für eine solidarische Gesellschaft aus, die nicht dem Muster eines „Nach-unten-Tretens“ folgen möge. Und die auch nicht dem von der AfD so subversiv und doch beobachtbaren Prinzip aufsitzen solle, ausgrenzende Maßnahmen gewissermaßen schon im Vorgriff einzuleiten. Wie die Verschärfung des Asylrechts, die Abschottung der EU an ihren Außengrenzen, das Kürzen oder Streichen von Sozialleistungen, der Arbeitszwang für Bürgergeldempfänger, die Bezahlkarte für Geflüchtete. Auch andere Wege seien möglich, so der AStA-Vertreter, denn: „Es ist genug für alle da.“
Liebe ist stärker als Hass.
Tyler Görnig, andersRoom
Das letzte Wort auf dieser „Nie-wieder-ist-jetzt“-Demo hatte Tyler Görnig vom Siegener „andersRoom“. Das queere Zentrum sehe sich zuletzt immer häufiger Angriffen aus der rechten Szene ausgesetzt, so der engagierte Mitarbeiter, der auch von der Angst sprach, nicht sicher zu sein, selbst nicht im eigenen Haus. Wenn andere einem die Existenz absprächen, dann sei das „nichts anderes als rechter Terror“. Für ihn sei der „andersRoom“ überlebenswichtig gewesen. Er hätte ohne die Begegnungen dort „die Mittzwanziger nicht erreicht“. Tyler Görnig sprach sich gegen Hass, sondern „für Liebe, Vielfalt und die bedingungslose Akzeptanz aller Menschen“ aus.
„Liebe ist stärker als Hass“, lautete sein Schlusswort – und das würde wohl auch Demonstrantin Susanne Hoffmann-Stein dick unterstreichen. Ihr sei wichtig, dass bei Aktionen wie dieser die Slogans mit Bedacht gewählt würden. „Man sollte nicht von Hass reden und auch nicht vom ‚Plattmachen‘ der AfD“, sagte sie. Dann folge man ja deren Prinzip. Sie selbst trug eine Botschaft auf einem weißen Blatt Papier durch die Stadt: „Wer in der Demokratie einschläft, wacht in der Diktatur auf“. Susanne Hoffmann-Stein: „Was derzeit passiert, ist hochgradig gefährlich.“ Deshalb geht sie mit, redet mit und formuliert einen leisen Kontrapunkt auch zu jenen „jungen Wilden“, die am Samstag den Protestzug anführten und auch mal ein „Ganz Siegen hasst die AfD“ skandierten.
Am Ende war es die breite Masse, die große gesellschaftliche Mitte, die erneut ein Zeichen setzte in einer Stadt, die nicht braun sein will, sondern „bunt und verrückt“, wie der 2020 verstorbene Dortmunder Liedermacher Fred Ape getextet hat. Sichtbar war sie am Samstagnachmittag, die Stadt, „die sich traut und die sich zeigt, die einfach nicht mehr schweigt“.
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