Allenbach. Mit Herbert Scheckel geht der Letzte einer Pfarrergeneration in Pension. Ein Gespräch über junge Leute, praktische Atheisten und die Zukunft

„Ich bin ein Spielkind“, gesteht Herbert Scheck. Auf der Fensterbank in der „Kombüse“, wie er sein Arbeitszimmer im Pfarrhaus nennt, steht eine V-200-Diesellok der Deutschen Bundesbahn im H0-Maßstab – die Modelleisenbahn dazu ist nicht aufgebaut. Irgendwie spricht auch wenig dafür, dass er sich dafür Zeit nimmt, wenn er ab Mitte des Jahres Pensionär ist. Dazu hat er zu viele Fragen, die er nach und nach im Laufe des Gesprächs stellt. Warum der Mensch tickt, wie er tickt, zum Beispiel. Und warum man als Pfarrer eigentlich erst 80-Jährige zum Geburtstag besucht. Und nicht die 40-Jährigen.

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Das Allenbacher Pfarrhaus ist Baustelle. Für die Zeit, in der es kein Pfarrhaus mehr sein wird. Und Herbert und Rosemarie Scheckel einfach Privatleute mit Balkon zur Südseite. Mit Blick aufs Gemeindehaus, das auch keins mehr ist. Und weiter in die Stiftswiesen, wo - von hier nicht mehr sichtbar - das Stift Keppel mit der Stiftskirche steht, von der sich Herbert Scheckels evangelische Kirchengemeinde auch verabschieden musste.

Nicht nur Seelsorger

So fängt man so eine Geschichte nicht an. Lieber mit dem Synthesizer neben dem riesigen Schreibtisch. „Es sollte was mit Musik sein“, erinnert der 65-Jährige an die Zeit seiner Berufswahl. In der Kirche lernte er das Orgelspiel, schon als Zivi legte er die Kirchenmusiker-Prüfung ab. Es wurde dann das Theologiestudium, das Herbert Scheckel aus der Heimat bei Hannover zuerst nach Tübingen, dann nach Göttingen führte. Im Studium lernt er seine spätere Ehefrau kennen. Er wird Pfarrer, sie Pfarrerin. Nach einigen Stationen („Ich bin neunmal umgezogen“) kommen sie im September 1990 in Allenbach an. Herbert und Roswitha Scheckel teilen sich die dritte Hilchenbacher Pfarrstelle, ziehen drei Kinder groß, verinnerlichen das Motto ihres Vorgängers Wolfgang Neuser, der zum CVJM gewechselt war: „Das Leben lieb haben und nicht nur fromm sein.“

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Scheckels machen die Pfarrer-Generation komplett, die das evangelische Hilchenbach über drei Jahrzehnte prägt. Hans-Jürgen Uebach war zuerst da, er ist 2022 in Ruhestand gegangen.

Rüdiger Schnurr

Auch nach seiner Entpflichtung als Pfarrer kann Hans-Jürgen Uebach weiterhin Gottesdienste oder Taufen halten. „Das ist dann freiwillig“, erklärt er. Ein Jahr will er nach seinem Abschied aussetzen. Das hat ihm Pfarrer Rüdiger Schnurr empfohlen, der sich 2018 in den Ruhestand verabschiedete. Danach wolle er das machen, „was Spaß macht“ – durch den Umzug aber nicht mehr in Hilchenbach.

Um die Zukunft der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde Hilchenbach geht es am Donnerstag, 3. Februar, 19 Uhr, im Gemeindehaus „An der Sang“. Themen werden der Neubau des Gemeindezentrums und die pastorale Personalsituation nach dem Abschied von Hans-Jürgen Uebach sein.

kam danach und ging 2018 in Pension. Sie sind in eine fromme, manchmal sehr bibeltreue Umgebung gekommen. „Das ist schon mühsam“, räumt Herbert Scheckel ein. Ganz abgesehen davon, dass der Beruf an sich schon kompliziert werden kann: Seelsorger, einerseits. Vermögensverwalter, andererseits, der „Zwangsmaßnahmen“ (Scheckel) wie den Verkauf nicht mehr haltbarer Immobilien, Gemeindehäuser zum Beispiel, vertreten muss. Man kann sich dagegen unnahbar machen. Herbert Scheckel kennt die Pfarrer noch, vor denen die Leute die Straßenseite wechselten.

Mit manchem muslimischem Schüler habe ich mich als evangelischer Christ verbundener gefühlt als mit nicht glaubenden Deutschen.
Herbert Scheckel - Pfarrer

Herbert Scheckel macht das anders. 2010 nimmt er eine Stelle als Religionslehrer am Stift an, neun Jahre lang unterrichtet er zwölf Stunden pro Woche in allen Jahrgängen. „Eines der letzten Abenteuer.“ Das Diskutieren mit den Jugendlichen fordert heraus. „Ich habe mich immer gefreut, wenn jemand sagt, das glaube ich alles nicht“, berichtet er. Und: „Mit manchem muslimischem Schüler habe ich mich als evangelischer Christ verbundener gefühlt als mit nicht glaubenden Deutschen.“ Die, die mit dem Handy daddeln und alles an sich vorbeirauschen lassen, nennt er „praktische Atheisten“. Den anderen, „denen ist noch was heilig“.

Ich habe noch immer nicht verstanden, warum der Mensch so tickt, wie er tickt.
Herbert Scheckel - Pfarrer

Freude hat Herbert Scheckel, wenn er Kindergärten besucht, und mit seinen Konfis. „Ich finde es toll, mit Kindern und Jugendlichen zu theologisieren.“ Leid lernt er als Notfallseelsorger kennen; Herbert Scheckel ist von Beginn an, seit 25 Jahren, dabei. „Ich habe gelernt, was menschliches Leben ist“, sagt er, „ich bin so alt, dass ich denke, dass ich schon viel gesehen habe.“ Er meint das kritisch. „Ich bin realistischer geworden.“ Was das bedeutet, erklärt sich, als er erzählt, was er in nächster Zeit vorhat: „Anthropologie interessiert mich sehr. Ich habe noch immer nicht verstanden, warum der Mensch so tickt, wie er tickt.“ Was ein Thema für die nächsten Jahre werden könnte: „Ich will mich der Hirnforschung zuwenden“, kündigt der Pfarrer an – um zu lernen, was eigentlich in den Synapsen passiert.

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Viele Beerdigungen, viele Taufen und Trauungen

Längst hat Herbert Scheckel eine volle Pfarrstelle, Ehefrau Roswitha hat die benachbarte Gemeinde Ferndorf übernommen und wird dort im Mai 2025 pensioniert. Ins Pfarrhaus in die Rothenberger Straße – da, wo Hans-Jürgen Uebach mit seiner Familie gewohnt hat – zieht gerade Christian Weber mit seiner Ehefrau Birgit ein; Sonntag um 14 Uhr wird er in einem Festgottesdienst eingeführt. In den nächsten Monaten bis Ende Juni wird Herbert Scheckel seinem Nachfolger nach und nach die Amtsgeschäfte übergeben. Und allmählich die „Kasualien“ loswerden, das Pflichtprogramm, um das, bei aller sonstigen Freiheit, kein Pfarrer herumkommt: Gottesdienste, Konfirmandenunterricht, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen.

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Die mit 4600 Gemeindegliedern ziemlich große Gemeinde ist alt, die Sterbefälle häufen sich: Um die hundert Beerdigungen stehen im Jahr an, allein in den letzten neun Tagen neun. Herbert Scheckel nimmt sich Zeit für die Hinterbliebenen, vor der Trauerfeier und auch danach zum Beerdigungskaffee. „Ich begleite die Leute ja auch schon ziemlich lang.“ Früher kam der Pfarrer zum 75., später erst zum 80. Geburtstag. Inzwischen gibt es für die betagten Geburtstagskinder alle drei Monate ein „Vierjahreszeitencafé“. Das kommt gut an. Die Gemeinde ist aber auch jung. Allein im letzten Jahr hat er um die 20 Paare getraut, eine im Vergleich mit anderen Gemeinden große Zahl. „Und getauft habe ich wie verrückt.“

Mit Abschieden zukunftsfähig sein

In den letzten Jahren ging es darum, die Gemeinde „zukunftsfähig aufzustellen“, sagt Herbert Scheckel. Er erinnert an das Lutherwort vom „Priestertum aller Gläubigen“, auch die theologischen Laien in der Gemeinde müssen Aufgaben übernehmen, die früher von den Pfarrern allein wahrgenommen wurden. Zukunft in einer Gesellschaft, in der erstmals die Christen in der zahlenmäßigen Minderheit sind, bedeutet auch Abschiede. Eher still vom Gemeindehaus in Allenbach: „Da habe ich mein ganzes Berufsleben verbracht – trotzdem: Es musste weg.“ Mit heftigen Auseinandersetzungen vom Gemeindehaus in Hilchenbach, das durch einen kleineren Neubau auf dem Kirchplatz ersetzt wird. Fast schon vergessen die Stiftskirche, zu der bis 1970 sogar eine eigene Gemeinde gehörte. Zukunft bedeutet aber auch die anstehende Presbyteriumswahl. Hilchenbach ist eine der wenigen Gemeinden, wo wirklich gewählt wird: 16 Gemeindeglieder bewerben sich um die zwölf Sitze. Auch kein schlechtes Zeichen.

Und danach? Vielleicht hilft er für ein paar Wochen in Israel in der Landwirtschaft aus, um den Krieg dort mache er sich viele Gedanken, sagt Herbert Scheckel. Vielleicht hilft er auch eine Zeitlang in einer ostdeutschen Gemeinde aus. Zu tun gibt es viel, überall. An der Tür klebt das alte Logo des Kirchenkreises Siegen. „Dennoch“, hat er eines Tages daraufgeschrieben.

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