Siegen. Die Stimmung in der Siegerländer Metall- und Elektroindustrie ist schlecht, sehr schlecht. Vor allem wegen hausgemachter Probleme in Deutschland.
Die Bedenken nehmen zu, die Wahrscheinlichkeit für Kurzarbeit steigt: „Eine so düstere Stimmung hat es in unserer Umfrage noch nie gegeben“, sagt Christian F. Kocherscheidt, Vorsitzender des Verbands der Siegerländer Metallindustriellen (VdSM), über die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage. Der Ukraine-Krieg wirke sich nach wie vor aus und auch die hohen Energiepreise, in der Vorgängerumfrage ein ganz wesentlicher Punkt, „sind noch nicht vom Tisch“. Doch viele der aktuellen Faktoren in Deutschland seien „hausgemachte Probleme“, die Sorgen in der Metall- und Elektrobranche das Resultat „unterschiedlicher Prozesse der vergangenen Jahre und Monate“, betont der Verbandsvorsitzende. „Die Lage ist recht ernst.“
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Von den rund 100 Mitgliedsunternehmen des VdSM hat etwa ein Drittel an der Umfrage, die der Verband immer zum Ende eines Jahres durchführt und deren Auswertung er zu Beginn des Folgejahres öffentlich vorstellt, teilgenommen, wie Geschäftsführer Dr. Thorsten Doublet erläutert. Allein dieses Drittel habe zusammen circa 9000 Mitarbeitende. „Wir sehen deutliche Eintrübungen in fast allen Bereichen“, sagt Thorsten Doublet. Hätten ein Jahr zuvor noch 50 Prozent der Unternehmen die aktuelle Geschäftslage mit „gut“ bewertet, taten dies Ende 2023 nur noch 6 Prozent. Dafür ordnen nun 39 Prozent die Geschäftslage als „schlecht“ ein; nahezu eine Vervierfachung im Vergleich zu den 10 Prozent zwölf Monate früher. „Befriedigend“ gaben zuletzt 55 Prozent bei diesem Punkt an, zuvor waren es 40 Prozent.
Mit besseren Erwartungen für die kommenden sechs Monate schaut momentan keines der befragten Unternehmen in die Zukunft – Ende 2022 taten dies immerhin 5 Prozent. Dafür gehen jetzt 64 Prozent von einer Verschlechterung aus (zuvor: 40 Prozent). 61 Prozent der Firmen stufen die aktuelle Inlands-Auftragslage als „schlecht“ ein, 70 Prozent gehen von einer Verschlechterung in den kommenden sechs Monaten aus. Verglichen mit Ende 2022 mit 15 beziehungsweise 32 Prozent ist das ein signifikanter Rückgang. Bei der Auslands-Auftragslage sieht es nicht ganz so arg aus, doch auch hier läuft die Kurve recht steil nach unten. „Wir haben auch Unternehmen, wo es gut läuft“, sagt Thorsten Doublet. „Aber die sind singulär.“
Die negative Stimmung hänge stark mit den Rahmenbedingungen in Deutschland zusammen. „Entgegen aller Beteuerungen kommt von Entbürokratisierung und Digitalisierung an der Basis wenig an“, gibt Christian F. Kocherscheidt Beispiele. „In Sonntagsreden sprechen alle von ‚schlanken Prozessen‘“, faktisch tue sich aber wenig, so der geschäftsführende Gesellschafter der Ejot Holding GmbH & Co. KG. Stattdessen würden sich neuere Vorgaben wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als „Bürokratiemonster“ erweisen, die in Unternehmen Kapazitäten binden und damit Kosten verursachen würden. Viele Firmen hätten dafür extra Stellen schaffen müssen. Große Unternehmen könnten das eher verkraften als kleinere, sagt der Ejot-Chef. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz habe zunächst ab einer Größe von 3000 Mitarbeitenden gegolten, inzwischen gelte es ab 1000. Aber weil auch Unternehmen unterhalb dieser Marken Teil der Lieferketten sind, seien diese ebenso betroffen. Wobei der VdSM-Vorsitzende das grundsätzliche Ziel des Gesetzes – die Wahrung der Menschenrechte innerhalb der an den Lieferketten beteiligten Betriebe – ausdrücklich wertschätzt: „Ganz klar, wir müssen Menschen und Umwelt überall auf der Welt schützen.“ Doch seriöse Unternehmen hätten dieses Ziel ohnehin auf der Agenda, alleine schon, um negative (und geschäftsschädigende) Schlagzeilen zu vermeiden, denn „irgendwas bleibt immer hängen“. Und die „schwarzen Schafe“, die es natürlich gebe, würden sich auch von Gesetzen nicht abhalten lassen, sondern diese irgendwie umgehen.
Ein paar Lichtblicke halten die Umfrageergebnisse trotz allem auch bereit, wie Thorsten Doublet hervorhebt. „Es gibt weiterhin eine hohe Ausbildungsbereitschaft. Und die Unternehmen wollen ihre Fachkräfte halten.“ 70 Prozent der Befragten möchten 2024 die Zahl der von ihnen angebotenen Ausbildungsplätze unverändert lassen (Vorjahr: 65 Prozent), 9 Prozent möchten sie erhöhen (zuvor 20 Prozent), 21 Prozent reduzieren (zuvor 15 Prozent). „Das Bekenntnis zur Ausbildung ist solide“, kommentiert der VdSM-Geschäftsführer. Die Unternehmen wüssten, dass am Markt kaum noch gute Leute zu bekommen seien: „Wer Fachkräfte will, muss sie selbst ausbilden.“
Siegen: 61 Prozent der Metall- und Elektrounternehmen ziehen Kurzarbeit in Betracht
Die Zahl der Beschäftigten insgesamt möchten in den kommenden sechs Monaten 39 Prozent der Unternehmen unverändert lassen; 9 Prozent gehen von Neueinstellungen aus, 21 Prozent von Entlassungen. Dass diese allerdings nicht das Mittel der Wahl sind, zeigen die Angaben zur Kurzarbeit: 61 Prozent der Unternehmen ziehen diese für die kommenden Monate zumindest als Option in Betracht; im zurückliegenden halben Jahr seien es lediglich 12 Prozent gewesen. Das Instrument sei „bekannt und bewährt“, merkt Thorsten Doublet an – es habe zum Beispiel „viele Unternehmen in der Pandemie getragen“. Tatsächlich zeigt sich, dass Branchen, in denen während der Lockdowns Entlassungen statt Kurzarbeit die Regel waren, inzwischen zum Teil sehr massive Schwierigkeiten haben, Stellen zu besetzen – allen voran die Gastronomie.
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Das Fachkräfteproblem wird sich verschärfen, sagt Christian F. Kocherscheidt. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer in den kommenden Jahren das Ruhestandsalter erreichen, werden die Herausforderungen noch größer.
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